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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Dann nehme man sorglose Heiterkeit als Reisegefährtin in’s Coupé und fahre durch die üppigen Fluren und pittoresken Wald- und Gebirgspartien, an stattlichen Dörfern, Städten und reichen Abteien vorbei, der prächtigen Kaiserstadt zu, unbekümmert darum, wo man dort sein Haupt niederlegen wird. Dafür ist in ausreichendem Maße gesorgt und alle Gerüchte über Wohnungsnoth und Unerschwinglichkeit der Preise gehören in das Reich der Fabel.

Allerdings waren dieselben nicht ganz ohne Grund. Es giebt in Wien mehr als in anderen großen Hauptstädten ein Geschlecht von Hausknechten, die durch die Gunst des Schicksals zu Häuserbesitzern geworden sind, auf jedem Finger einen Brillantring tragen, in einem seidenen Schlafrocke zum Fenster herausschauen und dabei doch Hausknechte von Gesinnung geblieben sind, indem sie ein so großartiges internationales Unternehmen, wie die Weltausstellung, nur für ihre Privatinteressen ausbeuten wollten. Der österreichische Reichsrath hat für die Weltausstellung siebzehn Millionen bewilligt; auf dem ganzen Erdballe setzten sich unzählige geistige und materielle Kräfte in Bewegung; die edelsten Geister der Nation liehen dem großen Werke ihre Theilnahme oder ihre Arbeit – nur, damit die Wiener Hausknechte, jedes Gemeinsinnes bar, sich ihre Börsen spicken könnten. So dachte diese Sorte. Gegen diese gewissenlose Ausbeutung des Publicums erhob sich die gesammte Presse; noch energischer aber wurde sie durch die Ereignisse selbst für ihre niedrige Gesinnung bestraft. Vor Eröffnung der Ausstellung schienen sich die Elemente gegen „die Wiener Stadt“ verschworen zu haben, und die unheilvolle Börsenkatastrophe war ein zweites Memento, das denn doch endlich diesem Pöbel in das Herz dröhnte und die Verhältnisse auf ein wenigstens erträgliches Maß zurückdrängte. Darum während der Reise nur keine Sorge um eine Wohnung! Für Besucher der Ausstellung, die etwa sechs bis zehn Tage in Wien zu bleiben gedenken, möchte es sich empfehlen, ein Hôtel zu beziehen und zwar einen der Vorstadtgasthöfe, die sämmtlich gut gelegen und anständig eingerichtet sind. Die Communication mit der innern Stadt ist die bequemste. Ein einzelner Mann bekommt ein gut eingerichtetes Zimmer schon zu zwei bis drei Gulden. Ein Zimmer für zwei Personen möchte den Preis von vier bis fünf Gulden nicht übersteigen. Dabei ist man höchstens genöthigt, am Morgen den Kaffee zu nehmen, der überall in Wien vortrefflich ist; in Bezug auf die Mahlzeiten dagegen reflectirt der Wirth seinen Gästen gegenüber in keiner Weise. Freilich sind die großen Hôtels in der Stadt vorzugsweise für Leute eingerichtet, deren Morgen- und Abendgebet der Courszettel ist, die sich besinnen, ob sie einem Armen ein paar Groschen geben, denen es aber vollkommen gleichgültig ist, ob sie für ein Zimmer zehn oder dreißig Gulden täglich bezahlen. Für diese Reichthümler sind diese Andeutungen auch nicht gemacht; ich will, wie gesagt, mit meinen Erfahrungen nur Leuten von mittleren Lebensstellungen, wie unserem Ehepaare, dienen, dessen fröhliche Reiselaune durch Enttäuschungen nicht getrübt werden soll. Diesen möchte für einen Aufenthalt von zwölf Tagen an bis zu zwanzig oder dreißig zu einer Privatwohnung zu rathen sein.

Die Anstalten, welche die Weltausstellungscommission zu diesem Zwecke auf den Bahnhöfen und an den Landungsplätzen der Dampfschiffe eingerichtet hat, verdienen in jeder Beziehung das Vertrauen der Ankommenden. In den Bahnhofshallen sind die amtlichen Commissionäre an einer äußern Auszeichnung kenntlich, und auf Verlangen händigen sie Jedermann die Adresse einer den Wünschen und Bedürfnissen entsprechenden Wohnung ein. Man bekommt Zimmer schon von einem Gulden täglich an, deren Einrichtung für einen Reiseaufenthalt vollkommen ausreicht. Will man mehr ausgeben, etwa drei bis vier Gulden, dann befindet man sich schon in der günstigen Lage, aus einem Fenster der zweiten oder dritten Etage der Ringstraße, der schönsten Straße Wiens, auf das bunte und bewegte Treiben der Stadt hinabschauen zu können.

Bei ihrer Ankunft möchten unsere Reisenden auf die Art und Weise der Beförderung von Personen und Gepäck vom Bahnhofe nach dem Hôtel oder der Privatwohnung aufmerksam zu machen sein. Die meisten Hôtels haben ihre kleinen schnellfahrenden Omnibusse zu etwa acht Sitzen, deren Benutzung empfehlenswerth ist. Außerdem aber sind noch sogenannte Comfortables, Droschken mit einem Pferde, und Fiaker, Droschken mit einem Zweigespann, vorhanden. Der Frau Gemahlin wird es natürlich besser behagen, mit einem stolzen equipagenähnlichen Gefährt in die Stadt Wien einzufahren, als mit dem bescheidenen Comfortable – der Gatte prüft das Verzeichniß der Taxe, das im Wagen angebracht ist. Der Gefährtlenker steht dabei, blickt hohnlächelnd auf diese weise Vorsicht und bricht jedes weitere Studium der Zahlen mit der doppelten, dreifachen Forderung der gesetzmäßigen Taxe ab. Der Mann, der gern das Gelüste seiner Frau befriedigen möchte, zeigt mit einem „Aber“ auf den gedruckten Schein; eine kategorische Wiederholung der Forderung von Seite des Rosselenkers ist jedoch die Antwort. Die Anordnungen der Wiener Polizeibehörde für die Weltausstellung verdienen in jeder Hinsicht vollste Anerkennung. Der Reisende hat überall Schutz, wird nirgends durch das Vordrängen der Polizei belästigt; aber dem Piratenthum des Straßenfuhrwerks gegenüber ist sie machtlos. Das sind alte eingewurzelte Zustände, an denen das Publicum noch mehr Schuld hat, als die Ausübenden selbst; das hängt mit der ganzen Vergangenheit des Polizeistaates und mit dem dadurch entstandenen mangelnden Gefühl für Gesetzlichkeit zusammen. Am besten wird der Reisende thun, mit dem Comfortable oder Fiaker ein förmliches Abkommen zu treffen. Für einen Gulden wird man vom Comfortable, für den doppelten Betrag vom Fiaker an das Ziel der Wallfahrt gebracht werden.

Unser Ehepaar hat in seiner Wohnung der Ruhe gepflogen, durch Speise und Trank den ermatteten Körper gestärkt, und nun ist die nächste natürliche Frage: Wie kommt man zur Weltausstellung? Gewöhnlich sind Damen, namentlich wenn es ein ihnen erwünschtes Ziel gilt, rüstige Fußgängerinnen, aber nach den Anstrengungen der Reise möchte der Weg nach dem Prater, in dessen Mitte die Weltausstellung liegt, für Madame zu weit sein. Er erfordert vom Brennpunkte der Stadt, dem Stefansplatz, aus gerade eine Stunde Zeit, und um diese abzukürzen, sind unzählige Omnibusse, und als hauptsächliches Beförderungsmittel die „Tramway“ im Gange – zu deutsch: die Pferdebahn, aber diese gute deutsche Bezeichnung gebraucht ein echter Wiener nie mehr. Er würde sie am Ende gar nicht verstehen, und wenn man ihm endlich klar gemacht hätte, was darunter begriffen sein wollte, Einen auffordern, hübsch bei der deutschen Sprache zu bleiben und Tramway zu sagen. Für den ersten Besuch würde es vorzüglicher sein, entweder einen der Omnibusse zu nehmen, die auf dem Stefansplatze in Masse aufgefahren sind und an der Seite ein Schild mit der Aufschrift „Weltausstellung“ tragen, und mit diesem bis zum Praterstern, das heißt bis zum Eingang des Praters zu fahren, oder einen der Waggons der Pferdebahn zu benutzen, der ein Schild mit der Bezeichnung „Praterstaße“ führt und den Fahrgast ebenfalls zur bezeichneten Stelle bringt. Von da schlage man zu Fuß die schnurgerade große Praterallee ein. Die kleine Mühe eines Weges von etwa zwanzig Minuten an dem Aquarium, den drei großen Kaffeehäusern vorbei wird reichlich durch den großartigen Totaleindruck belohnt, den man von hier aus von der grandiösen Rotunde und der Ausdehnung des Weltausstellungsgebäudes nach Westen und nach Osten empfängt. Um über das Innere derselben nur einigermaßen einen Ueberblick zu gewinnen, sind drei bis vier Stunden erforderlich. Ohne einen Plan möchte es jedoch unmöglich sein, ein klares Bild der Grundlinie zu gewinnen. Der beste Führer ist derjenige, welchen die berühmte Kunsthandlung von Artraria und Comp. hat erscheinen lassen. Die sehr übersichtliche Karte kostet einen Gulden und ist der sicherste Geleiter durch diese complicirte Anlage, die sich dem Auge beim ersten Anblicke als ein Labyrinth darstellt; allmählich aber entwirrt sich der Knäuel, und die Linien stellen sich klar und leicht anschaulich dar. Die ganze Aufstellung ist nach Staaten, die Gegenstände sind nach Gruppen geordnet.

Man nehme die Richtung nach rechts durch die österreichische Abtheilung nach Ungarn, Rußland, dem Orient bis nach China, Japan und Siam und kehre dann in die Rotunde zurück. Madame wird müde sein und sich hier in der Rotunde auf einen der vielen aufgestellten eisernen Stühle niederlassen, sorglos und unbekümmert um die Schlange, die im Grase lauert. Diese erscheint in Gestalt einer Frau mit einem schmalen Buche, aus dem sie einen kleinen Zettel darreicht mit der Bemerkung:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_487.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)