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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


es seien Modocs, gegen welche keine Anklage auf Mord vorliege; man solle ihn ruhig gehen lassen. Die Milizen zogen sich zurück, und Fairchild setzte seinen Weg fort. Nach einiger Zeit bemerke er Reiter vor sich, die ihm den Weg abschneiden zu wollen schienen. Als er an sie herankam, setzte ihm einer derselben die Büchse auf die Brust und befahl ihm, vom Wagen herunterzusteigen.

„Auf wessen Befehl?“ fragte Fairchild.

„Auf meinen,“ war die Antwort; „ich will die Indianer tödten und Dich auch.“ In demselben Augenblick wurden die Stränge der Pferde von Andern durchgehauen. Fairchild sprang mit den Zügeln in der Hand vom Wagen und versuchte durch gütliche Worte die beabsichtigte That zu verhindern; mit Gewalt war von ihm und seinen wenigen nur mit Revolvern versehenen Begleitern gegen die wohlbewaffnete Menge nichts auszurichten. Die Indianer-Weiber und Kinder erhoben ein jämmerliches Geschrei und flehten die Mörder um Gnade an. Die sechs Krieger blieben stumm und erwarteten ihr Schicksal mit unzerstörbarer Gemüthsruhe. Jetzt fiel ein Schuß, und Little John, ein alter Indianer, wälzte sich in seinem Blute. Die Maulthiere rasten, scheu geworden, davon, Fairchild eine Strecke mit sich fortschleppend. Fünf weitere Schüsse fielen in rascher Folge, und Bogus-Charley, Tehee, Jack, Piny und Mooch lagen todt am Boden; auch mehrere Weiber wurden verwundet. Als das blutige Werk vollbracht war, sahen die Mörder eine Staubwolke auf der Straße aufsteigen; es war ein Trupp Soldaten, die aber, als sie die Stätte erreichten, nichts mehr vorfanden als die Opfer dieses grausamen Actes der wilden Volksjustiz. Das Fuhrwerk und die Weiber und Kinder wurden nach dem Hauptquartier zurückgebracht. Wie groß die Erbitterung gegen die Modocs auch ist, diese blutige Selbsthülfe hat doch allgemeine Mißbilligung, ja Entrüstung bei allen billig denkenden Bürgern hevorgerufen, zumal die Opfer erwiesenermaßen zu den am wenigsten Schuldigen gehörten.

Daß die Unzufriedenheit der Bürger des Westens, die durch die Räubereien und Mordthaten der Wilden beständig zu leiden haben, durch die immerwährende Einmischung östlicher Friedensheuler, welche von ihrem sicheren Heerde aus Maßregeln für diese sie gar nichts angehenden Angelegenheiten dictiren wollen, sich endlich zur Wuth steigert, ist am Ende nicht so sehr zu verwundern, wenngleich solche Volksjustiz unter Richter Lynch’s schrecklichem Vorsitz nicht gut geheißen werden kann. Aber sicher ist’s, daß jene Friedensheuler mehr für solche Excesse verantwortlich gemacht werden müssen, als die unmittelbaren Thäter, welche nach ihrer Meinung nur gerechte Vergeltung übten. Hätte Präsident Grant dem General Davis freie Hand gelassen und hätten die Schuldigen schon jetzt ihre Strafe empfangen, dem Volksgefühl wäre dadurch Genüge gethan worden, und die übrigen Gefangenen könnten dann, wie der Plan ist, ruhig in entfernte Reservationen vertheilt werden, so daß die Modocs als Stamm zu existiren aufgehört hätten. Was jetzt noch mit ihnen geschehen wird, wissen die Götter. Unter andern Vorschlägen befindet sich auch der: den Capitain Jack und die schlimmsten der Bande dem bekannten Barnum gegen eine große Summe Geldes für seine Menagerie zu überlassen; es würde dies für Herrn Grant und seine ehrwürdigen Freunde ein erkleckliches Sümmchen abwerfen, ein Gedanke, der bei der bekannten Vorliebe unseres Königs im Frack und seines Hofes für irdische Güter gewiß Anklang finden würde.

Was auch mit ihnen geschehen mag, Eines steht fest: nur eine exemplarische Bestrafung aller Schuldigen wird den rechten Eindruck auf die benachbarten Indianerstämme machen und ihnen einen heilsamen Schrecken vor ähnlichen Versuchen einjagen. Hierdurch wird ein größerer Indianerkrieg am wirksamsten verhindert werden, eine Gefahr, die jetzt durch die glückliche Beendigung des „Modockrieges“ in kürzerer Zeit und in größerer Vollständigkeit, als man anfänglich erwartet hatte, überhaupt in weitere Ferne gerückt ist.




Blätter und Blüthen.

Zur Vorfeier der Enthüllung des Uhland-Denkmals. (Mit drei Abbildungen, Seite 490 und 491). Wenn das Andenken eines großen Mannes durch irgend ein Ereigniß, sei es durch die festliche Begehung des Tages seiner Geburt oder, wie es, in Bezug auf Uhland, zu Tübingen in diesen Tagen der Fall war, durch Enthüllung eines Denkmals, lebhafter wach gerufen wird, so pflegen auch die Erinnerungen, welche der große Todte in seinem näheren Freundeskreise zurückgelassen, wieder aufzuleben. Solche Erinnerungen aber malen uns die kleinen rein menschlichen Eigenthümlichkeiten dessen, von dem sie erzählen, klarer und eindringlicher, als es die beste Statue je vermöchte.

Wir verdanken die folgenden Mittheilungen zur Charakteristik Uhland’s einigen seiner überlebenden Freunde und Bekannten, welche noch jetzt an der Stätte weilen, wo sie mit ihm so manche stille und nicht wenige bewegte Stunden verlebt haben, in der reizenden kleinen Neckar-Stadt Tübingen. Mit Tübingen ist Uhland, der Mensch und der Dichter, so eng verwachsen, wie der Baum mit dem Erdreich, aus dem er vom ersten Blüthen-Frühling an seinen Lebenssaft gesogen. Wenn wir daher in unserer heutigen Nummer unseren Lesern zugleich mit den nachfolgenden Mittheilungen und Anekdoten aus Uhland ’s Leben das Geburts-, das Wohnhaus und das Grab des Dichters, diese drei Hauptstationen seines Erdenwallens, im Bilde vorführen, so glauben wir damit einen demnächst erscheinenden größern Artikel über den Vielgefeierten am passendsten angekündigt und eingeleitet zu haben.

Was Uhland’s Wesen vor Allem ein bestimmtes Gepräge aufdrückt, ist seine fast starre Festigkeit, die im gewöhnlichen Leben dem Fernerstehenden leicht als Pedanterie erscheinen mochte. Wie er in seinem politischen Wirken unwandelbar seine Pflicht erfüllte und bereit war, für seine Ueberzeugung in den Tod zu gehen, wie er als der letzten Einer mit dem Parlamente nach Stuttgart übersiedelte und, dem geringen Reste voran, an der Seite des Präsidenten nach dem schon von Truppen besetzten Sitzungsgebäude schritt, so wich er auch in seinem täglichen Leben nie von dem Gewohnten oder dem für sein Befinden als das Beste Erkannten ab. Wenn er des Freitags in die „Post“ ging, um mit Bekannten ein Stündchen zusammenzusitzen, dann befahl er, statt der gewohnten Flasche nur einen Schoppen seines Markgräflers auf sein Schlafzimmer zu bringen, da er alsdann im Gasthofe den andern halben Schoppen zu trinken pflegte. Der Volksmund wollte in dieser Mäßigkeit sogar eine Schwäche des Dichters erkennen, da seine Nase, von Natur durch Größe und röthlichen Glanz ausgezeichnet, ein nicht gerade schmeichelhaftes Gerücht hervorgerufen hatte, dem er durch die peinlichste Enthaltsamkeit entgegentreten wollte.

Ebenso war sein Aufstehen und Schlafengehen streng geregelt, wie es auch genau bestimmt war, wann sich der Kreis seiner engeren Freunde bei ihm versammelte, was in der Woche einmal geschah, während die Frauen nur allmonatlich im Uhland’schen Hause Zutritt erhielten. In diesen „Kränzchen“ war Uhland heiter und in gewissem Sinne gesprächig; da konnte er auf das blaugeblümte, weißgrundirte Hauswamms des Professor Walz ein Gedicht machen und vortragen. Im Verkehr mit Fremden aber verhielt er sich zurückhaltend und schweigsam, wie er denn überhaupt ein Feind von vielen Worten war.

Er gehörte zu den seltenen Männern, denen ihr Ruhm eine Last ist, die in Verlegenheit gerathen, wenn man auf sie mehr als auf gewöhnliche Sterbliche achtet. Dazu kam noch, daß ihm rednerisches Talent, ja selbst die Gabe der Unterhaltung, völlig abging und ein Fehler der Zunge seiner Sprache etwas Unbeholfenes gab. Wo man ihn kannte, da saß er meist still für sich, ohne sich auch nur mit einem Worte an der Unterhaltung zu betheiligen. Kam dann die Rede auf ihn und hörte er etwas, das wie Lob und Bewunderung klang, so konnte er ärgerlich, ja fast grob werden. Als in den fünfziger Jahren eine Naturforscherversammlung in Tübingen tagte, wurde ein Ausflug nach dem lieblichen Bade Niedernau bei Rottenburg veranstaltet. Man saß zusammen, trank und toastete viel. Auch Uhland war mit herübergekommen und saß schweigsam, wie gewöhnlich, zwischen Fremden, die den berühmten Dichter und Gelehrten nicht kannten. Da erhob sich einer der Redner und begann von Uhland zu reden, in der Absicht, dem gefeierten Mann ein Hoch auszubringen. Als Uhland seinen Namen hörte, fuhr er wie erschreckt zusammen und rief, sich selbst vergessend: „Ach was, das gehört jetzt nicht hierher.“ Seine Umgebung aber, in der Meinung, er wolle damit Uhland herabsetzen, wurde unruhig, und Einer von ihnen sprang auf und schrie: „Werft ihn hinaus, den Kerl!“ eine Art der Huldigung, die dem Dichter das größte Vergnügen bereitete, so daß er oft und gern davon erzählte.

Einen leisen Anflug von Rührung entlockte ihm stets die Erinnerung an einen Spaziergang, den er an einem prachtvollen Sommerabende unternommen. Eine Schaar von Bauernburschen kam ihm entgegen, die aus frischer Brust Uhland’s Lied: „Ich hatt’ einen Cameraden“ sangen. Uhland blieb stehen und lauschte; es mochte denn doch ein eigenthümliches Gefühl sein, die eigenen Gedanken und Worte von den Lippen fremder Leute wiederzuhören, die ihn ebensowenig kannten, wie er sie. Bei der Stelle: „Als wär’s ein Stück von mir“ waren die jungen Leute in des Dichters unmittelbare Nähe gekommen, und Einer von ihnen streckte, wie von plötzlicher Eingebung erfaßt, seine Hand nach dem einsamen Spaziergänger aus, indem er sang: „Als wär’s ein Stück von Dir.“ Eine ähnliche Begebenheit liegt auch dem wunderschönen Gedichte: „Ein Schifflein ziehet leise“ zu Grunde, die schon in weitere Kreise gedrungen ist und der Mehrzahl unserer Leser bekannt sein dürfte.

In Tübingen erzählt man sich in dieser Hinsicht wenig von Uhland, da er seine ganze Zeit den Studien widmete, und aus den angegebenen Gründen, weil man ihn überall kannte, nicht unbefangen mit den Einwohnern der Stadt, seine vertrautesten Freunde ausgenommen, verkehren konnte. So war er unvermerkt beinahe in den Ruf eines Menschenfeindes gekommen, er, der ein Volksfreund im weitesten Sinne des Wortes gewesen, dessen ganzes wissenschaftliches, wie politisches und dichterisches Schaffen allein das Volk, dessen Wohlfahrt, dessen Freude und Leid im Auge hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_492.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)