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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)


Th’res entfloh, ohne daß Wolf den Versuch machen konnte, sie aufzuhalten; er wollte es auch nicht, denn er sah ein, daß es jetzt doch vergebens gewesen wäre, sie zu beruhigen und sich Aufklärung darüber zu verschaffen, was in ihr solchen Unmuth und Verdacht hervorgerufen hatte. „Der Morgen wird’s ja herausbringen,“ sagte er anscheinend gelassen; aber als er nach Hause kam und sich in seine Kammer verschloß, schloß er auch die Unruhe mit sich ein. Da war nun der ersehnte Augenblick erreicht: er hatte das Gelöbniß, das er beim Abschiede still in sich und vor sich selbst gemacht, redlich gehalten – vergessen lagen die schweren Mühen, die sauren Wochen voll Arbeit und Entbehrung hinter ihm, und nun, am Ende der Bahn, schien das Ziel, dem er nachgestrebt, sich in ein täuschendes Trugbild zu verwandeln. Er wollte auf der lange nicht berührten Cither zu spielen versuchen, aber nach den ersten Tönen schob er sie wieder zurück, er fand in seinem unruhigen Gemüth keine Harmonie, die er in ihren Saiten hätte aussprechen können. – Der Morgen graute beinahe, als Erschöpfung ihm endlich die überwachten Augen schloß.

Th’res, nur durch wenige Mauern von ihm getrennt, überließ sich in der nächtlichen Einsamkeit ihrer Kammer vollends ihrem Schmerz; angekleidet warf sie sich auf’s Lager und litt dem zögernden Tage entgegen, der ihr letzter in diesem Hause sein sollte; denn sie mußte fort, das stand klar vor ihrer Seele; sie konnte und durfte Wolf nicht wieder begegnen. Sie war ja auch durch nichts mehr gebunden: mit dem Sohne war dem Alten Alles wiedergegeben, was er ersehnt und bedurft hatte, und sie selbst ihrer Verpflichtung ledig. Sie versuchte zu beten; weil der Sturm in ihrer Seele die Gedanken wie steuerlose Fahrzeuge durcheinander warf, konnte sie eigene Worte nicht finden und griff nach dem Gebetbuche, aber auch dafür fehlte ihrem Geiste die Sammlung – um sich erheben zu können, müssen die Schwingen unversehrt sein; gelähmte Fittige vermögen es nicht. Jammervoll legte sie das Buch wieder bei Seite und löschte den kleinen Wachsstock, dessen Licht trotz seiner Schwäche nur ihre Verlassenheit grell zu beleuchten schien – sie wollte Nacht um sich haben, wie sie dieselbe im Herzen trug.

So hatte er nicht die erste Nacht im Vaterhause, so hatte sie nicht das Wiedersehen gedacht!

Der Mond war schon weit heraufgerückt und eben daran, die Bahn nach abwärts einzuschlagen, als Th’res, von einem eigenthümlichen Geräusch geweckt, aus halber Betäubung auffuhr. Es war, als ob leise an ihr Fenster geklopft würde. Sie glaubte sich getäuscht zu haben, aber das Klopfen wiederholte sich deutlicher und bestimmter; leise glitt sie von dem Bett herab und schob den Vorhang an dem vergitterten Fenster bei Seite, um unbemerkt hinausblicken zu können … im Schatten der durch einen Hausvorsprung gebildeten Ecke stand eine weibliche Gestalt; als diese die Bewegung des Vorhangs gewahrte, winkte und deutete sie eifrig, daß Th’res das Fenster öffnen solle.

„Macht auf,“ flüsterte sie, „und habt keine Sorge! Ich will nichts Unrechtes, aber ich habe Euch was Wichtiges zu sagen.“

Verwundert öffnete Th’res. „Was soll denn Das sein,“ fragte sie, „um diese Zeit? Wer seid Ihr denn? Ich kenn’ Euch nicht …“

„Das glaub’ ich wohl,“ erwiderte die draußen Stehende; „aber Ihr habt mich doch schon gesehen. Erinnert Euch nur, was auf dem Aiblinger Markt vor fünf Jahren geschah. Ich bin’s, von der Euch der Alte vorhin erzählt hat, bin das Mädchen, welchem der Sohn aus diesem Hause zum Tanze aufgespielt hat, und um mich hat er Haus und Hof verloren.“

„Was? Ihr, Ihr kommt zu mir?“ rief Th’res und wollte in rasch aufloderndem eifersüchtigem Groll das Fenster zuwerfen. Aber mit dem Groll stieg in ihr auch die edlere Regung echt weiblichen Mitleids auf; sie ließ das Fenster offen, durch welches die weiche Nachtluft und das Mondlicht sich wie begütigend hereinschmeichelte, und sagte mit sanfter Stimme: „Armes unglückliches Leut, was wollt Ihr denn bei mir? Ich kann Euch ja doch nicht helfen.“

„Das weiß ich wohl,“ entgegnete das Mädchen. „Mir kann auch kein Mensch helfen und ich komme nicht um Hülfe – ich komme, weil ich vielleicht Euch von Nutzen sein kann; darum hab’ ich in der Nähe gewartet, bis Alles still geworden ist und schläft, und bin nun hierhergeschlichen, um Euch zu sagen, daß Alles, was Euch der Mann von mir und Wolf erzählt hat, nicht wahr ist –“

„Nit wahr?“ rief Th’res, unfähig, ihre Freude zu verbergen.

„Nicht wahr,“ wiederholte die Tänzerin, „wenigstens was den Wolf betrifft. Er ist mit uns nicht weiter gereist, als bis nach Wien. Dann ist er die Donau hinunter und ich hab’ ihn seitdem mit keinem Aug’ mehr gesehen …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_495.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)