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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


nur bei uns daheim ist? Das kann ja gar nit sein! Mach’ mir nichts vor, Th’res,“ rief er, sich plötzlich aufrichtend, mit lauter Stimme – „wenn ich auch oft drüber gegreint hab’, so viel hab’ ich mir doch gemerkt, so spielt kein Anderer als mein Wolf …“

Im nämlichen Augenblick war die Cither verstummt, er fühlte seine Kniee umfaßt und hörte die Stimme des Sohnes, der freudig bewegt ihm zu Füßen lag.

„Ja, Vater, ich bin’s. Ich bin wieder da. Kannst mir verzeih’n?“

„Verzeih’n? Ich Dir?“ rief der Greis unter Thränen lachend. „Ich hab’ Dir nichts zu verzeih’n, aber Du mir.“

„O Vater, redet nit so!“ sagte der Sohn gerührt. „Sagt mir lieber – darf ich wieder da bleiben? Bin ich kein Loder mehr?“

„Du bist nie einer g’wesen, mein lieber, lieber Bub’,“ lachte der Alte. „Ich hab’ Dir so schwer Unrecht gethan, und Du hast dafür den Lindhamerhof und Dein’ Vater und sein graues Haar wieder zu Ehren gebracht. Bist es denn wirklich?“ fuhr er in erweichtem Tone fort, indem er, um seinen schwachen Augen nachzuhelfen, ihm das Angesicht betastete. „Deine Stimm’ ist’s wohl, aber sonst kenn’ ich Dich ja gar nimmer mehr; bist ja ganz voll Bart und verwachsen wie ein wilder Mann … Wenn ich Dich nur auch sehen könnt’!“

„Seid wohlgetröst’, Vater!“ rief Wolf, „für das wird auch wohl zu helfen sein. Mein Camerad, der mich begleitet hat, ist ein Tausendkünstler, der von Allem was versteht … der hat bei dem ersten Blick, den er in Eure Augen gemacht hat, gleich gesagt, Ihr habt nur den grauen Staar. Für den kann geholfen werden …“

„Ist’s wahr?“ sagte der Alte bewegt. „Soll ich Dir das auch noch verdanken? … Gott geb’s, daß es wahr wird … o, es ist hart, blind sein, aber so hart ist es mich noch nie ankommen, als jetzt, daß ich Dich nit sehn kann. Du bist ja meine Freud’ und mein Stolz, den ich nimmer von mir laß’.“

„Ich geh’ auch nimmer,“ erwiderte Wolf. „Ich bleib’ da, Vater – was ich draußen gelernt hab’, das werd’ ich gar gut brauchen können; aber ich will wieder ein Bauer sein. Ihr sollt Eure Freud’ an dem Lindhamerbauern erleben, und“ – setzte er hinzu, indem er Th’res an sich zog und in die Arme schloß – „eine Bäurin hab’ ich auch schon.“

„Was, eine Bäurin?“ rief der Alte, „Du wirst Dir doch nit etwa gar eine ungarische mitgebracht haben? Wer könnt’ denn das sein?“

„Na, Vater, keine ungarische und auch keine fremde – Eine, die da so gut daheim ist auf dem Lindhamerhof, wie ich und Ihr – die Th’res.“

„Die Th’res,“ rief der Alte im Tone vollster Freude. „Na, dann bin ich meine letzte Sorg’ auch noch los; dann hab’ ich wirklich kein’ Wunsch mehr auf der Welt und könnt’ wohl wie der heilige Simeon sagen: ‚Herr, laß Dein’ Diener in Frieden fahren!‘ … Aber es wär’ nit wahr. Jetzt möcht’ ich erst noch leben mit Euch ein paar Jahrl’n, leben in der puren Glückseligkeit! – Aber wo ist denn Th’res? Warum kommst nit zu mir und sagst mir, daß Dein Willen auch dabei ist? … Ja? Bist, einverstanden?“ fuhr er fort, als sich das Mädchen weinend an seine Brust schmiegte, und legte ihr wie segnend die Hand auf’s Haupt. „Siehst Du, jetzt ist es doch noch recht worden; jetzt brauchst nimmer fragen, als was Du eigentlich auf dem Lindhamerhof bist – jetzt bist an Dein’ rechten Platz, als Frau.“

Rasch wurde nun Alles zur Hochzeit bereitet. Die Kunde von den Ereignissen auf dem Lindhamerhof ging wie ein Lauffeuer durch das Land und zündete überall gleiche Flammen der Freude an. Alle gönnten Wolf und Th’res und auch dem Alten das Glück; der aber eilte und trieb, als fürchte er, die Hochzeit nicht mehr zu erleben; er bestand darauf, daß man sie feiere, noch ehe der Lindhamerhof eingeschneit werde, und das Paar hatte nichts dagegen zu erinnern. …

Vorher machten sie nach eine Fahrt nach dem einsamen Kirchlein in der Flinsbacher Flur; Th’res wollte sich Segen holen von dem Grabe ihres Vaters. Auch um Nanna’s Schicksal mußten Pfarrer und Landrichter Erkundigungen einziehen: sie ergab, daß dieselbe wirklich im Kloster zum heiligen Wasser eine Zuflucht gefunden, aus der sie nicht mehr heraus begehre und in der sie für die Schwester und ihren Mann alles Heil der Erde und allen Segen des Himmels zu erbitten gedenke.

Eine kleine Störung brachte es hervor, als an einem Morgen die neugebaute Brunnstube eingestürzt und unter den Balken der Brunngraber-Sepp als Leiche gefunden wurde. Niemand wußte, wie das gekommen, nur die Vermuthung lag nahe, daß der graue Sünder, unvermögend das Glück Anderer zu ertragen, einen nächtlichen Versuch gemacht hatte, die Quelle zu verderben oder gar zu zerstören, darüber aber das noch nicht festgefügte, sondern nur übereinandergelegte Balkenwerk eingestürzt sein möge und ihn getödtet habe – mindestens ergaben das die gerichtliche Leichenschau und die schwere Kopfwunde des Todten. Dem Volke aber schien es glaublicher, daß das Lindenbrünnlein wieder einmal seine alte Kraft bewährt und den getödtet habe, der mit unreiner Hand aus ihm zu schöpfen versuchte.

Auf dem Lindhamerhof war bald das alte Glück und der alte Wohlstand heimisch geworden; auch die Blindheit des Alten wurde zwar nicht ganz geheilt, aber doch soweit gehoben, daß er, wenn auch trübe, Alles sehen, sich frei bewegen und, als ein Enkel kam, sich an seinen Zügen ergötzen und unterm Lindenbaume dem Knaben zusehen konnte, der vor ihm im Grase an dem Bächlein spielte, an dem sich ein kleines künstliches Mühlrad mit Pochwerk gar lustig drehte und klapperte.

Nach ein paar Jahren kam der Landrichter mit einigen Badegästen von Aibling hereingewandert, um ihnen die schöne Aussicht des Lindhamerhofes und diesen selbst, sowie die Personen der seltsamen Geschichte zu zeigen, die sich dort abgespielt hatte. Auch der preußische Major war darunter, nicht mehr als Curgast, denn die Aiblinger Moorbäder hatten seinen Fuß so völlig gekräftet, daß er, dem sonst der Weg zum Sauer-Keller eine anstrengende Wanderung gewesen, jetzt einen so weiten Ausflug leicht und zum Vergnügen unternehmen konnte. Der Lindhamer-Bauer begrüßte seine Gäste, die ihn mitunter wohl anders erwartet haben mochten; es war nichts Besonderes mehr an ihm zu sehen. Er hatte alles Fremde abgelegt und war ganz mit Herz und Seele daheim, ganz ein Landwirth von der echten Art. Daß er das war, verrieth ringsum die Schönheit der Wiesen, die Pracht der Felder, die Stattlichkeit des Hauses; auf der Gräd stand wieder die alte Bank, aber in der Stube prangte dafür ein stattlicher Bücherschrein. Auch an äußerem Schmuck fehlte es nicht; die zierlichen Staarenhäuschen waren wieder ausgerichtet; die Windfahne mit den lustigen Figuren schnurrte lustig drauf los, und die Luftharfe ließ wieder ihre Accorde hören, als ob der Frieden und Einklang, die im Hause herrschten, sich zu Tönen verkörpert hätten. Die Quelle aber, das Palladium des Hofes, von der Brunnstube geschützt und gefaßt, sendete ihre segensvolle Fluth zum Brünnlein unter die Linden, wo eine Bank aus Baumästen zu anmuthiger Ruhe einlud; von da floß sie am Hause und an der Linde vorüber, bis an den Abhang, wo sie gestaut war, um eine Mühle und ein Sägewerk zu treiben. Wolf hatte diese dahin gebaut, um den Reichthum der Gutswaldung auszunützen.

„Das laß’ ich mir gefallen!“ sagte der Major, als die Gesellschaft aufbrach und die schöne Bäuerin, ein Bild des Glücks und der Zufriedenheit, ihnen das Geleite gab. „Um den Preis eines solchen Besitzthums und eines solchen Weibchens könnte ich mich auch entschließen, ein Bauer zu werden. … Der Lindhamer ist, weiß Gott, ein Schwerenöther und das wird wohl das Nämliche sein, wie sie hier zu Lande sagen – ein Loder!“



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