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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


In der schon am Vorabend der Enthüllungsfeier ungewöhnlich bevölkerten Stadt war ich bei alten Freunden, die ich aus den Studienjahren kannte, bald behaglich untergebracht. – Und wieder wandelte ich durch die Straßen des alterthümlichen Tübingens, im fünfzehnten Jahrhundert der zweiten Haupt- und Residenzstadt Würtembergs, nach der Erbauung Ludwigsburgs der dritten, der „guten Stadt“ – mit ihrer Alma mater, genannt Eberhardina Carolina; denn der viel genannte, von Uhland so volksthümlich gefeierte Eberhard im Bart begründete bekanntlich auch die Universität.

Das Uhland-Denkmal in Tübingen.
Nach einer Skizze von Julius Hartmann in Tübingen.

Und wieder beschaute ich die kernige Holzarchitectur, nicht minder das vertrocknete „Tübinger Männlein“ und das ehrwürdige Rathhaus.

Immer aber mußte ich jenes Abends gedenken, an dem ich, vor länger als einem Jahrzehnt, still durch dieselben Straßen zu einem noch stilleren Grabe gewallfahrtet war, einem Grabe, auf welchem damals noch kein Stein, kein Schmuck prangte, – dem Grabe Uhland’s. Und noch heute ist es eine Ruhestätte, deren Ausstattung kaum einfacher gedacht werden kann. Verläßt man die modernste Straße Tübingens, die Wilhelmsstraße, in welcher sich auch das Universitätsgebäude befindet, und wendet sich hart an demselben vorbei nach links, so gelangt man bald auf den schönbelegenen Kirchhof der Stadt, der eigenthümlich viel gerade weiße Kreuze zeigt. Vom Hauptweg desselben führt rechts einer der Nebenwege etwas hinan. Mitten unter anderen Gräbern, durch kein Gitter geschieden, – denn er liebte die Eisengitter auch nach dem Tode nicht, – steht Uhland’s einfacher, kunstlos behauener granitner Grabstein und unter einem roh darauf eingemeißelten Stern nichts als der vielsagende große Name „Ludwig Uhland“.

Die Zweige eines niedrigen Baumes beschatten den Stein. Um den mit gewöhnlichen Steinen eng umfriedigten Grabhügel schlingen sich Immortellen, und Epheu rankt den Granit hinauf, ganz so, wie die Gartenlaube das Bildchen schon brachte.

Was war natürlicher, als daß ich meine Schritte abermals dem Friedhofe zulenkte; diesmal indessen lag er nicht so einsam und still. Eine Menschenmenge wogte zwischen den Gräbern. Studenten und Sänger hatten sich zu einer abendlichen Todtenfeier um das Grab des unsterblichen Dichters geschaart, und der feierliche Gesang des Liedes: „Stumm schläft der Sänger“ ertönte durch den milden Abend. Dann legte ein Mitglied der Burschenschaft Germania, welcher Uhland angehört hatte, einen mit einer schwarz-roth-goldenen Schleife geschmückten Lorbeerkranz zu Füßen des Grabes nieder.

Lind war die Luft, laubig und blumenreich die ganze Umgebung. Wie doch so anders, als damals in der blattlosen Zeit an jenem naßkalten Spätherbsttage, dem 16. November 1862, als Freunde von nah und fern, besonders aber wieder die schwäbischen Sänger mit ihren Fahnen, um welche schwarzer Flor wehte, tieftraurig am offenen Grabe standen! Drei Tage vorher, am 13. November Abends neun Uhr, hatte Uhland das Zeitliche gesegnet. Nach seiner Körperbeschaffenheit hätte er noch eine Reihe von Jahren leben können. Er war kräftig angelegt, „dickrindig und schier kötzig“, wie sich Chamisso einmal nicht gerade schmeichelhaft ausdrückte. Er fiel seiner Freundestreue zum Opfer. Als in der Februarkälte desselben Jahres Justinus Kerner in Weinsberg beerdigt wurde, hielt ihn die Rücksicht auf das eigene hohe Alter von nahezu fünfundsiebzig Jahren nicht ab, dem langjährigen und einem der treuesten Freunde und Sangesgenossen die letzte Ehre persönlich zu erweisen. Hier zog er sich eine verhängnißvolle Erkältung zu, die er anfangs gar gering zu achten schien; denn als wenige Wochen später ein anderer Jugendgefährte in Tübingen starb, wohnte er auch dessen Beerdigung bei. Doch die Glückwünsche zu seinem Geburtstage am 20. April, wo er fünfundsiebzig Jahre alt wurde und den ganz Deutschland feierte, trafen ihn bereits auf dem Krankenlager. Uhland konnte sie nicht mehr einzeln erwidern und dankte später durch die Zeitungen mit einfach herzlichen Worten. Besonders rührte ihn eine anonyme Aufmerksamkeit. Er erhielt aus einer oberschwäbischen Stadt ein Schreiben, offenbar aus weiblicher Hand, in welchem erzählt wurde, wie die Correspondentin, als sie am Feste Mariä Verkündigung „nach der Kirche spazieren gangen“, unter dem prächtigen blauen Frühlingshimmel in der Erinnerung an die goldige Schilderung in einem seiner Gedichte, dem „Waller“, mächtig ergriffen gewesen sei. Zum Dank sendete sie nun dem Dichter naiver Weise einen – Ducaten, „für den er sich eine oder zwei Flaschen recht guten Wein kaufen und beim Trinken der Uebersenderin freundlich gedenken möge.“ Uhland’s Gattin schlug vor, das Geld den Armen zu schicken. „Zweimal so viel,“ sagte der Dichter, „aber dieser Ducaten gehört mir. Der freundlichen Geberin soll auch ihr Wille geschehen!“

Sein Leiden wollte nicht mehr weichen. Vergebens gebrauchte er gegen die geistige und körperliche Müdigkeit, welche ihn bedrückte, im Sommer das Soolbad Jaxtfeld in der Nähe des schöngelegenen und aus der Geschichte bekannten Wimpfen. Wenn er eine gute Stunde hatte, so freute er sich auch da noch der lieblichen Gegend. Er saß dann gern auf der Terrasse vor dem Curhause, wo man einen herrlichen Blick den Neckar hinauf und hinunter genießt. Meist war er, wie es überhaupt seine Art war, in Gedanken vertieft, zuweilen gesprächiger. Traurig sagte er wiederholt, daß ihm das Gefühl, nicht arbeiten zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_503.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)