Seite:Die Gartenlaube (1873) 519.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Menschenhandel in Afrika.
Von Heinrich Freiherrn von Maltzan.

Es ist schon viel über die Gräuel des Sclavenwesens, und in neuester Zeit auch über die nicht geringeren Ungeheuerlichkeiten, die beim Fange von Chinesen und Südsee-Insulanern, den sogenannten Kulis, stattfinden, geschrieben worden; aber entsetzlichere Schilderungen, als mir vor Kurzem in einem Briefe des Afrika-Reisenden Dr. Nachtigal von der Art und Weise, wie dieser Handel in der Ostgegend des Tsadsees auftritt, gemacht wurden, habe ich noch nirgend angetroffen. Es ist freilich wenig erquicklich, über solche Nachtseiten der Menschheit zu berichten, indeß es könnte doch vielleicht seinen guten Zweck haben, sei es auch nur, um einzelne Zweifler zu bekehren, welche immer noch geneigt sind, die Schilderungen der Gräuel des Sclavenwesens für übertrieben zu halten und die menschenfreundlichen Bestrebungen zur völligen Ausrottung desselben als „sentimental“ zu belächeln.

Um das Sclavenwesen seiner vollen Abscheulichkeit nach zu beurtheilen, muß man es an der Quelle beobachten. Da, wo den Sclaven schon große Länderstrecken von seinem Fangorte trennen, wo er als bereits wohlabgerichteter Arbeiter seinem Herrn einträgliche Dienste leistet, wo er folglich einen verhältnißmäßig hohen Werth besitzt, verbietet schon der Eigennutz dem Besitzer, ihn schlecht zu behandeln. Anders ist es an der Quelle, das heißt bei den eben erst eingefangenen Sclaven, die dem Naturzustande nahe stehen und noch nicht gelernt haben, sich ihren Gebietern durch Arbeit nützlich zu machen, also auch nur einen geringen Geldeswerth darstellen. Menschenliebe ist bei den meisten Sclavenbesitzern des Theiles von Inner-Afrika, von dem wir hier berichten, ein unbekannter Begriff; und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die Sclavenjäger und ersten Ankäufer, welche hier alle Mohamedaner sind, die eingefangenen Neger, die gewöhnlich dem Heidenthume angehören, durchaus nicht als Ihresgleichen, so zu sagen gar nicht als Menschen betrachten. Nicht, als ob die mohamedanische Religion an und für sich so unmenschlich wäre. Aber die hiesigen Mohamedaner haben von dieser Religion fast nur das Schlechte angenommen, den Fanatismus gegen Andersgläubige, die sie als tief unter ihnen stehend und schon ihres Glaubens wegen als hassenswerth, verdammlich und der grausamsten Behandlung würdig ansehen, und den geistlichen Hochmuth, der sie selbst ihrer Meinung nach den Heiden gegenüber fast wie Götter erscheinen läßt.

Im Süden des Landes Baghirmi, in Inner-Afrika, waren, als unser oben genannter Landsmann dasselbe im Sommer 1872 besuchte, eben die großartigsten Sclavenjagden veranstaltet worden, und zwar vom Sultan des erwähnten Landes selbst, welcher, um sich die Mittel zur Ausrüstung eines Kriegsheeres zu verschaffen, einen Raubzug in die an seine Staaten grenzenden Heidenländer unternommen hatte. Der Zweck dieses Raubzuges war ausschließlich der Sclavenfang; denn in diesem Theile von Inner-Afrika sind Sclaven der gangbarste Tauschartikel; sie bilden hier gleichsam die große Münze, gerade wie in Abessinien die Maria-Theresien-Thaler und wie anderwärts die englischen Baumwollstoffe. Man berechnet nämlich daselbst alle Waaren nach ihrem Werthe in Sclaven, das heißt in sogenannten mittelguten Sclaven; denn es giebt auch geschätztere, welche so viel werth sind, als zwei mittelgute, und geringer geachtete, die man nur einem „halben“ gleichschätzt. Der übliche Ausdruck lautet „Köpfe“. Alles wird nach „Köpfen“ berechnet. Natürlich ist dabei nur von Menschenköpfen die Rede; denn die Thierköpfe sind, wie wir gleich sehen werden, oft viel mehr werth.

Um ein so ansehnliches Heer auszurüsten, wie es dieser Sultan zur Bekämpfung seines schon etwas civilisirteren nördlichen Nachbars, des Fürsten von Wadai (dem Lande, in welchem Vogel umkam), der das halbe Baghirmi erobert hatte und über Schießwaffen und Reiterei verfügte, bedurfte, dazu mußte auch er Flinten und Pferde haben, und diese konnte er nur gegen das im Lande übliche baare Geld, das heißt gegen Sclaven, eintauschen. Zur Sclavenjagd in den Heidenländern dagegen brauchte er die civilisirten Mordwerkzeuge nicht. Diese armen heidnischen Neger sind noch sehr in der Bewaffnung zurück, auch staatlich nicht geeinigt genug, um kräftigen Widerstand zu leisten. Ihrer konnte er leicht Herr werden. Als der Reisende sein Lager besuchte, hatte er denn auch bereits einige Tausend eingefangen und täglich brachten die nie erlahmenden Beutezüge neue Opfer in das Lager.

Die Folge dieses massenhaften Einbringens von Sclaven, verbunden mit den Schwierigkeiten und Kosten ihrer Beförderung nach Bornu, dem nächsten, aber immer noch zwanzig Tagereisen entfernten größeren Sclavenmarkt, bewirkte an Ort und Stelle ein ganz außerordentliches Sinken im Preise der menschlichen Waare. Dagegen stiegen andere Verkaufsgegenstände bedeutend im Werthe, namentlich Pferde, Waffen, selbst eiserne Ketten und Halsringe, mit denen man die Sclaven fesselte; denn ihre Heimath war zu nahe und ein Entspringen immer noch möglich. Wir möchten unsern Augen kaum trauen, wenn wir, die wir gewohnt sind, den Menschen als das weitaus werthvollste Glied der Schöpfung und über jeden Geldeswerth erhaben anzusehen, eine solche afrikanische Liste von Warenpreisen überblicken, in welcher der „Herr der Schöpfung“ etwa einer alten Ziege oder einem alten abgetragenen Kleidungsstück gleich angeschlagen ist, so daß selbst ein Jagdhund noch höher abgeschätzt wird, ein Pferd aber eine ganze Summe von Menschen aufwiegt. So konnte man zum Beispiel zur Zeit in Baghirmi für ein gutes Pferd von acht bis zu zehn, für ein mittleres fünf, selbst für das schlechteste immer noch drei „Köpfe“ erhalten. Ein Diener unsres Landsmannes vertauschte seinen Dolch gegen eine schöne junge Negerin; eine solche war gesucht und wurde zwei „Köpfen“ gleich gerechnet. Ein anderer erhielt für ein altes Hemd ein Kind. Was ihm freilich der Besitz eines solchen für Vortheil bieten konnte, ist schwer zu sagen; denn die armen Sclavenkinder sterben wie die Fliegen.

Der Sultan besaß der menschlichen Waare so viel, daß er die im Orient üblichen Geschenke, die bei den geringsten Anlässen gemacht und „Bakschisch“ genannt werden (Trinkgelder würden wir sagen) nur noch in Sclaven gab. So erhielt die Gesammtheit einer aus Bornu eingetroffenen Karawane (mit deren Ankunft der Fürst sehr zufrieden war, da sie Waffen und Pferde brachte) ein Empfangsgeschenk von fünfzig „Köpfen“. Dr. Nachtigal selbst, als er von der ersten Audienz beim Sultan nach Hause kam, fand in seiner Wohnung, zu seiner nicht geringen, aber keineswegs angenehmen Ueberraschung, ein Gnadengeschenk desselben vor, das aus dreizehn „Köpfen“ bestand. Natürlich schickte unser Landsmann das unwillkommene Geschenk zurück. Zu seinem Leidwesen war er jedoch nicht im Stande, zu verhindern, daß seine Diener sich eine Anzahl von Sclaven vom Sultan schenken ließen und behielten. Diese letzteren Neger konnten übrigens noch von Glück sagen, denn sie fielen nun der Fürsorge eines geschickten europäischen Arztes anheim, welcher in den von solchen Massenanhäufungen untrennbaren Krankheiten, die sich bald einstellten, ihrer wartete und manchem das Leben rettete. Viele dieser Unglücklichen waren in ihrer Heimath wohlhabende Leute und Familienväter gewesen, welche Häuser, Felder und Vieh besessen hatten. Ein einziger Tag trennte sie für immer von Frauen und Kindern, von Hab und Gut, und machte sie selbst zu Sclaven, denn daß ein Sclavenjäger so viel Menschlichkeit besäße, wenigstens die Glieder einer und derselben Familie ungetrennt zu lassen, kommt leider nicht vor. Die Gefangenen wurden vielmehr ohne alle Rücksicht auf die Zusammengehörigkeit der Familien einzeln vertheilt, verkauft oder auch verschenkt. Ein Vater von elf Kindern vermochte nach langem Suchen nur drei derselben zu entdecken, von diesen eines bereits als Leiche; und doch wußte er, daß alle zu Sclaven gemacht worden waren. Dieser, sowie die große Mehrzahl der Unglücklichen, waren nicht etwa im Kampfe erbeutet, sondern bei ihrer Feldarbeit überrascht worden. Man hatte ganze Dörfer überfallen, ausgeplündert und alle Bewohner, vom Ortsvorstand bis zum geringsten Manne, als Gefangene abgeführt.

Die älteren Leute, welche das Loos ja am allerhärtesten traf (denn zu Hause genossen sie als Familienväter und bejahrte Männer eine bevorzugte Stellung, und jetzt nahmen sie unter den Sclaven den allertiefsten Rang ein, da man nur die jungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_519.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)