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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Handgemenge entstand; der hing würgend an der Kehle des Andern; der hatte seinen Feind zu Boden gerungen und trachtete, ihm den Schädel an den schroffen Felskanten zu zerstoßen. Der Eine hob die losgeschossene, in der Nähe nicht mehr brauchbare Büchse, um mit dem Kolben niederzuschmettern. Ein Anderer hielt den Gegner um die Mitte und suchte ihn in das Flußbett der Wimbach hinabzuschleudern – dazwischen knallten die Stutzen den Fliehenden nach und von ihnen zurück; Geschrei der Kämpfenden mischte sich in den Wehruf der Verwundeten und Stürzenden, und der Wiederhall des Getöses rollte an den nächtlichen Felswänden des Gebirges dahin.

Die Schwärzer unterlagen zuletzt; sie waren in der Minderzahl und die Grenzwächter, denen der Anschlag verrathen gewesen, hatten ihre Vorkehrungen zu bestimmt und zu sicher getroffen. Alle Zugänge waren bewacht; es waren die Wenigsten, denen zu entrinnen gelungen war; die Meisten stöhnten verwundet, gebunden und geknebelt am Boden; die Angreifer hatten weniger gelitten; sie waren im Eifer über das Gelingen bemüht, zuerst den glücklichen Fang zu ordnen und zusammenzupacken; dann luden sie ihn den Gefangenen auf und begannen den Rückzug.

Auch Mentel war unter den Entronnenen. Als gewandter Jäger und wohlbekannt mit der Oertlichkeit, hatte er im raschen Laufe einen Felszacken erreicht, jenseits dessen ein kleines schmales Thälchen anging und sich eine Strecke weit an der östlichen Seite des Steinberges hinzog. Dort durfte er für den Augenblick einen sichern Versteck und bei Tagesgrauen einen nur Wenigen bekannten Ausweg hoffen, der in die Ramsau hinunterführte. Ein kühner Sprung mit eingesetztem Bergstock trug ihn in die Tiefe – – – – –

Und nun schildert der Verfasser weiter, wie der Wilderer den Abhang hinunterrutscht, erst langsam, dann unwillkürlich immer rascher, wie sich das Steingeröll loslöst und mit wildem Gepolter hinabkollert, den Fliehenden mit sich fortreißend, bis dieser endlich kopfüber, an Haupt und Händen blutend, in die Tiefe stürzt. Die Scene ist allerdings eine der grausigsten und effectvollsten des Romans. –

Uebrigens sind, wie wir bei dieser Gelegenheit erwähnen wollen, Herman Schmid bereits drei Anträge zur Dramatisirung seiner soeben in der Gartenlaube vollendeten Novelle: „Der Loder“ gemacht worden, gewiß ein neues Zeichen der wachsenden Beliebtheit dieses Autors.


Friedrich Hecker in Leipzig. Roth angestrichen im Erinnerungsbuche des Hauses „Zur Gartenlaube“ werden die drei Julitage des Jahres 1873 bleiben, wo Friedrich Hecker in Leipzig gewesen und als ein willkommener und herzlich begrüßter Gast unter dem Dache dieses Hauses geweilt hat. Außer den Bewohnern hatte sich hier um den alten Freiheitskämpfer, seinem Wunsche gemäß, nur ein kleiner Kreis von Befreundeten zu engerem Beisammensein geschaart. Der Kreis bestand aus Männern, die jetzt den verschiedensten Parteirichtungen des deutschen Liberalismus angehören. Sämmtlich aber empfanden sie in der Nähe des Gastes die volle Macht des fesselnden Zaubers, den nur ein ganzer Mann, ein harmonisch in sich gefesteter Charakter auf seine Umgebung zu üben vermag. Hecker’s Bedeutung liegt wohl zum großen Theile in diesem besonderen Eindrucke seiner Persönlichkeit, in dem überreichen Gemüths- und Geistesglanze, der aus der anspruchslosen Schlichtheit seiner Manier und seines Wesens strahlt. Man weiß, wie fortreißend einst schon seine äußere Erscheinung auf große Massen gewirkt hat. Begegnet man ihm freilich jetzt auf der Straße, ohne ihn zu kennen, so wird man ihn mit seinem ergrauten Schnurr- und Knebelbart bei flüchtigem Vorübergehen für einen hübschen alten Landwirth halten, der ehemals Officier gewesen ist.

Ganz anders jedoch bei längerem Gegenüber in traulichem Gespräch. Hier erst zeigt sich in der schönen Mischung von edler Ruhe und freier Beweglichkeit, in dem warmen Blicke des Auges, in den kraftvollen und doch feinen und geistdurchschimmerten Zügen dieses classisch geformten, noch immer von zartem Roth überhauchten Antlitzes, daß man es mit einem weit über das gewöhnliche Mittelmaß hinausragenden Menschenbilde zu thun hat. Wo Hecker sich wohl fühlt, da kann er unaufhörlich sprechen, ohne daß die Andern müde werden, ihn anzuhören. Niemals lehrhaft, sondern in meistens drastisch biderber, von anmuthigstem Scherz belebter Wendung verbreitet sich seine Rede mit überraschender Beschlagenheit und erstaunlicher Schärfe und Gedächtnißkraft über die verschiedensten Gebiete menschlichen Wissens und Forschens, unübertrefflich, wo er Erlebtes und Erfahrenes schildert, blitzartig in die Tiefe der Materie hineinleuchtend, wo er demonstrirt und erklärt. Man glaubt es ihm, wenn er erzählt, daß er niemals im Leben seine gelehrten und classischen Studien unterbrochen, daß er sie selbst noch fortgesetzt hat, als er ermüdet auf den Baumstämmen gesessen, die er zur Gründung seines Heim mit eigenen Händen im Walde ausgerodet, ja als er bei den Sauheerden gerastet, die er zur Erhaltung seines Hauses Hunderte von Meilen weit selber auf die Weideplätze treiben mußte. Diese Stürme und Strapazen des amerikanischen Waldlebens, sowie des späteren Bürgerkrieges, in dem er als tapferer Officier sich Wunden geholt, sind nicht spurlos an der Gestalt des Mannes vorübergegangen, aber es ist erquickend, zu sehen, daß sie die frisch quellende Ursprünglichkeit seines innersten Kerns nicht trüben, die unverwüstlich auf das Hohe gerichtete Idealität seines Wesens nicht brechen konnten.

Ob Hecker auch als ein ganzer Deutscher zu uns zurückgekehrt ist? Diese Frage wurde in der letzten Zeit sehr häufig aufgeworfen, und es ist das sehr erklärlich. Eine Nation fühlt in dieser Hinsicht nicht anders als eine Familie. Sie wünscht, daß ein theures, lange von ihr getrennt lebendes Glied ihr auch in der Ferne jenes unbedingte Zusammenhangsgefühl und mitempfindende Verständniß bewahrt haben möge, aus dem der Familiengeist seine Nahrung schöpft. Wir glauben aber, daß dieser berechtigte Wunsch nur in den selteneren Fällen und nur unter ganz besonderen Umständen sich erfüllen wird. Hecker hat beim Hereinbruche schwerer vaterländischer Verhängnisse als ein Verstimmter uns verlassen müssen. Was wir in den fünfundzwanzig Jahren seiner Abwesenheit durchlebt und erlitten und was wir seitdem in heißem Arbeiten und in schwerem Ringen erstritten haben, davon hat er in weiter Ferne wohl mit herzlicher Theilnahme gehört und gelesen, aber er hat es in allen Einzelheiten nicht selber mit uns erduldet, nicht selber mit uns durchlebt und erstrebt. Darin liegt ein großer Unterschied, den bei ohnedies starker Lockerung der äußeren Bande selbst die aufmerksamste Notiznahme nicht auszugleichen vermag. In jeder Faser seines Wesens, ja fast in jeder Wendung seiner Rede ist Hecker ein Deutscher geblieben, unverwischt trägt er in seiner Erscheinung das Gepräge unseres nationalen Geistesadels, er kann und will die Milch nicht verleugnen, mit der er genährt ist, nicht Fremdheit gegen das Blut affectiren, das in seinen eigenen Adern fließt. Aber eine so ganze Natur, wie er, läßt sich von außen her nicht einflößen, was sie nicht in ihrem Innersten erfahren, woran sie nicht mit ihrem Herzblut sich betheiligt, was sie nicht selber ergriffen und durchschüttelt hat. In seinem politischen Familiengefühle ist der einstmalige deutsche Volksmann ein Amerikaner geworden, nicht blos weil er vom Hause aus begeisterter Republikaner ist, sondern auch, weil seinem eigensten Erfahren und Erleben ein so gewaltig Stück deutscher Geschichte fehlt, wie es gerade das letzte Vierteljahrhundert mit seinen nichtswürdigen Zertretungen und glorreichen Wiedererhebungen unseres Volksgeistes gewesen ist. Darum kann er doch nicht so ganz die Größe des Umschwungs ermessen, der sich bei uns vollzogen hat, und darum kann er auch wohl nicht mit der vollen Wärme des Herzens die Größe des Weges bewundern, auf dem bisher dieser Umschwung durch Thaten des Geistes wie des Schwertes errungen wurde. Es mag uns das immerhin schmerzen, aber wir werden die Letzten sein, Hecker einen Vorwurf daraus zu machen, daß er nicht so lebendig mit uns empfindet, was er nicht gemeinsam mit uns erlebt und erarbeitet hat.

Was Hecker’s beredte, aus so reinem, so überzeugungstreuem und thatkräftigem Herzen strömende Mahnungen in Bezug auf die noch vorhandenen Mängel unserer politischen und bürgerlichen Freiheit betrifft, so kommen sie gerade im rechten Augenblicke und werden in Deutschland nicht spurlos verhallen. Nicht in jedem speciellen Punkte braucht man die auf anderem Boden erwachsenen Anschauungen des alten Volkstribunen zu theilen. Fest aber steht bei Allen, die ihn hier gesehen, daß Jeder von diesem Menschen Erfrischung und anregendste Erhebung empfangen, Jeder ihn bewundern und lieben muß, der einmal ein paar Stunden in seiner Nähe gewesen ist.


Eine grausige That. – Vor einigen Tagen ging in New-York ein elegant gekleideter Herr, ein hübsch angezogenes Kind im Arme tragend, nach dem bekannten French-Hotel. Das Kind, welches anscheinend krank war, wurde von ihm in ziemlich roher Weise auf die Treppe gesetzt und mit folgenden hartherzigen Ausdrücken ausgescholten:

„Geh’ die Treppe selbst hinauf. Ich trage Dich wenigstens nicht,“ worauf das Kind mit zarter, flehender Stimme zu bitten anfing:

„O, lieber Papa, thu’ es doch! Du weißt ja, daß, seitdem ich vom Wagen überfahren worden bin und meine Füße verloren habe, ich nicht mehr gehen kann.“

Bei diesen Worten sammelten sich viele Herren um die Gruppe und ein Murmeln des Mißfallens ging durch die Menge. Doch der hartherzige Vater schien nicht darauf zu achten:

„Unsinn!“ schrie er. „Gehst Du nicht sofort die Treppe hinauf, so schlage ich Dich braun und blau.“ Und gleichsam diesen Ausspruch bestätigend, schlug er das unglückliche Kind so stark auf den Kopf, daß es umfiel. Dies Benehmen reizte die Menge auf’s Aeußerste.

„Ist das Ihr Kind?“ fragte ein Herr.

„Was geht Sie das an?“ war die schnelle Antwort.

„Er ist mein Vater, er ist mein Vater,“ schrie nun das Kind; „er hat meine Mutter getödtet und wird auch mich noch tödten.“

Der Vater ballte in voller Wuth seine Faust und wollte dem armen Kinde wieder einen Schlag versetzen; doch wurde er glücklicher Weise von einem starken Herrn daran gehindert.

„Wenn Sie nicht sofort Ihr brutales und verdammungswürdiges Benehmen aufgeben,“ sagte er, „so werde ich Sie durch einen Polizeibeamten verhaften lassen.“

Durch diese Worte noch wüthender gemacht, riß sich der Vater mit gewaltiger Kraftanstrengung los und suchte nach einer Waffe.

„Er nimmt sein Messer; nimm Dich in Acht!“ schrie das Kind; „er sticht Euch.“

Bei diesen Worten stob die Menge auseinander; nur zwei Muthige behaupteten den Platz.

„Holt einen Polizeibeamten, verhaftet ihn!“ riefen sie.

„Wenn ich verhaftet werden soll, brüllte darauf der Vater, „so will ich doch wissen, weshalb.“

Und ehe auch nur einer der Herren es verhindern konnte, vergrub er mit voller Kraft das Messer in des Kindes Körper.

Ein unarticulirter Ruf „Ich bin ermordet, er hat mich ermordet“ war das letzte Lebenszeichen des unglücklichen Wesens.

Alle stürzten sich auf den Vater. Doch dieser nahm ganz gelassen sein Kind auf den Arm, und seinen Hut abziehend, sagte er: „Meine Herren, dies ist ein hölzernes Kind; ich bin Bauchredner, und sollten Sie mir eine kleine Gabe verabreichen, so würden Sie mich dadurch sehr erfreuen.“ Lächelnd und mit reicher Ernte zog er sich zurück.

„Das war ein ausgezeichneter Spaß,“ meinten die Umstehenden. „Etwas mager!“ erklärte ein Weiser. „Die Welt will betrogen werden.“

v. H.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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