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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Gesellschaft, die Josephsandacht den ganzen März, die Marienandacht den ganzen Mai, die Herz-Jesu-Andacht den ganzen Juni hindurch, die zehnsonntägliche Ignatius- und die sechssonntägliche Aloysiusandacht. Bei allen diesen Andachten gefiel es mir auch in meiner orthodoxesten Periode niemals, daß die Heiligen viel mehr verehrt wurden als Gott. Als ich einmal darüber den Rector bescheiden um Auskunft ersuchte, schalt er mich einen Ketzer, der durch seinen früheren Umgang mit deutschen Protestanten sich solche kirchenfeindliche Ansichten angeeignet hätte.

Da durch Studium und anderweitige Verrichtungen der Geist zerstreut, vom Himmlischen ab- und dem Irdischen zugewendet wird, so werden jedes Jahr die Exercitien oder Recollectionen abgehalten, in denen die Seele sich wieder in Gott sammeln soll. Diese dauern im Noviziat vier Wochen, später acht Tage. Während derselben ist vollständiges Stillschweigen zu beobachten, täglich werden vier Betrachtungen abgehalten, deren jede mit Vorbereitung und Recapitulation eine und eine halbe Stunde dauert, die übrige Zeit wird in mündlichem Gebet, frommer Lesung und Vorbereitung zu einer Generalbeichte zugebracht.

Zur Uebung in der Abtödtung der Eigenliebe sind folgende ascetische Einrichtungen getroffen:

Die Culpa. Es kniet derjenige, welcher sich eine Uebertretung einer Regel oder der Hausordnung zu Schulden kommen ließ, im Speisesaale zu Anfang der gemeinschaftlichen Mahlzeit hin, küßt die Erde und bekennt sich aller seiner Vergehungen im Allgemeinen und im Besonderen der betreffenden schuldig. Ist das Vergehen größer, oder kommt es häufiger vor, so wird die Schuld auf Befehl des Oberen vom Vorleser veröffentlicht und dem Sünder eine Strafe zudictirt, wofür sich derselbe demüthigst zu bedanken hat.

Wieder ein anderes Demüthigungsmittel ist das Capitulum. Bei demselben muß der Büßende knieend vernehmen, wie jeder der um ihn herumsitzenden Mitbrüder dessen ihm bekannte Fehler nennt, die dann vom Oberen gerügt werden. Das Entdecken der Fehler von Seiten Anderer wird „geistiges Almosen“ genannt. Zweimal im Jahre muß Jeder seine eigenen Fehler zum Zweck der Vorlesung bei Tisch aufschreiben. An Fasttagen wird während der Mittagsmahlzeit ein niedriger Tisch in die Mitte gestellt und mit Büßern besetzt, welche daran in knieender Stellung essen und dann ihren Mitbrüdern die Füße küssen. Dieses Manöver wird auch Einzelnen als Strafe zudictirt. Andere Bußen sind: Geißelung seiner selbst über Tisch und Verbot des Ausgehens. Schwere Carcerstrafen hat der Orden jedoch nicht.

Außer den der Recreation oder Erholung gewidmeten Zeiten muß ein vollkommenes Stillschweigen beobachtet werden, so daß man auch zu seinem Zellengenossen nur in ganz dringenden Fällen reden darf. Besondere Regeln giebt es über die äußere, dem sittlichen Ernst eines Klostermannes entsprechende Haltung, modestia (Bescheidenheit) genannt. Sie schreiben unter Anderem vor, daß man das Haupt ruhig und gesenkt, die Augen, ohne sie rechts und links schweifen zu lassen, niedergeschlagen und beim Gespräch niemals auf des Anderen Augen, sondern unter dieselben gerichtet, den Mund weder offen, noch zu fest geschlossen, alle Glieder ruhig halten, nicht laut lachen und sich eines langsamen feierlichen Ganges befleißigen solle.

Was endlich das Noviziat, die erste Probezeit vor Ablegung der Gelübde betrifft, so erhält der Postulant, sobald er in das Kloster eintritt, einen Novizen zum Aufseher (angelus), dem er Gehorsam schuldet und der ihn mit den Regeln bekannt macht. Nach zwei bis drei Wochen macht er Exercitien, legt eine Generalbeichte von seinem ganzen Leben ab und wird dann in das Noviziat eingeführt, das zwei Jahre dauert. Es soll eine gründliche Vorbereitung zum geistlichen Leben, eine Schule der Abtödtung und des vollkommensten Gehorsams bilden. Daher darf er sich, wenigstens im ersten Jahre, fast gar nicht mit Studien befassen, sondern nur seiner Seele warten.

Zur besseren Uebung in der Demuth müssen die Novizen außer ihrem eigentlichen Vorgesetzten, dem Rector oder Novizenmeister, auch einem unter ihnen, dem Manuductor, gehorsam sein. Zum Manuductor wird aber durchaus nicht etwa der klügste und gebildetste Noviz ernannt, sondern gerade einer der jüngsten und dümmsten, wenn er nur barsch zu befehlen und alle Vergehungen brav anzuzeigen versteht, da ja der Gehorsam gegen einen solchen verdienstvoller ist, weil mehr dazu gehört, in einem jungen, unerfahrenen Mitnovizen Gottes Weisheit anzuerkennen, als in einem gebildeten, älteren Manne.

Wir wohnten als Novizen in einem großen, mit einem Altare geschmückten Saale Alle zusammen; Keiner durfte auch nur auf einen Augenblick dieses Heiligthum, Asceterium genannt, ohne Erlaubniß des Manuductors verlassen, der deshalb Jedem einen Begleiter bestimmte. In die Capelle oder in den Speisesaal gingen Alle paarweise, wie Spitalknaben, im Gebet versunken, die Augen tief gesenkt, die Hände auf der Brust gefaltet, wie lichtscheue Gespenster aussehend; der Aufpasser schritt hinterdrein. Im Asceterium selbst sagt der Manuductor die rasch nach einander folgenden Beschäftigungen, nachdem er zuvor geklingelt, mit den frommen Worten an: „ad majorem Dei gloriam et beatissimae virginis Mariae honorem,“ (zur höheren Ehre Gottes und der allerheiligsten Jungfrau Maria) worauf Alle hinknieen, ein „Ave Maria“ beten und die Erde küssen. Außer den schon erwähnten geistlichen Uebungen wechselt geistliche Lesung, die ein Jeder für sich abzuhalten hat, mit einer Litanei oder einem anderen Gebete, oder einer lauten Vorlesung; bald wird in die Capelle zum Gebet gegangen, dann wieder die Reinigung von Corridoren und Zimmern besorgt etc. So vergeht der Tag in solchen Beschäftigungen, die zur Abtödtung des Gemüthes wirklich die geeignetsten sind.

Bevor der Novize zu den Gelübden zugelassen werden kann, muß er mehrere größere, durch die Institutionen vorgeschriebene Proben gut bestehen. Außer den vierwöchentlichen Exercitien und der Katechisation gehören hierzu Arbeiten in der Küche und eine Wallfahrt oder Peregrination.

Die Peregrination dient dazu, daß der Noviz sich selbst das zu seinem Lebensunterhalte Nothwendige erbetteln und sich so auf Gottes Vorsehung verlassen lerne. Wir wurden Drei zusammen ausgesandt, wovon Einem das alleinige Recht zu befehlen zustand, der Zweite zu seiner Zeit zur Verrichtung der geistlichen Uebungen ermahnen, der Dritte die erbettelten Batzen bei sich führen sollte. Ohne das Ziel der Reise zu wissen, wurden wir angewiesen, beim Pfarrer des nächsten Ortes uns zu Tische zu bitten. Mitgegeben wurden uns zwölf Kreuzer zur Bestreitung der ersten dringenden Bedürfnisse, und ein versiegeltes Paketchen, in dem sich der Reihe nach kleinere befanden, von denen auf jeder Station immer das folgende geöffnet werden sollte, um die darin aufgeschriebene nächste Station zu erfahren, so daß wir erst auf der vorletzten das Endziel erfuhren, welches eine Klosterkirche war, in der wir einen Ablaß gewinnen sollten; ebenso ging es auf dem Rückwege, der wie bei den drei Weisen aus dem Morgenlande ein anderer war, als der Hinweg. Ueberall bettelten wir bei den Pfarrern und Gutsbesitzern „um der Liebe Gottes und Mariä willen“ um ein Almosen. Ein Pfarrer gab uns als wirklichen Bettlern eine Handvoll Kupfergeld; ein Gutsbesitzer ließ uns als Landstreicher zu seinem Hofe hinausjagen; fromme Seelen nahmen uns aber auf, bewirtheten uns reichlich und entließen uns mit einem Almosen. Die ganze Reise, die meist zu Fuß gemacht wurde, war als Abwechselung und Befreiung von dem ewigen Einerlei des Klosters doch noch etwas werth.

Nach diesen gut bestandenen Proben legt der Noviz die einfachen, das heißt durch den General des Ordens lösbaren Gelübde der Keuschheit, der Armuth und des Gehorsams ab; die feierlichen, nicht mehr lösbaren Gelübde (die Profeß) werden nach etwa zwölf Jahren abgelegt, nachdem zuvor noch ein Probejahr bestanden worden, das dem Noviziat ähnliche Uebungen in sich schließt.

Zum Schlusse noch Einiges über die Studien im Orden.

Im Allgemeinen wird das, was zu dem im sechszehnten Jahrhundert durch den General Claudius Aquaviva festgestellten Lehrplane gehört, sehr sorgfältig behandelt. Dieser Lehrplan hat aber keineswegs die allgemeine Bildung im Auge, sondern nur die priesterlichen Fachstudien und ihre Vorbereitungsdisciplinen, wie sie im Mittelalter aufgefaßt wurden. Latein ist die Kirchensprache, Philosophie die ancilla theologiae (die Magd der Theologie), Rhetorik zum Predigen nöthig; dieses sind also die drei wichtigsten Disciplinen.

Von der deutschen Literatur hält man natürlich nicht viel;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_533.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)