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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


gekommenen Glorie; sie hatten jedes Winkelchen der Capelle mit hunderten von strahlenden Kerzen versehen, die alle in silbernen Leuchtern brannten, und schon versammelte sich der Chor der Priester in vollem Ornate, um zu Ehren der „guten Sache“ eine feierliche Messe zu halten.

Compagnieweise aufgestellt, marschirte unsere Truppe langsamen Schrittes in die Capelle hinein und stellte sich im Schiff derselben auf. Bei dem Commandoruf „Armos!“ senkten sich siebzehnhundert[1] Musketen und Alle fielen auf die Kniee. Links vom Altare waren auf einer künstlichen Erhöhung zwei mit rothem Sammet bekleidete thronartige Sessel aufgestellt, die von Don Alfonso und Donna Blanca eingenommen wurden. Zur Rechten und Linken des Prinzen standen die beiden jungen bourbonischen Prinzen, Söhne des unglücklichen Don Enriquez, welcher bekanntlich vom Duc de Montpensier im Zweikampf erschossen wurde. Hinter diesen Beiden die vornehmsten Officiere der Carlisten: die Generale Miret und Tristany, Oberst Sampo und Wheeles, Befehlshaber der „Zuaven“, umgeben von ihrem Stabe. Feierliche Orgelklänge durchtönten die Capelle und in dieselben mischten sich, wenn auch nicht immer ganz harmonisch, die Stimmen von siebzehnhundert begeisterten „Defensores de Dios, Patria y Rey“. Selbst für den freisinnigen, vorurtheilslos Beobachtenden, für den hartgesottensten Parteigänger hatte die Scene etwas ungemein Feierliches und Packendes – sie ist mir unvergeßlich. Die von schlanken Marmorsäulen getragene, mit werthvollen Gemälden alter Meister behangene Capelle, die buntfarbigen Fenster, der geschmückte Altar, bildeten einen prachtvollen Rahmen für das lebensvolle Bild, welches sich darin entfaltete: die Schaar celebrirender Priester in scharlachnen und weißen Gewändern, in deren feisten oder von allerlei Leidenschaften durchfurchten Gesichtern wenigstens momentan das Bewußtsein, daß Don Carlos als Sieger dem mittelalterlichen Priesterthum wieder seinen Glanz verleihen werde, eine gewisse Verklärung hervorrief, dann das schöne aristokratische stolze Weib, die sich wie eine in spanische Grandezza übersetzte Johanna d’Arc von ihrer prunkvollen Umgebung abhob, die scharlachblauen, von Gold strotzenden Uniformen des Generalstabes Don Alfonso’s und im wirksamsten Gegensatze dazu diese siebzehnhundert carlistischen Streiter aus aller Herren Länder, welche entblößten Hauptes und erhobenen Antlitzes mehr oder weniger inbrünstig, mit mehr oder weniger Rührung für den Sieg ihrer Sache beteten. War doch kaum Einer darunter, der sich nicht hätte sagen können, daß er bei irgend einer ungünstigen Wendung für die carlistische Sache so recht eigentlich seine Haut zu Mark zu tragen bestimmt sei; aber es gab wohl auch Manchen, der über dem seltsam ergreifenden Eindrucke des Schauspiels Vergangenes und Zukünftiges vergaß.

Die letzten Klänge der Orgel verhallten in den Klostergängen; der Priester ertheilte mit feierlicher Stimme seinen Segen – ein Moment tiefen Schweigens, und dann erhoben sich die Soldaten und marschirten, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, gemessenen Trittes wieder aus der Capelle. Kurze Zeit später waren Alle in Klosterräumen untergebracht. Von dem Walle des Klosters dröhnte ein dumpfer Kanonenschuß – das Zeichen der Retraite. Bald lag Alles im tiefen Schlafe.

Am folgenden Morgen wurde die Truppe abermals zur Messe commandirt, dann folgte das Signal zum Aufbruch, welcher um neun Uhr stattfand. Die frommen Väter entließen uns mit ihrem Segen und ihren Glückwünschen, die schon um ihrer selbst willen aufrichtig gemeint waren. Die Colonne schlug den Weg nach Manresa ein; kaum mochten wir eine Meile zurückgelegt haben, so erhielt General Miret durch einen berittenen Boten eine Nachricht; es erfolgte ein kurzer Kriegsrath und dann der Befehl an die Truppe, wieder nach dem Kloster zurück zu marschiren. Zum zweiten Male vor dessen Pforten erscheinend, empfing uns eine heitere Musik und im Klostergarten fanden wir hundertfünfzig Barceloneser in kleidsamen Uniformen; sie trugen eine weiße Tunica mit grünem Kragen, weiße Pantalons mit grünen Streifen, graue Garibaldihüte, Alles carlistische Parteigänger. Diese Truppe hatte ein Musikcorps und stand eben im Begriff, sich ein Mittagsmahl im Freien zu bereiten; hier wurden Hühner und Gänse gerupft, dort in großen, über loderndem Holzfeuer aufgehangenen Kesseln eine Olla Potrida von mehreren Hasen und Kaninchen bereitet; weiterhin erblickte man Gruppen mit großen „porrones“ rothen Weines und Schüsseln voll rosiger Pfirsichen und Aprikosen, goldgelber Birnen und Orangen.

Auch wir machten uns nach gegebenem Commando eilend auf, den sehr guten Gasthof, die Weinschenken und Proviantläden zu belagern, um die starken Gelüste unseres schwachen Fleisches zu befriedigen, und erst als wir dem allgemeinen Götzen, welchem selbst die Frommgläubigsten nicht widerstehen können, reichliche Opfer gebracht hatten, durchwanderten wir gemächlich die schönen Gartenanlagen des Klosters.

Dem Nordländer würde gewiß die Leichtigkeit und Schnelligkeit aufgefallen sein, mit welcher hier die Carlisten sofort mit den barcelonesischen Weißvögeln fraternisirten. Ueberall bemerkte man Gruppen von Personen, die, wenn sie anderswo und in anderen Stimmungen zusammengetroffen wären, sich ohne allen Zweifel fanatisch geschlagen haben würden; hier aber schien Alles Ein Herz und Eine Seele; Landsknechte, Republikaner, Alfonsisten, Moderados, ja sogar schwarze Intransigentes (Communisten) sah man Arm in Arm in fröhlichem Geplauder, kauend, trinkend, rauchend, in buntem Durcheinander. Hier eine Gesellschaft Tanzlustiger bei Mandolinenkang und Castagnettengeklapper, da die scharlachrothen Männer Saballs’, dort stattliche Guias, Zuaven und schlichte Voluntarios, welche im lauten Chorus Carlistenlieder sangen.

Meine besondere Aufmerksamkeit erregte eine Procession jugendlicher Chorsänger mit reichgestickten Fahnen, die goldene Inschriften enthielten. In meiner Unkenntniß südländischer Gebräuche hielt ich die geistliche Musik, die sie mit Geige, Flöte und Clarinet machten, für lustige Walzer und Polkas, was sie im Grunde auch war. Voran watschelten, mit zweifelhafter Inbrunst fromme Lieder singend, schwere Kränze tragend, dickbäuchige Mönche in Prunkgewändern. So bewegte sich der ganze Zug langsam durch die Anlagen, und die Neugierigen schlossen sich ehrerbietig den frommen Leitern an.

Auf der Esplanade standen Reihen von Verkaufsbuden, deren Inhaber Reliquien und allerlei Andenken an den Montserrat und seine Klosterstadt feilboten. Da sah der tapfere Streiter für Gott, König und Vaterland überaus bunt colorirte Bilder rothhaariger Heiligen mit carminrothen Wangen und gurkenartigen Nasen, Madonnen mit goldfarbigen Locken und kornblumenblau angestrichenen aufwärts gerenkten Augen voll seelenvoller Resignation, Löffel und Gabeln, aus den geweihten Baumstämmen der Klosterumgebung gefertigt, welche die erstaunliche Eigenschaft haben sollten, die Verdauung der sonst unverdaulichsten Nahrungsmittel zu befördern.

Ferner sah man blaue und rothe Bändchen, Kreuzchen und Betkränze, Schnüre vielfarbiger Perlen und Amulete als sicherste Schutzmittel gegen Schuß, Hieb und Stoß, Medaillen und Ketten und hundert andere Kleinigkeiten ähnlicher Art und zu ähnlichen Zwecken, die alle unter unversiechbarem Wortschwall ausgeboten und unter Feilschen eifrig erhandelt wurden. Hier handelte ein riesiger Zuave um einen rothköpfigen Heiligen, der, wie sein Verkäufer betheuerte, zu fünfzehn Cuartos spottbillig war; da weilte an einer andern Bude der Commandant der Zuaven persönlich, um sich einige Ellen blauen Bandes eigenhändig an seine Boena zu befestigen. An seiner Seite stand ein sonnenverbrannter fast greisenalter Guia, der sehnsüchtig eine blauäugige in krebsfarbiges Gewand gekleidete heilige Jungfrau beschaute und offenbar in schwerem Kampfe zwischen seiner angestammten Frömmigkeit und seiner Liebe zu schnödem Mammon hin und her schwankte. Einige Schritte weiter feilschte einer der rothen Ritter Saballs’ eine ganze Sammlung von Kettlein, Amuleten, Medaillen etc. zusammen, um hernach damit unter seinen Cameraden einen ersprießlichen Zwischenhandel zu treiben.

Hierbei darf ich der schlanken schwarzäugigen Sennoritas nicht vergessen, die mit ihren schneeweißen Händchen und netten Füßchen umher tändeln und kokettiren, bald frei mit den bewehrten Mannen scherzend, bald verschämt vor den Ermahnungen der feisten Mönche die langbewimperten Augen zu Boden schlagend. Selbst die stolze Tochter des Hauses Braganza konnte dem allgemeinen Zuge nicht widerstehen und heftete zwei himmelblaue Bändchen kokett an ihre schneeweiße Boena. Ihr folgten wie ein Schweif von Trabanten ihr Gemahl, Don Francisco

  1. Vorlage: „stebzehnhundert“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_568.JPG&oldid=- (Version vom 13.11.2020)