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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

im sechszehnten Jahrhundert erzählt, ein, die Brukolaken riefen des Nachts vor den Häusern den Namen der Bewohner; wer darauf antworte, müsse sterben; sie antworteten daher immer erst auf den zweiten Ruf oder auf wiederholtes Klopfen. Brukolaken, Broukolaken, Zorzolaken, Nomolaken sind die griechischen Benennungen der Tympaniten; auf der Insel Kandia nannte man sie Katakhanes, in Serbien Vukodlaken, in Dalmatien, wo man sie als Mädchennachsteller und Urheber der Bleichsucht ansieht, Wudlowaken; in der Moldau Prekolitschen; in der Walachei Murony; in Polen Uziers. Die Walachen unterließen früher bei keiner Leiche gewisse Vorsichtsmaßregeln, die den Teufel hindern sollten sich ihrer zu bemächtigen.

In den älteren Vampyrgeschichten, die in so großer Zahl vorhanden sind, daß man damit Bände anfüllen könnte, tritt der kirchliche Ursprung dieser Aberglaubensform besonders deutlich hervor. So namentlich in einer Geschichte, die Erasmus Franciscus erzählt, welche 1672 in dem Marktflecken Kring in Krain passirt sein soll. Daselbst war vor sechszehn Jahren ein Mann, Namens Georg Grando, gestorben, der seitdem in den Straßen umherlief und bei den Leuten, die sterben sollten, Nachts an die Thür klopfte, insbesondere aber seine lebende Frau durch seine Nachtbesuche beständig belästigte. Dieselbe floh zum Supan (Bürgermeister) und bat ihn um Beistand. „Der Supan bittet deswegen einige beherzte Nachbarn zu sich, giebt ihnen zu saufen, spricht ihnen zu, sie sollen ihm Beistand leisten, daß solchem Uebel möge abgeholfen werden; weil dieser Georg bereits viele ihrer Nachbarn gefressen hätte, dazu die Wittwe alle Nächte überwältige. Worauf sie sich entschlossen, den unruhigen Nachtgänger anzugreifen und ihm das Handwerk zu legen. Diesem nach haben sich ihrer Neun aufgemacht, mit zwei Windlichtern und einem Crucifix und das Grab geöffnet. Da sie denn des entdeckten todten Körpers Angesicht schön roth gefunden, welcher sie auch angelacht und das Maul aufgethan. Worüber diese streitbaren Gespenstbezwinger dermaßen erschrocken, daß sie alle mit-einander davon gelaufen. Solches kränkte den Supan, daß ihrer neun Lebendige mit einem einzigen Todten nicht sollten zurecht kommen können, sondern bei bloßem Anblick desselben das Hasenpanier ergriffen. Derohalben sprach er ihnen zu und frischte sie an, daß sie mit ihm wieder umkehrten zum Grabe und ihm einen geschärften Pfahl vom Hagedorn durch den Leib zu schlagen sich bemühten, welcher Pfahl allemal wieder zurückprallte. Indessen hielt der Supan inzwischen dem Todten das Crucifix vor’s Gesicht und sprach also: ‚Schau, Du Strigon! hier ist Jesus Christus, der uns von der Hölle erlöset hat und für uns gestorben ist‘ etc. Dabei drangen dem Gespenst die Thränen aus den Augen. Da man den Pfahl nicht einzutreiben vermochte (was bei ihrer Betrunkenheit nicht zu verwundern gewesen sein möchte), begannen sie ihm den Kopf abzuhacken. Worauf der Todte ein Geschrey gethan und sich gewunden nicht anders, als ob er lebendig wäre, auch das Grab voll geblutet. – – Von welcher Zeit das Weib und andere Leute Ruhe vor ihm gehabt.“ Mit das Wunderbarste an der Sache bleibt, daß diese lachenden, weinenden und sich windenden Vampyre, die sonst so geschwind zu Fuße sind, der Execution niemals entfliehen. Wir sehen hier einen förmlichen Exorcismus dem besessenen Leichnam gegenüber, und da nach späterer Vorstellung nicht blos der ausdrücklich vollzogene Kirchenbann, sondern auch ein des Kirchenbannes würdiges Leben dem Teufel Gewalt über die Leichen der griechischen Christen gab, so war in Südosteuropa bald im eigentlichen Sinne des Wortes „der Teufel los“.

Es sind vornehmlich zwei Fälle, die zu amtlichen Ermittelungen im Anfange des vorigen Jahrhunderts geführt haben und ein ungemeines Aufsehen in ganz Europa hervorriefen, wovon die Protokolle noch heute den Vampyr-Gläubigen als Hauptbeweise ihrer Theorie dienen. Beide kamen bald nacheinander in der Nähe der ungarischen Grenze gegen Bosnien und Serbien vor, in Ortschaften, deren Bevölkerung aus sogenannten Raizen oder Ratzen, einer griechisch-katholischen Secte, bestand. In dem Dorfe Kisolova, Rahmerdistrict, starben 1725 innerhalb einer Woche neun Personen nach vierundzwanzigstündiger Krankheit, die vor ihrem Tode zum Theil ausgesagt hatten, sie seien in der Nacht von einem gewissen Peter Plogojowitz, der vor zehn Wochen im Dorfe gestorben und raizischer Manier beerdigt war, besucht worden, der sich auf sie gelegt und sie im Schlafe gewürgt habe. Man frug bei der Gradisker Behörde um die Erlaubniß an, den Körper auszugraben und nach Gebrauch damit zu verfahren, um weiterem Unheile vorzubeugen. Da man sich weigerte einen Bescheid von der Belgrader Regierung abzuwarten und mit Auswanderung drohte, wurde in Gegenwart des Popen und des „kaiserlichen Provisor“ (Serbien gehörte bekanntlich seit dem Frieden von Passarowitz, 1718, zu Oesterreich) aus Gradisk die Leichenbesichtigung vorgenommen, welche ergab, daß die Leiche nach zehnwöchentlicher Bestattung mit Ausnahme der eingefallenen Nase noch frisch und ohne Geruch erschien, daß Bart und Haar gewachsen war, daß die Oberhaut und Nägel abgestoßen waren und unter denselben Neubildungen befindlich. Man pfählte und verbrannte den Vampyr, dessen Mund und Leib mit rothem Blut gefüllt waren.

Der zweite Fall spielte 1728–1732 in Meduegia (Medvegya) in Serbien, einem damals ganz von raizischer Bevölkerung bewohnten Dorfe. Die Seuche war dort angeblich eingeschleppt worden von einem Haiducken Arnod Parle (Paul), der sich geäußert hatte, er sei früher im türkischen Serbien von einem Vampyr geplagt worden, habe sich aber mit Vampyrblut gesalbt und Erde vom Grabe seines Angreifers gegessen und sei so vom Tode gerettet worden. Kurz nachdem er von einem Heuwagen gestürzt und gestorben war, folgten ihm vier Personen, die ihn als den Urheber ihres Todes bezeichneten. Man grub Alle aus, fand sie vierzig Tage nach ihrem Tode in demselben Vampyrenstand, wie den obengedachten Plogojowitz, pfählte und verbrannte sie.

Inzwischen wurde behauptet, daß ein später eintretendes Viehsterben auch auf ihre Rechnung zu schreiben sei, und eine sechzigjährige Frau, Namens Miliza, welche von dem Fleische der von Vampyren getödteten Schafe (!) gegessen hatte, wurde 1731 als Urheberin eines neuen größeren Sterbens bezeichnet. Innerhalb dreier Monate starben siebzehn Personen in dem kleinen Dorfe, unter denen Einige behaupteten, Vampyrbesuche gehabt zu haben, und die Belgrader Regierung beauftragte den Regimentschirurg Flickinger, im Beisein zweier andern Chirurgen, mit einer Untersuchung. Das von ihnen am 7. Januar 1732 verfaßte und außerdem von zwei Officieren des Alexander von Würtemberg’schen Regimentes unterschriebene Protokoll besagt im Auszuge Folgendes: Es wurden vierzehn Leichen von Männern, Frauen und Kindern ausgegraben, die in den letzten drei Monaten gestorben waren. Vier derselben, die erst fünf resp. sieben Wochen im Grabe lagen, waren völlig verwest, zehn andere dagegen befanden sich nach Ansicht des Chirurgs im „Vampyrzustande“, ihre Eingeweide waren frisch, voller „balsamischen“ Geblüts, Haut und Nägel zum Theil abgestoßen und durch neue ersetzt. Die Leiche der Urheberin, welche durch Essen des an der Seuche gestorbenen Schaffleisches das Sterben eingeleitet hatte und seit drei Monaten beerdigt war, zeigte sich besser genährt und fetter, als sie – nach Ansicht der Ortsbewohner – bei Lebzeiten gewesen war. Man begrub die verwesten Leichen, ließ den andern durch Zigeuner die Köpfe abschlagen, den Leib verbrennen und die Asche in den Fluß Morava werfen. Der erwähnte amtliche Bericht ging durch alle Zeitungen Europas und rief eine ungeheure Aufregung hervor. Alle Welt sprach von den serbischen Vampyren, und in den Jahren von 1728 bis 1760 erschienen mindestens ein halbes Hundert verschiedene, mehr oder weniger umfangreiche und gelehrte Abhandlungen und Bücher über den Gegenstand. Einige derselben sollen direct auf Wunsch des deutschen Kaisers und des Königs von Preußen geschrieben worden sein.

Ich habe bei Abfassung dieses Aufsatzes sechs dieser Abhandlungen vor mir liegen, von denen vier im Jahre 1728 und 1732 bei August Martini in Leipzig erschienen sind. Dieser Buchhändler hatte sich, nebenbei gesagt, ganz auf Sterbeliteratur gelegt, die damals sehr in Mode gewesen sein muß. In seinem einer Abhandlung angedruckten Verlagskataloge zähle ich sechszig verschiedene Bücher, die alle vom Tode handeln und unter denen zehnmal der Titel Sterbekunst, Sterbeschule, „ohnfehlbare Kunst zu sterben“ wiederkehrt. Obige Autoren betrachteten die serbischen Vampyre auf die verschiedenste Weise. Die Einen schieben die Urheberschaft kurzweg dem Teufel zu; Andere glauben die Belebung und Erhaltung der Leichen einem Astral- oder Weltgeiste in die Schuhe schieben zu dürfen; Andere erblicken eine Seuche darin mit häufigem Vorkommen von Scheintod; noch Andere halten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_570.JPG&oldid=- (Version vom 7.4.2019)