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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

erkennen und mich zur Rede stellen würde. Ich wachte wie ein Argus vom Morgen bis in die Nacht, mir die Zeit oft mit Copiren, oft mit Skizziren vertreibend. Schon über dreißig Kaufliebhaber hatte ich abgewiesen – hoffte ich doch, daß die Kritik, welche mein Bild sehr hervorhob, in den betreffenden Kreisen bemerkt werden würde. Vergebens!

Ich übergab mein Gemälde endlich der Rheinischen Kunstausstellung und wanderte mit bis Köln. Schon war ich der Gegenstand der Bemerkungen der Aufseher geworden, – da eines Tages saß ich unweit von meinem Bilde, zum Zeitvertreib Skizzen in mein Taschenbuch zeichnend, als ich aus dem andern Saale her eine volle Männerstimme einen der Aufseher nach dem Inspector fragen hörte.

„Er ist ausgegangen.“

„Können Sie mir dann nicht sagen, wo das Bild ist, das kürzlich der Königin so aufgefallen?“

„Ah, vielleicht meinen Sie das ‚Schneewittchen‘? Es ist gleich hier neben.“

„Führen Sie uns hin, mein guter Mann!“

Ich hörte Schritte und ein Damenkeid rauschen; nach einer Weile ließ sich wieder die volltönende Männerstimme vernehmen:

„Merkwürdig! Die Königin hat Recht! Allerdings eine auffallende Aehnlichkeit. Höchst sonderbar! – Hören Sie, mein lieber Mann, das Bild scheint noch nicht verkauft zu sein?“

„Nein; aber der Künstler will es gar nicht verkaufen; er scheint ein Sonderling zu sein, denn er hat schon viele glänzende Gebote abgewiesen.“

„Können Sie mir seine Adresse angeben?“

„Er ist gewöhnlich in der Ausstellung. Da ist er!“

Dieser Ausruf scheuchte mich auf. Im nächsten Augenblicke stand ich sprachlos da. Vor mir befand sich das Ziel aller meiner Wünsche, am Arme desselben Herrn, mit dem ich die Dame im vorigen Jahre in der Münchener Ausstellung gesehen. Petrus, als ihm der Engel in himmlischer Glorie in der Finsterniß des Kerkers erschien, mochte es gewesen sein wie mir. Es schien mir, als ob die Seele durch meine Augen entweichen wollte; ich kam mir wie verklärt vor.

„Ich freue mich, den Schöpfer dieses herrlichen Kunstwerkes kennen zu lernen,“ begann der Herr; „ich hätte den Wunsch, es zu kaufen.“

„Ich bedaure,“ raffte ich nach einer Pause zusammen, „allein ich beabsichtige nicht, es zu verkaufen.“

„Wissen Sie, mein Herr, daß ich Sie nicht so leicht loslasse! Ich finde eine Aehnlichkeit, die mir kaum auf bloßem Zufall zu beruhen scheint, und wenn Sie uns nicht näheren Aufschluß geben, so werden Sie meiner Schwester kaum die Bitte abschlagen können, es uns abzulassen. Bestimmen Sie den Preis !“

„Ich bitte, ja!“ ließ sich jene melodische Stimme vernehmen, die mir so zu Herzen drang. Und doch blieb ich standhaft.

„Vielleicht wäre Ihnen mit einer Copie gedient?“

„Nein! Dann habe ich noch einen andern Vorschlag. Wie Sie auch zu diesem Kopfe gekommen sein mögen, wir wollen uns zur Herstellung des neuen Kunstwerkes gleich des Urbildes bedienen. Wählen Sie einen ähnlichen Vorwurf wie diesen, und meine Schwester sitzt Ihnen dazu. Wir werden den Winter in Berlin zubringen, und es wird uns am besten passen, wenn Sie das Bild dort anfertigen. Die Bedingungen überlasse ich Ihnen zu bestimmen.“

„Es wird mir eine Ehre sein.“

„Ich werde erfreut sein, Sie vom Herbst an in Berlin zu empfangen. Hier meine Karte!“

Während der Herr seine Karte aus der Brieftasche zog, versuchte ich die Dame anzureden; allein ein Zug weiblicher Hoheit schüchterte mich so ein, daß ich nicht den richtigen Gedanken fand und nur etwas stotterte, bis der Herr, schon wieder seine Schwester am Arme, sich empfahl, mich offenen Mundes mit der Karte in der Hand zurücklassend. Ich las die letztere und ließ sie vor Bestürzung fallen. Es stand darauf.

Herzog Ernst von Waldemberg.

Lebewohl, Du schöner Liebestraum! Lebe wohl, mein Freund! Entweder Du hörst lange nichts mehr von mir, oder Du schließest mich selbst in die Arme.

Ob ich mein Versprechen halte?

Dein Walter.


3.

          Liebe Amalie!

Litt ich schon Schiffbruch in Deinem Herzen, oder komme ich noch zeitig genug, um an einem Strohhalme mich zu retten? Ach, wüßtest Du, welcher Abstand besteht zwischen dem Versprechen auf einsamem Schlosse, wo die Vergehen des Schafbuben eine Woche lang den Text zum Gespräche bilden, und dem Worthalten in der Residenz, wo jede Stunde des Tages ihre Bestimmung eine Woche im Voraus erhält, wo an ein Weltereigniß in der nächstfolgenden Stunde kaum mehr gedacht wird, – Du würdest mildernde Umstände zugeben, Amalie, und verzeihen. Was dachte ich auch nur, als ich Dir versprach, jeden Abend zu schreiben! Der Bericht eines einzigen Tages wird genügen, Dich zu überzeugen, daß hier Wortbrechen keine Sünde ist.

Wenn ich um neun Uhr mit Ernst das Frühstück eingenommen und er in’s Abgeordnetenhaus sich begeben hat, mache ich mich für meine Professoren bereit. Gesang, Musik, Sprachübungen und Literatur füllen den Morgen aus. Nach dem Gabelfrühstück folgen in bunter Reihe Besuche in den Ateliers und Galerien, auf denen allen mein Bruder mich begleitet; kaum komme ich nach Hause, um für Tisch Toilette machen zu können. Nach Tische ist entweder Empfang bei uns, oder wir besuchen das Theater, ein Concert, eine Soirée. Bälle gab es bis jetzt noch nicht. Sind wir endlich wieder daheim, so muß ich Ernst etwas vorspielen, denn das nennt er seine Erholung, und so wird es sehr spät, bis ich auf mein Zimmer komme. Schriebe ich hier noch Briefe, so entständen gewiß traurige, verdrießliche Episteln, an denen Du ebensowenig Freude hättest wie die Verfasserin selbst. Dir Alles zu erzählen, habe ich ja noch lange Muße, wenn ich nächsten Sommer wieder in Heiligenstein bin, wonach ich mich, offen gestanden, wäre Ernst nicht, der meiner bedarf, stets zurücksehnte.

Die Hauptneuigkeiten, gute Amalie, bekommst Du aber dennoch schriftlich, und wenn ich auch heute nichts besonders Wichtiges mitzuteilen habe, so wird es an Stoff zu Briefen künftig nicht fehlen. Eins darf ich nicht vergessen, Dir mitzuteilen. Dein Wunsch, mich gemalt zu sehen, ist erfüllt. Höre, auf welch’ wunderliche Weise! In der Rheinischen Ausstellung befand sich vor Kurzem ein Bild, das als Meisterwerk moderner Kunst gepriesen wurde, und dem schließlich auch noch viele Personen, worunter sogar die Königin, eine Aehnlichkeit mit Deiner Freundin entdeckt haben wollten.

Ernst ging mit mir hin, obgleich er dem Gerüchte wenig Glauben schenke, da er mit Dir irrig meint: gleich Eurer Hedwig gäb’s keine Zweite. Da hatten wir’s! Hedwig, Prinzessin von Waldemberg, blickte uns, wie sie leibt und lebt, aus dem Rahmen an, nur in’s bescheidene Kleidchen eines Schneewittchens gehüllt und etwas idealisiert!

Ernst war, ich weiß nicht ob wütend, ob entzückt. Er hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich nach dem Künstler zu erkundigen, um sich das Bild anzueignen. Als solcher wurde uns ein junger Mann, der sich zum Glück gerade in der Galerie befand, gezeigt. Ein hochgewachsener, blonder, blauäugiger Jüngling, mit schwärmerischem echt künstlerartigem Gesichtsausdruck, dessen feste Weigerung, das Bild zu veräußern, indessen von sehr entschlossenem Charakter zeugte. Sogar meinen Bitten widerstand er, Amalie! Zu einer Aufklärung der Aehnlichkeit kam es gar nicht – entweder der junge Mann wich geschickt aus, oder er verstand gar nicht, auf was Ernst’s Fragen anspielten. Er hatte etwas eigenthümlich Scheues, Befangenes.

Unverrichteter Sache weiter zu gehen, ist indessen meines Bruders Art nicht. Er schlug daher dem Maler vor, wenn er durchaus sich nicht vom Bilde trennen wollte, ein zweites zu malen, als dessen Modell ich bereitwilligst selbst sitzen würde. Hierauf ging der junge Mann ein, und so gaben wir ihm Rendezvous auf den nächsten Monat in der Hauptstadt. Vielleicht hätte ich die Geschichte vergessen, wenn nicht Ernst oft darauf zurückgekommen, ja sogar darauf gedrungen hätte, daß ich mir ein Kleid anfertigen lasse, ähnlich wie das, welches Schneewittchen im Bilde trägt.

Gestern kam der Künstler zum ersten Male, und ich erfuhr, daß sein Name Walter Impach sei. Er muß wenig in Gesellschaft gewesen sein, denn sein befangenes Wesen erinnert mich immer an die empfindsame Pflanze in Deinem Blumentisch, die zusammenfährt, sobald man sich ihr nähert. Nach kurzem Gespräche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_576.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)