Seite:Die Gartenlaube (1873) 582.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


warmes Gefühl und sein richtiges Verständniß für die heilsamen, namentlich die humanen Wirkungen einer kräftig freisinnigen Politik in die Reihen der Liberalen geführt und darin festgehalten. Wie sehr seinem milden, fast weichen Wesen aller Streit und daher eine scharfe Opposition von Haus aus zuwider ist, so kann ihn doch jedes Unrecht, das er wahrzunehmen glaubt, jede engherzige Abweichung von dem, was er mit seinem klaren Geiste als nothwendig und förderlich für Land und Volk erkennt, so kann ihn namentlich jede Antastung der hohen und heiligen Güter der Gesammtnation tief in seinem Innersten aufregen, so daß alle Rücksichten bei ihm schwinden und der sonst so maßvolle und so sanfte Mann zum flammenden Redner, zum gewaltigen, schlagfertigen Kämpfer wird.

Jede Partei, die öfters in die Lage kommt, der Regierung Opposition zu machen, oder doch die Maßregeln der Verwaltung scharf zu controliren (wie das bei der liberalen Partei der Fall ist), muß eine Anzahl technischer Specialitäten in ihrer Mitte haben, welche im Stande sind, einer solchen Controle oder Opposition Nachdruck oder Gewicht zu geben, namentlich in Bezug auf die wirthschaftlichen und finanziellen Fragen. Die liberale Partei Sachsens besaß auf den beiden letzten Landtagen nicht blos unter den Abgeordneten aus den Kreisen der Handel- und Gewerbtreibenden – wie Schnoor, Penzig, Strauß, Küntzel, Pornitz, Israel, Klemm, Lange etc. – manche finanzielle und wirthschaftliche Capacität, sondern selbst von den ländlichen Abgeordneten hatte mehr als einer sich namentlich in die Budgetfragen tüchtig eingearbeitet, und es war zwar ein ungewohnter, aber nicht unberechtigter Vorgang, einfache Landwirthe wie Oehmichen, Fahnauer, Meyr, Polenz über die wichtigsten Capitel des Staatshaushaltes referiren zu hören. Von allen finanziellen Capacitäten der liberalen Partei war Jordan wohl mit die bedeutendste, daher ein äußerst werthvoller Vorkämpfer der Partei in Budget-, Steuer- und ähnlichen Fragen.

Für die eigentlich volkswirthschaftlichen Aufgaben der Kammer und der Partei standen der letzteren zwei ganz specielle Capacitäten zu Gebote, durchgebildete Theoretiker, zugleich aber durch ihre Berufsthätigkeit auch dem praktischen Leben vertraut. Es waren dies die beiden Secretäre der Leipziger und der Dresdener Handelskammern, Dr. Gensel und Dr. Rentzsch, der gegenwärtig Director der sächsischen Eisenbahn-Baugesellschaft ist. Der erstere zeichnete sich beim jüngsten Landtage namentlich aus durch einen äußerst günstigen Bericht über die schwierige Steuerfrage – einen Bericht, der angeblich selbst in Berlin Aufmerksamkeit erregt und seinem Verfasser eine Anfrage wegen Eintritts in den Reichsdienst angetragen hat. Mehr noch und länger schon ist Dr. Rentzsch in weitesten Kreisen bekannt und angesehen: als vieljähriges Mitglied des Congresses deutscher Volkswirthe, eine Zeit lang auch des ständigen Ausschusses desselben, als einer der Hauptagitatoren für das wichtige nationale Unternehmen des Elbe-Spree-Canals, ferner durch sein großes „Volkswirthschaftliches Handwörterbuch“, das er in Gemeinschaft mit dem verewigten Lette, mit Prince-Smith, Böhmert, Emminghaus, Gensel u. A. herausgab. In politischen und namentlich in nationalen Fragen vertrat Rentzsch jederzeit eine ebenso der Sache nach entschiedene und festgegründete, wie der Form nach maßvolle und daher selbst von der Gegenseite mit Achtung behandelte Ueberzeugung.

In allervorderster Linie der Verhandlungen stand bekanntlich beim jüngsten sächsischen Landtage, sowohl nach der Wichtigkeit der Sache als nach der Lebhaftigkeit der Debatten darüber, das neue Volksschulgesetz. Hier galt es den Entscheidungskampf mit der Orthodoxie, welche die Volksschule nicht aus ihrem Banne entlassen wollte, und mit einer politischen Partei, welche wohl weiß, daß, „wer die Schule hat, das Volk hat“, und welche den freien Geist, den sie fürchtet, frühzeitig gedämpft sehen möchte mit Hülfe eben jener Orthodoxie. In diesem Kampfe stand die liberale Partei wie Ein Mann auf Seiten der Forderungen der Gegenwart für die Volksschule als Pflanzstätte eines freien, selbstdenkenden Gemeinde- und Staatsbürgerthums. Männer von entschiedener Gesinnung, und die zugleich meist dem Volksschulwesen entweder praktisch durch ihren Beruf – als Stadt- oder Gemeinderäthe oder theoretisch durch ihre Bildung oder in beiderlei Hinsicht nahestanden, fanden sich hier zusammen, an ihrer Spitze Dr. Panitz, der soeben zum Director der ersten Bürgerschule Leipzigs berufen war, und als Vorstand der Deputation Professor Biedermann. Die schwerste, aber auch wichtigste Aufgabe fiel dem Referenten Dr. Panitz zu, und er war es, der in seinem Schlußworte als Referent die feurige Mahnung an seine Partei und an die ganze Kammer richtete: „Es handelt sich um eine Machtfrage zwischen der ersten und der zweiten Kammer, zwischen den Vertretern einer exclusiven Gesellschaftsclasse und den Vertretern des ganzen Volkes; es handelt sich zugleich um eine Frage des Gewissens und der innersten Ueberzeugung, in der man nicht feilschen, nicht wegen äußerer Zwecke praktischer Opportunität ein klar erkanntes, unveräußerliches Princip aufgeben darf.“ Er feierte mit dieser Rede einen glänzenden parlamentarischen Triumph, denn eine Majorität blieb fest und standhaft gegenüber der Regierung wie der Ersten Kammer bei dem einmal Beschlossenen stehen; von der ganzen liberalen Partei fehlte nicht Ein Mann bei dem entscheidenden „Nein!“, womit das Gesetz zurückgewiesen ward.

Neue Ergänzungswahlen stehen in Sachsen auf der Tagesorduung, und so ist denn kein Zweifel, daß auf dem Landtage von 1873 bis 1874 wiederum eine liberale Partei erscheinen und ihre Pflichten erfüllen wird, fest und treu im Geiste des deutsch und frei gesinnten Sachsenvolkes.




Aus amerikanischen Gerichtssälen.
1. Der Vatermörder.


Das Gebäude, in welchem der „Oyer und Terminer“ Gerichtshof von New-York seine Sitzungen hält, war am 23. Juni dieses Jahres förmlich belagert. Nicht nur der Gerichtssaal selbst war zum Ersticken voll, auch die Corridors, die Treppen, ja den freien Platz vor dem Hause erfüllte die neugierige Volksmenge. Capitalverbrecher auf der Anklagebank zu sehen, ist in der Stadt New-York eben nichts Außergewöhnliches, und an Sensationsverbrechen jeder Art pflegt wahrlich auch kein Mangel zu sein; es mußte diesmal also wohl ein ganz besonders interessanter Fall vorkommen. So war es in der That. Eines von den Verbrechen, die zu allen Zeiten und unter allen Völkern als namenlos entsetzlich gebrandmarkt und mit ewigem Fluche belegt worden sind, war begangen worden – ein Vatermörder sollte gerichtet werden. Nur mit großer Anstrengung konnten die Gerichtsdiener einen Weg durch die dichtgedrängte Volksmasse bahnen, als Richter Davis erschien, um seinen Platz als Vorsitzender des Gerichtshofes einzunehmen. Es war zehn Uhr vorüber, als der Sheriff den Angeklagten brachte und ihn zu einem Sitze vor der Richterbank führte. Es war ein noch ganz junger Mensch, kaum zwanzig Jahre alt, der hier, mit der erwiesenen von ihm selbst bekannten Schuld des gräßlichsten aller Verbrechen belastet, vor dem ernsten Richter saß. Aber diese Schuld schien ihn nicht niederzudrücken; im Gegentheil, er saß da, mit gleichgültiger, ja frecher Miene den Gerichtshof musternd, während ein höhnisches Lächeln sein blasses feingeschnittenes Gesicht zuweilen durchzuckte, ein Bild des heutigen aristokratischen sogenannten Jung-Amerika, das, auf sein Geld und seine Verbindungen pochend, Allem, was Recht und Sitte heißt, trotzen und hohnsprechen zu können wähnt. Kurz darauf erschienen die vier Anwälte, welche es übernommen hatten, ihre ganze Kunst aufzubieten, den Vatermörder der Strafe oder doch wenigstens dem Stricke des Henkers zu entreißen, an ihrer Spitze der gelehrteste und berühmteste Advocat New-Yorks, ja vielleicht der Union, Charles O’Connor. Sie schüttelten ihrem Clienten herzlich die Hand und setzten sich ihm zur Seite. Eine hohe Greisengestalt schritt jetzt auf den Angeklagten zu; es war sein Onkel, der alte Oberrichter Barbour; ohne ihn zu grüßen, reichte er ihm schweigend die Hand und nahm dann seinen Sitz neben dem Hauptvertheidiger ein. Als öffentliche Ankläger waren die Districtsanwälte Phelps und Rollins erschienen. Richter Davis erklärte die Sitzung für

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_582.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)