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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


des Hauses, mit der Alle tanzen wollten, mußte ich russischer Manier huldigen und stets nur eine Tour bewilligen, wollte ich nicht die Hälfte der Herren unbefriedigt nach Hause senden. Dir etwas erzählen vom Hergang des Festes wäre schwer, denn man kam ja nicht recht zu Sinnen. Hier ein flüchtig hingeworfenes Wort, dort der mit einem Lächeln aufgenommene Glückwunsch, jetzt ein Tanz, dann ein mit der Schnelligkeit eines Feuerwerks geführtes Gespräch. So ging es wenigstens bis zum Souper fort. Als wir um die große Tafel in der Halle saßen, sah man erst, welch auserwählter Kranz von schönen Mädchen und Frauen sich heute Abend versammelt hatte. Und Alles war fröhlich, des Lachens und Plauderns kein Ende.

Als zum Cotillon gerufen wurde, den ich eröffnen sollte, kam mir erst in den Sinn, daß ich ja bis jetzt aufgeschoben hatte, mir einen Tänzer zu wählen. Ich blickte einen Augenblick umher – dort, im Boudoir, unter meinen Blumen stand der Künstler, das große blaue Auge prüfend auf mich gerichtet – war nun nicht er ebenso gut wie ein Anderer? Gestehe, Amalie, war das nicht ein närrischer Gedanke? Ich, die Besonnene, wie kam ich nur darauf? Ich sah das auch gleich ein, und ging zu Ernst, um ihn leise zu fragen, ob es ihm recht, wenn ich mit Werdau den Tanz eröffnete.

Er nahm den jungen Mann, der neben ihm stand, bei der Hand und sagte darauf:

„Soeben hat Fürst Arsent mich um Deine Hand für diesen Tanz gebeten und ich versprach, ein gutes Wort bei Dir einzulegen.“

Zu gütig, Herr Bruder! dachte ich bei mir, nahm aber doch Arsent’s Arm und ging mit ihm an unsern Platz. Ich hätte so gerne mit Werdau getanzt, den ich seit dem Gespräch mit seinem Onkel von ganz anderer Seite kennen lernte.

Wahrscheinlich glaubten die jungen Herren, es sei ihre Pflicht, mich als Dame des Hauses keinen Augenblick in Ruhe zu lassen; nicht einmal bei uns im Schlosse, Amalie, habe ich Aehnliches geleistet. Endlich mußte ich doch die Hand abwehrend erheben, wenn Einer um den Andern an mich herantrat. Das mußten Einige bemerkt haben – sie ließen mich in Ruhe, und ich konnte dem Idyll lauschen, das mein Cavalier mir in’s Ohr flüsterte, indem er sein Schloß, die reizende Umgebung und auch seinen Vater beschrieb, der ein liebenswürdiger alter Herr zu sein scheint. Plötzlich sah ich wieder eine Hand vor mir, die mich mit einem Sträußchen Schneeglöckchen zum Tanze einlud. Ich blickte nicht einmal auf, sondern wehrte stumm ab, als ein Seufzer sich hören ließ und die Schneeglöckchen zur Erde sanken, ein Zeichen der Verzweiflung, das mich doch die Augen aufschlagen hieß. Vor mir stand Herr Impach, mit gesenktem Haupte, im Begriff, seine dunkle Ecke wieder aufzusuchen.

„Ich war müde und sagte schon mehr als zehnmal Nein!“ sprach ich begütigend, stand aber doch auf und legte die Hand auf seine Schulter.

Erinnerst Du Dich, wie wir das Kunststück des Hofmarschalls von Eppstein bewunderten, als er uns zeigte, wie er mit der Königin tanzen müsse? Ebenso tanzte der junge Künstler mit mir, das heißt, ohne mich zu berühren, der einzige Halt, den er hatte, war die Hand, welche ich auf seine Schulter gelegt, und dennoch flog ich niemals im Leben so leicht dahin. Als wir zurückkamen, hob der sonderbare Mensch die vorhin entfallenen Schneeglöckchen wieder auf und entfernte sich dankend. –

Schon die Art, mit welcher mir Ernst den Fürsten aufgedrungen hatte, gab mir zu denken. Ich war also ziemlich vorbereitet, als er mich, nachdem die Gäste sich entfernt, in das allerliebste neue Zimmerchen zog, und seinen Wunsch, mit mir zu sprechen, kund that.

„Du bist heute zwanzig Jahre alt,“ begann er, und obgleich ich wünschen möchte, die jetzigen Verhältnisse blieben sich ewig gleich, so darf ich dem Wunsche meines Herzens doch nicht folgen, darf kein Egoist sein, sondern bin verpflichtet, Vaterstelle an Dir zu vertreten und für Dein künftiges Wohl zu sorgen. Daß Viele es als ihr höchstes Glück erachten, sich mit Deiner Schönheit, Deinem Namen auf ewig zu verbinden, weißt Du –, mir mußt Du erlauben, unter den Vielen auszuwählen und Dir dann den Besten zum Annehmen oder Verwerfen vorzuschlagen. Mit einem solchen Antrage komme ich heute zu Dir – kannst Du nicht errathen, meine Hedwig?“

„Graf von Werdau war diesen Abend überaus aufmerksam, noch mehr, als er es sonst schon ist. Hätte er –?“

„Werdau, mein Kind, wird freilich heute oder morgen auch kommen, und es wäre deshalb gut, wenn vorher schon etwas beschlossen würde. Ich schätze ihn hoch als Freund, muß jedoch in der Wahl meines künftigen Schwagers viele Rücksichten nehmen. Du weißt, daß Werdau nur das sehr bescheidene Vermögen seiner Mutter besitzt, da sein Vater Alles verbrauchte. Dieses reicht lange nicht aus für die großartigen Bedürfnisse des in der Gesellschaft sehr gesuchten jungen Mannes, so daß er in hohem Grade von seinem alten Onkel abhängig ist. Obgleich es nun wahrscheinlich, daß Werdau und sein Vetter einst den Alten beerben, und der Name von Werdau-Gerhardt keinen üblen Klang hat, so ist mit nichts weniger als mit Sicherheit hierauf zu rechnen. Mit Werdau, mein Kind, ist es nichts. Mein Candidat aber ist Fürst Arsent.“

„Lieber Ernst,“ sprach ich, den Arm um den Bruder schlingend, „laß mich noch eine Zeitlang mit Dir glücklich sein! Ich weiß ja, daß ich stets für mein eigenes Glück am besten sorge, wenn ich Deinem Rath gemäß handle. Mir Arsent darfst Du mir aber nicht kommen!“

„Nicht so absprechend, Hedwig!“ sprach Ernst in sanftem Tone, meine Liebkosung erwidernd. „Lerne Arsent erst kennen, dann gieb mir Dein entscheidendes Wort! Du weißt, daß weder Deine Mutter, noch Deine Ahnen wie die Schäferinnen dem Drange des Herzens folgten, sondern Familienrücksichten in Betracht zogen, und doch recht glücklich wurden. Um Dich, süße Hedwig, werden, wohin Du auch den Fuß als Herrin setzest, stets glückliche Gesichter strahlen, denn Du lachst Einem ja die Seligkeit in’s Herz hinein. Jetzt gute Nacht, schönes Schwesterchen! Schlafe süß und laß Deine Träume durch keine stürmischen Bewerber stören! Du hast ja Zeit.“

Ich ging sinnend zu Bette; hätte ich Dich hier, Amalie, wir kämen zusammen der Sache bald auf den Grund. Doch wie Dir den Zustand meiner Seele beschreiben, in der unwiderstehlicher Widerwillen gegen Arsent aufsteigt, und doch wieder der Wunsch, dem Bruder zu folgen, manchmal die Oberhand bekommt. Unmöglich kann ein mächtigeres Gefühl für Werdau an diesem Kampfe schuld sein, – ich bin mir nicht bewußt, in ihm jemals mehr als einen angenehmen Gesellschafter gesehen zu haben. Heute Abend, beim Anblick der Sorgsamkeit, mit welcher Alles zu meiner Ueberraschung geordnet war, kam etwas wie zärtliche Regung in mir auf, doch war dies wahrscheinlich nur die Verzeihung für seine Ungeschicklichkeit beim Spazierritte.

Werde Du aus Hedwig klug, meine Amalie! Ich gehe zur Ruhe und suche die tausend Eindrücke der letzten Tage zu vergessen. – Auch Ernst erzählte mir, wie ihm der alte Baron Gerhardt einen wahnsinnigen Preis für Rembrandt’s „Alte“ bot. Der Narr! Er weiß doch, daß mein Bruder ebenso an seinen Bildern hängt, wie er an seinen eigenen.

Adieu, meine Freundin! Ich muß diesen endlosen Brief doch einmal schließen.

Schreibe bald Deiner

Hedwig.“

(Fortsetzung folgt.)




Der Moorbrecher.


„Zwischen Hecken und Dorn, zwischen Weizen und Korn, zwischen Blumen und Gras“ war ich am frühen Morgen dahingewandert, aber alle die wechselvolle Anmuth unserer Geestlandschaft hatte meinen Fuß nicht aufgehalten, denn ich wollte hinein in’s Moor, tief hinein, immer südwestlich vorwärts von meiner Oldenburger Heimstätte aus, und ich mußte geizen mit der Zeit.

Nun lag es vor mir, das Moor. Vor meinen Füßen leise ansteigend, eine braune Fläche, ohne Pflanzendecke, ohne Leben und Bewegung, mit fast unbegrenztem Horizonte, nur daß hie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_594.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)