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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Arrangiren Sie die Haare jetzt selbst!“

Ich wußte, daß nun wieder der Pudel angeredet wurde, denn das kann ich schwören, einen Gleichgestellten ließe sie ihr goldenes Haupt um keinen Preis berühren.

Trotz dieses niederdrückenden Gedankens durchzuckte es mich elektrisch, Gottfried, im Bewußtsein, die theuren Locken berühren zu dürfen. Ich trat zu ihr und legte beide Hände auf das heilige Haupt. Hätte ich’s niemals gewagt, Freund! Mein Frevel wurde arg bestraft! Kaum fühlte ich die weiche Seide an meinen Fingern, da kam ein Zittern über mich, eine Angst. Die Haare schienen sich wie Schlangen um meine Finger zu ringeln, ich bebte wie ein Kind. Und dennoch war mir’s, als müßte ich im nächsten Momente das theure Haupt mit aller Kraft der heißesten Liebe, die jemals Menschenbrust erfüllt, an mein schwellendes Herz ziehen – Thränen, welche die beängstigte Seele erleichterten, heiße Thränen auf dieses Goldhaar weinen! Wie ein Kind dem Feuer, entzog ich die Hände der verführerischen Gluth und gewann Fassung genug, um mich für zu ungeschickt zu erklären. Du, der nicht zugegen, kannst dies Alles nicht begreifen; Du mußt mich für läppisch, für kindisch halten, und dennoch, Gottfried, war ich nie so ich selbst, wie jetzt. Der Beweis davon ist, daß das Bild, welches ich male, Alle, die es betrachten, in Erstaunen setzt. Auch verschließt mir diese Liebe nicht immer den Mund; ich kann stundenlang mit ihr sprechen, von unserer Kunst, von meinem Leben, ja sogar von meinen Zukunftsplänen. Und sie hört geduldig zu, ja sie geht manchmal darauf ein, so daß es nie an Stoff zur Unterhaltung gebricht. Zu Zeiten, wenn ich den Reden lausche, die sie mit andern jungen Leuten (ein Schwarm, Gottfried, zum Verzweifeln, und doch so natürlich!) – wenn sie mit diesen spricht, obgleich die Munterkeit selbst, scheint es mir doch, als ob sie sich weniger gehen ließe, als wenn wir allein; es will mir dünken, als nehme sie weniger Interesse an den Gegenständen, die hier das Gespräch bilden, als wenn von Kunst die Rede ist. Und doch ist das vielleicht nur meine Einbildung.

Nach welchen Verdiensten man in diesen Kreisen urtheilt, lerne ich nach und nach erfahren. Der Fürst, bei dem mein Bischen Talent viel Anklang findet, ist doch gerade noch einmal so liebenswürdig, seit ich ein wildes Pferd, das seinen Reiter abgeworfen, bändigte und mit ihm in den Park ritt. Was mein Bild nicht veranlaßte, einen warmen Druck der Hand, das brachte mir dieser elende kleine Kunstgriff ein – ein gewagter Sprung, meine Kraft des Schenkeldruckes, meine leichte Hand.

Und so werde ich denn mitgenommen. Folge ich allgemeinen Einladungen nicht, so wird im Atelier Beschlag auf mich gelegt, und ich muß mit, muß Tag für Tag neue Qualen, neue Wonnen ausstehen, so war ich vorige Woche auf einem Balle im Hause des Herzogs zugegen. Hättest Du sie gesehen! Und mir war es vergönnt gewesen, mein Herzensidol zu schmücken, das heißt freilich nur durch die Hand der Kammerjungfer, – aber das ist doch schon mehr Glück, als ich verdiene, daß sie mich fragt, wie sie sich kleiden soll. Wieder der Pudel wahrscheinlich!

Ich habe mit ihr getanzt, Gottfried. Vielen schlug sie ab, weil sie müde; mich hat sie erhört, obgleich ich kaum weiß, wo ich die Unverschämtheit hernahm, vor sie hinzutreten. Glaubst Du, ich wäre im Stande gewesen, ihren Leib zu berühren? Nicht, wenn’s mich mein Leben gekostet, und so tanzte ich denn frei mit ihr durch den Saal. Was ich während jener Minuten des Schwebens mit ihrer Hand auf meiner Schulter empfunden, hat mich wieder zum Entschlusse gebracht, zu entfliehen. Sobald mein Bild vollendet, verlasse ich diese Stadt und kehre um keinen Preis zurück. Denn es thut nichts; ich mag die Augen so fest verschließen, wie ich will, einiges Licht dämmert doch durch die gesenkten Lider. Es wird der Tag kommen, wo sie dem Manne ihrer oder ihres Bruders Wahl an den Altar folgen wird. Und was dann? Wo nähme ich die Kraft her, solch tiefes Elend zu ertragen? wo den Muth, nicht Hand an dieses traurige Leben zu legen, das nur noch Werth hat, wenn der Sonnenschein ihrer Augen, wenn ihre goldenen Blicke es bestrahlen?

Ich habe in den eigenen Qualen gewühlt und auf dem Feste zugesehen, wie sie von einer auf den Knieen liegenden Männerwelt umgeben war. Kein Einziger, der nicht Freunde und Vaterland verschworen um einen Druck ihrer Hand. Wohin sie ging, folgten ihr leuchtende Blicke nach, die meinigen ganz aus dem Spiele gelassen. Und mitten in dieser Anbetung bewegt sie sich so anmuthig und mit natürlicher Grazie, als müßte es so sein, als hätte sie Ansprüche auf die ganze ihr gleichgestellte Menschheit. Ein bevorzugter Bewerber ist, wie ich mit erleichtertem Herzen gewahrte, nicht vorhanden. Solche jedoch, die Leben und Vermögen für sie hingeben, mehr als Einer. Unter Anderen thut sich noch zum meisten ein Graf von Werdau hervor, ein Mensch, den ich vielleicht in anderen Verhältnissen wegen seines Geistes bewundern würde, den ich aber unausstehlich finde, weil er eine Art Hausfreund im Waldemberg’schen Palais ist. Selbst ziemlich unvermögend, ist er der Liebling eines reichen alten Onkels, der für eine Verbindung mit Prinzessin Hedwig eingenommen zu sein scheint. Auch diesen Onkel lernte ich kennen, und zwar weil er ein ausgesprochener Kunstfreund ist und sich vor der Perle der Waldemberg’schen Sammlung, einem unvergleichlichen Rembrandt, mit mir expectoriren wollte. Er ist ein liebenswürdiger alter Herr, scheint aber seine Liebhaberei bis zur Marotte zu treiben. Sein sehnlichster Wunsch ist, das Bild seiner Sammlung einzuverleiben, was er mir schon am ersten Abende im Beisein seines Neffen gestand.

„Ja, das wäre so ein Plänchen, das Einem den Schlaf raubte, dieses Hauses zwei schönste Schätze zu gewinnen!“

Ich horchte auf, weil ich gleich Alles auf sie beziehe. Diesmal hatte ich Recht.

„Warum soll es nicht gelingen?“ fuhr der alte Herr fort. „Du die Junge, ich die Alte!“

Der Graf gab ihm ein Zeichen; er wollte andeuten, daß ich zugegen sei und nicht unnützer Weise in seine Pläne eingeweiht werden sollte. Doch hatte ich genug gehört. Der Onkel Rembrandt’s Bild (es stellt eine runzlige Alte dar), der Neffe des Hauses Tochter. Welche Bescheidenheit! Ich hätte dem alten Herrn mit Vergnügen die Thür weisen mögen. Doch er nahm mich jetzt vertraulich beim Arme und flüsterte mir in’s Ohr, daß er geneigt sei, den höchsten Preis für das Meisterwerk zu bezahlen, daß es jedoch nicht zu haben sei, obgleich sich seine Neffen, um bei ihm einen Stein im Brette zu erhalten, darum bemüht hätten. Um ihren Eifer anzuspornen, hatte er versprochen, den zu seinem Erben einzusetzen, der ihm das Bild verschaffen würde.

„Glauben Sie, daß ich je so glücklich sein werde, es zu erlangen?“ frug er schließlich.

„Ich kann Ihnen dieses Glück nur von Herzen wünschen,“ meinte ich. „Der Preis, den Sie eingesetzt, ist hoch genug, um den Geist Ihrer Herren Neffen zu schärfen.“

Um wegen Werdau auf den Zahn zu fühlen, erzählte ich Hedwig am folgenden Morgen von der Marotte des Alten.

„Ich kenne sie,“ war die Antwort. „Doch es kann von einem Aufgeben des Bildes nicht die Rede sein. Wäre dem alten Herrn mit einer Copie gedient, die gönnte ich ihm von Herzen.“

Damit brach sie ab und redete von anderen Dingen, so daß ich nichts erfuhr über den Grafen und wie seine Actien stehen. Doch sehe ich gerade in diesem Stillschweigen Gefahr und habe mir deshalb vorgenommen, so selten wie möglich dabei zu sein, wenn Graf Werdau das Haus besucht, um dem traurigen Schauspiele einer glücklichen Werbung nicht zusehen zu müssen.

Jetzt muß ich schließen, denn noch habe ich nicht Toilette gemacht, und heute Abend ist Soirée im bewußten Hause. Kannst Du Dir etwas Erbärmlicheres denken, als Deinen Walter im Frack und Claquehut? Und mit welcher Freude und Sorgfalt schmücke ich mich mit den beiden! Eine Stunde, bevor ich ihn ausführe, verwerfe ich mit Unmuth jeden Gedanken, den ich seit einiger Zeit fasse. Ein angenehmer Seelenzustand!

Nein, ich ertrage ihn nicht länger. Sobald mein Bild fertig, ergreife ich die Flucht. Erwarte mich, mein einziger Gottfried, und das längstens in vier Wochen! Suche ein Zimmer, das nicht allzu weit von Deiner Wohnung entfernt ist! Auf Wiedersehen!

Dein Walter.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_608.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)