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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Ist dies geschehen, so werden durch allerlei Veranstaltungen die Eingeborenen entweder auf das Verdeck gelockt, wozu man als Lockvögel einige Farbige mit sich führt, und alsdann eingefangen. Oder die Boote der Eingeborenen werden von der Schiffsbesatzung mittelst sorgfältig vorbereiteter Veranstaltung zum Umschlagen gebracht. Die alsdann Schwimmenden werden durch Schrotschüsse leicht verwundet oder mit Schlingen so lange gewürgt, auch mit Keulenschlägen betäubt, bis man sie an Bord gebracht hat. Einzelne Menschenfänger verkleiden sich als Missionare, vertheilen werthlose Kleinigkeiten, stimmen fromme Gesänge an und täuschen dadurch die arglosen Insulaner. Ist die Ladung ausreichend, so werden die Eingefangenen durch Zwangsmittel aller Art belehrt, mittelst Aufhebung mehrerer Finger und Hersagens einer entsprechenden Ziffer, beispielsweise „drei“ oder „vier“, die Anzahl von Jahren auszudrücken, für welche sie sich freiwillig verdungen haben. Sobald alsdann der revidirende Consul in einem englischen Hafen die Eingefangenen mustert und besichtigt, verfahren diese „vorschriftmäßig“ nach der ihnen gewordenen Dressur; Alles wird amtlich in Ordnung befunden und das Geschäft ist besorgt. Es ist unvermeidlich, daß auch in der Südsee von den Eingefangenen Befreiungsversuche mit meistentheils unglücklichem und blutigem Ausgange unternommen werden.

Den besten Aufschluß über den Hergang der Sache bietet die Geschichte des Piratenschiffes „Karl“ und der Strafprozeß, welcher im Herbste 1872 theils in Sydney, theils in Melbourne gegen die Schuldigen verhandelt wurde. Zwei der Betheiligten, darunter der Capitain Armstrong, wurden in Sydney zum Tode verurtheilt; der Hauptschuldige, der Eigenthümer des Schiffes, ein Doctor der Medicin, blieb unverfolgt, nachdem er sich in seiner Eigenschaft als Denunciant die Straflosigkeit als „Königszeuge“ durch einen englischen Consul hatte versprechen lassen. Dr. James Patrick Murray, so hieß der Nichtswürdige, segelte im Juni 1871 mit dem „Karl“ nach Leonka auf den Fidschi-Inseln, wechselte dort aus Vorsicht die Schiffsbesatzung und begab sich auf zwei Unternehmungen oder Geschäftsreisen. Auf einer dieser Reisen brach unter den geraubten Insulanern ein Aufstand aus. Sie bemächtigten sich einiger Pfähle von Schiffsplanken, gingen ihren Peinigern zu Leibe, wurden aber durch den Gebrauch der Schußwaffen in ihren Käfig unter Deck zurückgetrieben und hier eingenagelt. Nicht nur die zahlreichen Todten wurden den Wellen preisgegeben, sondern auch sechszehn Schwerverwundete, an Händen und Füßen geknebelt, über Bord geworfen und gleich neugeborenen Katzen ersäuft.

Während die bereits Ueberwundenen eingesperrt waren, ließ Dr. Murray durch den Schiffszimmermann ein zollgroßes Loch durch die Planken bohren. In aller Bequemlichkeit und ungesehen feuerte er durch diese Oeffnung seine Revolverkugeln unter den in der Dunkelheit zusammengeballten Menschenknäuel. Fünfunddreißig Todte wurden später über Bord geworfen. Die Ueberlebenden, bei ihrer Ankunft im Ausschiffungshafen gemustert, erklärten, in üblicher Weise auf drei Jahre contractlich gemietet zu sein, und wurden „durch die inspicirenden Behörden“ sämmtlich in gehöriger Ordnung befunden. Dr. Murray behielt seinen Geschäftsgewinn. Ein Mitglied der gesetzgebenden Versammlung von Adelaide in Südaustralien, Herr Blackmore, berichtete in englischen Journalen über diesen Fall mit dem Bemerken, daß alle erdenklichen Maßregeln der Aufsicht vergeblich sein würden und daß es nur ein einziges wirksames Mittel gebe: völliges, absolutes Verbot der Menscheneinfuhr. Vergleicht man Murray’s That mit derjenigen der fürchterlichsten Verbrecher, so wird man sagen dürfen, Traupmann’s Mordthat, durch welche ganz Europa erschüttert wurde, sei doch ein Kinderspiel gewesen gegenüber der teuflischen Bosheit, welche aus sicherem Hinterhalt durch ein Loch zum Vergnügen in wehrlose Menschenhaufen hineinfeuert und Schwerverwundete hinterher in die See werfen läßt. Daß die aufgebrachten Südseeinsulaner von Zeit zu Zeit an irgend einem beliebigen Weißen einen Act der Blutrache vollziehen, ist nicht zu verwundern. Bischof Patterson fiel in seiner missionaren Thätigkeit als eines der Opfer für die Schandthaten Anderer. Dieser ausgezeichnete Geistliche bemerkte übrigens aus Anlaß des Menschenfanges, es sei empörend sowohl als lächerlich, von „Arbeitscontracten“ zu sprechen; keiner der Südseeinsulaner sei im Stande, den Begriff des Contractes zu verstehen.

War der alte Sclavenhandel an den afrikanischen Küsten im Vergleich zu diesen Unternehmungen nicht ein ehrliches Gewerbe? Ich meine, ja! Damals kaufte der Sclavenhändler von einem siegreichen Negerhäuptling die Kriegsgefangenen, die er nach barbarischer Sitte einfach hätte abschlachten können. Dem afrikanischen Sclaven ward durch Ankauf das Leben gerettet. Der asiatische Kulihandel ist nicht blos Gewaltthat, sondern mehr als Barbarei. Es ist jener schnöde, die Formen des Rechts äußerlich nachahmende, aber die Gerechtigkeit schändende Hohn auf die Menschheit, den man zu den schwersten Sünden gegen den heiligen Geist zu zählen hat.

Den Negerhandel nach Amerika haben die Staatsverträge unterdrückt. Eben jetzt versucht man, den Negerhandel nach Asien von der afrikanischen Ostküste abzuschneiden. Und den Kulihandel sollte das neunzehnte Jahrhundert nicht als eine Schmach empfinden? Ihr Kirchenfreunde sendet Missionen unter halbnackte Wilde, um sie mit der christlichen Dogmatik und dem Katechismus bekannt zu machen. Aber Ihr schweigt dazu, wenn christliche Regierungen durch ihre Duldung jene Verbrechen ermuthigen, ohne welche der Kulihandel nicht denkbar ist. Sendet vor allem Andern die Boten der christlichen Liebe in die Hauptstadt von Portugal und unter die Pflanzer von Cuba, nach Lima oder Demerara! Ihr Quäker und Volksbeglücker haltet Friedenscongresse, um den Krieg zu brandmarken, der für die heiligsten Interessen einer Nation geführt wird, obwohl er die Culturvölker doch immer nur als schnell vorübergehende Geißel bedroht. Bedenkt doch, daß Ihr erst die Gesinnungen ausrotten müßt, aus denen der Kulihandel hervorgeht, ehe Ihr von dem Anrecht der Menschheit auf friedliche Gesittung sprechen dürft. Ihr Kaufherren redet von der nach Ostasien mächtig fortschreitenden europäischen Cultur. Bedenket, daß Ihr in den Augen der Chinesen nicht viel mehr geltet, denn als Opiumhändler und Menschenräuber. Ihr Freihändler lasset den Russen die Ehre, in China die Sclaverei abzuschaffen, und bemüht Euch darzuthun, daß die Nothwendigkeit, für Eure Felder Guano herbeizuschaffen oder aus Demerara und Westindien Zucker zu importiren, die Sclaverei der Kuli’s erfordert! Werdet Ihr vielleicht auch beweisen, daß die volkswirthschaftlich ungehinderte Bewegung des Seehandels jede Einmischung in das Transportgeschäft der Kulischiffe verbietet und daß die Ueberführung der Kuli’s durch den stillen Ocean nichts Anderes ist, als eine Art der Freizügigkeit zwischen Ostasien und Amerika?

Die englische Regierung war bisher die einzige, welche, die Wucht schwerer Anschuldigungen fühlend, einige schwächliche, völlig unzureichende Versuche machte, dem Unwesen des Kulihandels zu steuern. Aber selbst wenn sie thatkräftiger einschreiten wollte, als sie unter dem Banne colonialer Interessen thun wird, immer wäre sie außer Stande, allein ohne Uebereinstimmung mit den übrigen Mächten zum Ziele zu gelangen.

Die beiden Großstaaten, welche wirthschaftlich am Kulihandel am wenigsten interessirt sind, Deutschland und die nordamerikanische Union, haben die nächste Aufgabe, für die Rechte der Menschheit mit ihrem Einflusse einzutreten. Wir haben keine Colonie zu versorgen, keine Pflanzer zu schonen, keinen Widerspruch aus unserer Mitte zu befürchten. Freilich müssen wir mit Beschämung eingestehen, daß auch die deutsche Handelsflagge mit dem Makel der Antheilnahme an dem schimpflichen Gewerbe behaftet ist. Um so größer ist unsere Verpflichtung, uns von jeder Mitschuld zu reinigen. Es ist die höchste Zeit, daß durch völkerrechtliche Verträge der betrügerischen Ausbeutung ostastatischer Auswanderung ein Ziel gesetzt, daß insbesondere den Portugiesen in Macao das Handwerk gelegt werde. Tritt Deutschland thatkräftig für diese edle Sache ein und begegnet es ernsthaftem Widerspruche bei anderen Mächten, – wohl, so hat es die Beruhigung, daß es sein Gewissen bewahrt hat, während andere Staaten sich selbst an den Pranger der Weltgeschichte stellen. Ich bin meinerseits nicht befähigt, zu entscheiden, ob durch Völkerverträge die Auswanderung der Kuli’s mit hinreichend schützenden Formen umgeben werden kann oder gänzlich zu unterdrücken ist. Aber das weiß ich, daß das jetzige System der Ueberfahrts- und Arbeitsverträge nicht länger geduldet werden darf, wenn irgend eine Gemeinschaft sittlicher Ideen unter den Culturvölkern fortbestehen soll. Auf die Zustimmung der Vereinigten Staaten zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen ist um so mehr zu hoffen, als diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_617.JPG&oldid=- (Version vom 6.9.2019)