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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Am Nachmittage, nach beendigtem Gottesdienste, besuchte auch ich unter Begleitung des Küsters die Kirche, um mir den Gegenstand, der eine so starke Anziehungskraft auf die Gemüther Vieler ausübt, näher zu beschauen. Das Innere des Gotteshauses ist ziemlich geräumig, eben nicht allzu sehr überladen, und trägt den allgemein bekannten Charakter katholischer Kirchen zur Schau. Durch das Mittelschiff schreitend, gelangt man direct zum Hochaltare, der von zwei Seitenaltären zur Rechten und Linken eingefaßt wird. Der linke Seitenaltar birgt das gesuchte Marienbild, das eine höchst einfache, buntbekleidete Figur der Mutter Gottes, ungefähr zwei Fuß hoch, mit einer Krone auf dem Haupte, den todten Christus im Schooße haltend, sitzend darstellt. Das also war der Magnet, der seit Decennien die Kraft besaß, alle Jahre einen Strom von Andächtigen, und unter diesen viele selbst den gebildeten Ständen ungehörige, namentlich Damen, zu sich hin zu ziehen! Ich muß gestehen, daß ich meine Erwartungen betreffs seiner doch etwas höher gestellt und, wenn auch kein Kunstwerk im wahren Sinne des Wortes, doch nicht ein so rohgeschnitztes Machwerk zu sehen erwartet hatte, wie man solche täglich in den Jahrmarktsbuden der Kirchweihfeste antreffen kann. Ziemlich enttäuscht verließ ich den Gottestempel und schlenderte nachlässig die Straßen entlang, dem Marktplatze zu, wo sich Bude an Bude lehnte und speculative Krämer sich bemühten, durch Verkaufen von Kreuzchen, Rosenkränzen, Heiligenbildern und Amuletten, die zur Heilung für Gehauene und Gestochene angepriesen wurden, geweihten Kerzen etc. dem blinden Volke die Mutterpfennige noch aus der Tasche zu locken, die ihm die Habsucht des Pfaffen gelassen hatte, was ihnen auf alle Fälle gelingen mußte, da, wie ich bemerkte, die obengenannten Dinge reißenden Absatz fanden.

Wenn man bedenkt: erstens das Quantum von Arbeitskraft, das durch solche Wallfahrten manchen Ortschaften in der beschäftigtsten Zeit des Jahres durch die sich oft wochenlang von Haus und Hof entfernenden, sich nichtsthuend umhertreibenden Bewohner entzogen wird; zweitens die unsinnige, nutzlose, für blödsinnige Zwecke dahingeworfene vermehrte Geldausgabe der Letzteren; drittens die zunehmende Immoralität, die nicht ausbleiben kann, wo sich eine Menge von Menschen beiderlei Geschlechts an einem zum nothdürftigsten Unterkommen bei Weitem nicht Raum genug bietenden Platze aufeinander häuft, und viertens die durch allerhand blödsinniges Zeug und übernatürliches Gaukelspiel genährte Verdummung des Volkes: so kann man nicht länger zaudern, ein berechtigtes Verdammungsurtheil über diese Wallfahrten und ihre Urheber auszusprechen, und muß es lebhaft bedauern, daß solchen Extravaganzen staatlicherseits nicht längst Zaum und Zügel angelegt worden sind.

Der Ort Heimbach selbst, überaus freundlich an der Ruhr gelegen, an deren Ufer sich, weit hinausschauend und eine prächtige Aussicht bietend, die uralten Ruinen einer Ritterburg erheben und der seiner romantischen Lage wegen während der schönen Jahreszeit von vielen Freunden der Natur besucht wird, umfaßt ungefähr fünfzehnhundert Bewohner, die sich meistens von Ackerbau und Viehzucht ernähren, daneben aber allerhand Werkzeuge und Geräthschaften, namentlich Löffel und Stühle, aus Holz verfertigen, die weit und breit ihren Absatz finden. Fast an jeder Thür, an welcher man vorbeigeht, liegen kunstgerecht aufgeschichtet Haufen von viereckig und länglich geschnittenen Bretchen und Täfelchen aus Holz, und aus vielen Häusern tönt uns, von heiterem Flöten und Singen begleitet, Hämmern, Klopfen, Sägen und Schnitzen fleißiger Arbeiter entgegen. Das Dorf mag aber auch keinen kleinen Nutzen aus der wochenlang dorthin pilgernden Menge ziehen, die durch Ankauf von Kleidungsstücken, Nahrungsmitteln und Waaren sicher eine bedeutende Quantität an Geld dort zurück läßt, und man kann es den Heimbachern nicht verargen, wenn sie auf den Fremdenbesuch dieser Art recht gut zu sprechen sind und ihn auf alle mögliche Weise zu heben suchen; zählte ich doch in dem verhältnißmäßig unbedeutenden Orte fünf ansehnliche Ladengeschäfte, die trotz der Concurrenz, welche ihnen die öffentlich im Freien aufgestellten Krambuden machen, anscheinend im besten Flor standen und existenzfähig waren. Das Klima ist hier, wo Alles rings von Bergen eingeschlossen liegt, ein ziemlich mildes. Weizen, Korn, Gerste und Obst gedeihen hier durchschnittlich zu guter Reise und in Fülle.

Am Horizonte zogen schon die Schatten der Abenddämmerung herauf, als ich den freundlichen Ort verließ und, den Berg ersteigend, die Schritte der fernen Heimath entgegen wandte. Angelangt auf der Höhe, blickte ich noch einmal in das tief unter mir liegende Thal hinab, wo, von den scheidenden Strahlen der Sonne begrüßt, die Häuser und umliegenden Bergspitzen in röthlichem Lichte erglühten. Mit prachtvollem Schimmer umgossen, tauchten die Wipfel des nahen Waldes aus einer Fluth goldenem Glanzes empor; die Fenster des über mir liegenden Klosters Mariawald, den feurigen Sonnenstrahl wiederspiegelnd, warfen schimmernde Lichtreflexe zur Erde hinab. Tiefen Frieden, erhabene Ruhe athmete die Natur, während hier oben, wie dort unten ein durch fanatische Verdummungssucht nach Macht und Gewinn ringender Priester irregeleitetes Volk in unbegreiflichem Wahne hinter Mauern und schalem Flitterkram den Gott suchte, der, auch dem Geringsten verständlich, überall sich so herrlich in seinen Werken der Schöpfung offenbart.

Eugen Virmond.


Blätter und Blüthen.


„Arme Leute – fromme Leute.“
(Mit Abbildung, S. 619.)


Es wandelt vom Kloster am Felsenrand
Ein geistlich Paar herab in’s Land.

Sie schauen mit leuchtendem Augenstrahle
Die Kirchlein und Klöster der Höhen und Thale.

5
Das sind die Burgen ihrer Macht.

Auch der Hütten der Armuth haben sie Acht –

Denn ihr liebster Spruch wie gestern so heute
Ist: „Arme Leute – fromme Leute.“

Da ächzt bergauf ein schwer Gefährt.

10
Es zieht kein Thier, nicht Ochs noch Pferd –


Ein Mütterlein alt, ein Weib mit dem Kind,
Ein Mann und ein Bub’ Zugthiere sind.

Gleich öffnet sich der geistliche Mund:
„Gesegn’ Euch der Herr die glückliche Stund’!

15
„Mühselig und beladen, seid

„Ihr frei von Eures Nächsten Neid!“

Der Mann, die Noth im Angesicht,
Demüthig lüpft er den Hut und spricht:

„O, bittet für uns die heil’ge Marie,

20
„Daß unser Karren sich leichter zieh’!“ –


„Der die Last aufleget, ist Gott der Herr!
„Drum hilft kein Beten, drum hilft nur: Zerr’!“

Da murmelt der Bub’ in zornigem Muth,
Barfüßig, die Feder keck auf dem Hut:

25
„So möge der Herr Euch gnädig sein

„Und Euch das neidlose Glück verleihn –

„Daß auch Ihr müßt zerren, ihm zur Freude,
„Als arme Leute – fromme Leute!“

Wie dringt des Lichts unaufhaltsamer Schein

30
In die jungen trotzigen Köpfe ein!


Es bohrt und bohrt sich Riß um Riß
Selbst in tirolische Finsterniß! –

Fr. Hfm.


„Der Loder“ auf der Bühne. Wie Berliner Zeitungen melden, ist Herman Schmid’s neueste Novelle „Der Loder“, welche bei den Lesern der Gartenlaube einstimmigen Beifall erntete, in einer dramatischen Bearbeitung von Ewers bei übervollem Hause und mit entschiedenem Erfolge mehrmals im dortigen Belle Alliance-Theater zur Aufführung gekommen. Man rühmt dem Stücke frische, lebenskräftige Charaktere und eine lebhaft fortschreitende Handlung nach, Vorzüge, welche die Bearbeitung theilweise aus der Novelle bereits fertig herüber genommen hat. Die „Volkszeitung“ bezeichnet diesen „Loder“ als eines der besten Volksstücke der Neuzeit. Neben dieser einzig berechtigten Dramatisirung von Ewers macht sich indessen auf einem Berliner Winkel-Theater noch eine andere dramatische Bearbeitung des „Loders“ breit. Dieselbe stammt aus der um Stoffe nie verlegenen Feder des bekannten Novellen-Annectirers Wexel in Berlin. Indem wir diesen Fall literarischer Freibeuterei hiermit registriren, vervollständigen wir die Reihe der bereits früher von uns mitgetheilten ähnlichen Usurpationen. Der in Rede stehende Fall wirft ein um so grelleres Licht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_621.JPG&oldid=- (Version vom 7.10.2021)