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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

zu fürchten habe. Dabei war der kecke Bursche gegen seine Genossen stets kampfgerüstet und focht hier nicht selten gar ernstliche Fehden mit ihnen aus, die in Folge seines auffallend starken Gewäffs stets zu Ungunsten seiner ihm sonst selbst ebenbürtigen Gegner ausfielen. Der Sieghafte erlangte dadurch sehr bald eine gewisse Oberherrschaft über den Platz, die wiederum Veranlassung ward, daß der kühne Streiter nicht nur das Meiste, sondern auch das Beste der Fütterung vorweg nahm, ehe die übrige Sippe zulangen konnte, ohne von ihm daran gehindert zu werden. Natürlich nahm der dadurch sich so wohl Nährende immer mehr zu an Stärke und Rauflust, so daß die Jägerei, vom hohen Jagdherrn an bis herab zum Wildfütterer, nur mit freudigem Stolz von diesem Hauptschwein sprach, bei abgehaltenen Saujagden aber jeder dabei betheiligte Schütze mit wahrer Aufregung daran dachte, möglicher Weise auf den „Tappfuß“ zu Schusse kommen zu können, während dem nicht mitschießenden Personal gerade um einen solchen etwa eintretenden Fall bangte, der ihrem Liebling den Untergang bereiten könnte. Doch zur Beruhigung dieser Aengstlichen war es bekannt, daß gerade bei Jagden Mosje Urian entweder gar nicht vorhanden war, oder, hatte er sich ja einmal mit einstellen und in’s Treiben bringen lassen, doch niemals bis an die Schützenlinie vorging, sondern regelmäßig, dabei jeden sich ihm etwa entgegen Stellenden annehmend, wie ich dies aus eigener Erfahrung bezeugen kann, unaufhaltsam und schonungslos durch die Treibercolonnen brach.

So ward der borstige „Schlaumeier“ ein Jahr um’s andere älter und wuchs dabei zu einem selten mächtigen Hauptschwein heran. Dadurch aber hatte sich sein Ruf immer mehr verbreitet und befestigt, so daß selbst der König, kam er nach Moritzburg, jedes Mal nach dem „alten Tappfuß“ wie nach einem lieben Bekannten fragte. Und darauf hin ward nun vollends die humpelnde Bestie von den Waidleuten förmlich gehätschelt. Inzwischen erfreute sich das reckenhafte Schwein der besten Gesundheit, wie man dies eben leicht täglich bei der allgemeinen Fütterung wahrnehmen konnte, und worüber vom alten Piqueur Probsthain – Gott hab’ ihn selig! – förmlich Journal geführt ward. Ja, hätte diesen braven Jägersmann aus der guten alten Zeit seine Gicht nicht daran gehindert und „Tappfuß“ es ihm erlaubt, er wäre sicherlich zuweilen mit diesem zusammen in einen Kessel eingeschoben, um an seines Günstlings harzgepichter Seite ein Schlummerstündchen zu feiern – so lieb hatte der originelle Grünrock den urigen Kumpan.

Wieder einmal war es Spätherbst geworden, zu welcher Zeit die Saujagden begannen. Da erging ein königlicher Befehl, den hinteren, weitesten und selten bejagten Theil des Revieres mit Tüchern, dem sogenannten hohen Zeuge, einzustellen, um darin fürstlichen Gästen zu Ehren eine große Treibjagd abzuhalten. Mit Sorgfalt und rechtzeitig war denn dazu auch alles Nöthige vorbereitet worden, so daß das angesagte Jagen in exactester Weise zur bestimmtesten Frist, und zwar an einem herrlichen, reiffrischen Morgen, beginnen konnte, dem beizuwohnen natürlich auch ich nicht versäumte, allerdings nur als freiwilliger Treiber. Diese Bethätigung hat meiner Ansicht nach oft einen gleich großen Reiz wie selbst die eines Schützen, weshalb ich auch heute noch vorkommenden Falles herzlich gern und mit Vorliebe ein Dickicht als Treiber durchkrieche, und zwar selbst bei tollstem Schneeanhang, mit welcher Zugabe es doch wahrlich kein leichtes Stück Arbeit ist.

Manche Sau war bereits erlegt worden, als in einem neuen Trieb plötzlich der Ruf durch die Reihe der Leute lief: „Tappfuß“ sei flüchtig vor – gerade auf die Schützen los! Wie tönte nun das „Huä, Sau, Sau!“ durch die ganze Treiberlinie hinterdrein, um dem, wie es scheinen wollte, endlich doch einmal in die Falle gegangenen, sonst so listigen Patron die etwaige Umkehr durch solches Lärmen zu verleiden. Und gleichzeitig erdröhnte nun auch schon Schuß auf Schuß durch die Luft, ohne daß selbst hierauf „Tappfuß“ den gewohnten Rückwechsel angetreten hätte. Inzwischen drangen nun auch die Treiber bis dicht an die Schirme der Schützenposten vor und machten hier „ganz“, um dann zunächst die erlegte Beute nach dem dem Jagen folgenden Wildpretswagen zu schaffen, auf Wunsch wohl auch erst ein oder das andere erlegte Stück davon dem betreffenden Schützen zur Besichtigung vorzulegen. Da auch der König einen außergewöhnlich starken Keiler geschossen hatte, so ward natürlich dieser vor allen andern herangebracht und vor die königlichen Füße gestreckt. Wie ward aber die Freude darüber zum Jubel, als der bei Leitung dieses Geschäftes dienstthuende Fasanenjäger plötzlich überglücklich mehr rief als sprach: „Majestät haben den ‚Tappfuß‘ erlegt!“ Und richtig! Da lag der alte mächtige Bursche, eisgrau, wie er war, scharfbewehrt und mit der wohlgekannten Verstümmelung des Hinterlauftes, leibhaftig vor dem königlichen Schützen.

Nun ward die helle Lust allgemein, und auch des Gebieters echtes Waidmannsherz frohlockte über so glücklichen Treffer. Schnell verbreitete sich die Kunde davon nach allen Seiten hin, und die hohen Herrschaften, Jäger und Bauern – Alle, Alle bezeugten gleiche freudige Theilnahme daran. Nur Einer, der alte Probsthain, schüttelte, nachdem auch er mit Hülfe seines Krückstockes heran gehumpelt war, den Kopf und raunte mir, dem er merkwürdig gern vertraute, in seiner originellen Weise zu: „Kein Gedanke, kein Gedanke an ‚Tappfuß‘! Anderes starkes und nur ähnliches Schwein! Kenn’ es schon seit einiger Zeit, mir schon aufgefallen, aber ‚Tappfuß‘? – kein Gedanke, kein Gedanke! Haben dem guten König ’was weis gemacht, muß nun auch dabei bleiben, ja bleiben, können doch Majestät nicht umsonst sich haben freuen lassen – das geht nicht, nein, das geht unter allen Umständen nicht!“ Und er, der Sicherblickende, hatte recht gesehen. Es war eben ein anderes, ebenfalls sehr starkes und dem „Tappfuß“ ungemein ähnliches Schwein, dem der wunderliche Zufall auch noch eine ganz gleiche Verletzung, vielleicht auf einer vorjährigen Jagd oder durch Wildschützen beigebracht, beschieden hatte. Eingeweihte waren denn auch bald, nachdem die erste Aufregung vorüber, klar in der Sache, aber ebenso einig mit Allen darin, daß dem König kein Widerruf gebracht werden dürfe, vielmehr der wirkliche „Tappfuß“ nun, um ihn nie wieder auftauchen zu lassen – auf der Fütterung todtgeschossen werden müsse.

So schloß diese Jagd.

Da die Abfahrt vom Schlosse aus spät zu erwarten stand, so war für diesen Abend an den beschlossenen Abschuß des auch heute wiederum glücklich entwischten echten „Tappfuß“ nicht zu denken, und deshalb der morgige Tag dazu bestimmt worden. Natürlich blieb ich darauf hin da, denn ich versprach mir von dem Gebahren des alten Kraftburschen in seinem letzten Stündlein ein ungewöhnlich interessantes Bild. Mit nicht geringer Erwartung war ich schon bei Zeiten auf dem Fütterungsplatze, der heute zur Arena werden sollte. Auch kamen bald nachher der unermüdliche Piqueur, wie der Fasanenjäger, welcher den Abschuß übernommen hatte, ebenso alle anderen dafür sich interessirenden Jägersleute herzu. Nur der Held des Tages, „Tappfuß“ selber, fehlte noch. Aber auch auf ihn sollten wir nicht lange warten; vielmehr sehr bald kam auch er, der ersehnte Matador, auf seinem gewohnten Wechsel über den vor dem Plane gelegenen weiten Bruch daher getrottet, um seine Abendmahlzeit einzuholen. Bei seiner Ankunft auf dem Platze wichen die bereits Futter hebenden Sauen einen Moment zurück, denn sie wußten, daß namentlich die erste Begegnung mit dem Grämling scharfe Hiebe einbrachte. Diesen Umstand aber benutzte resolut der Fasanenjäger, nahm den Verurtheilten auf’s Korn, als er die erste Kartoffel hob, und gab Feuer. Einen Augenblick mit dem am Boden habenden Gebräche vorwärts fahrend und dabei dem Zusammenbrechen nahe, raffte der bärenhafte Geselle sich doch noch in die Höhe und fuhr stobend in die den Platz unmittelbar umgebende dichtgeschlossene Fichtendichtung hinein, dort jedem weiteren Blick entschwindend. Daß die Kugel getroffen, hatten wir Alle gesehen, ob aber nicht doch eine langwierige Nachsuche daraus erfolgen könne – das war vor der Hand nicht zu bestimmen.

Guter Schweiß fand sich indeß sehr bald vor, und da nach vorsichtiger und sorgfältiger Umkreisung der betreffenden, an und für sich kleinen Dichtung es sich herausstellte, daß der Angeschossene darin sitzen geblieben war und also schwer krank sein mußte oder wohl gar schon verendet sein konnte, so ward beschlossen, sofort, so lange es noch licht war, sich, wenn möglich, von dieser Annahme zu überzeugen.

Einmal dabei, und als Jüngster, wohl auch als Leidenschaftlichster und Behendester unter den anwesenden Jägern bekannt, ward ich ausersehen, auf der Schweißfährte fort ein Stück in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_634.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)