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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

den Worten: „Können Sie sich durch dieses Satansgesitz ’ranbringen an die Bestie, so schießen Sie sie in Gottes Namen todt!“ reichte er mir nun seine Büchse zu. Wer war über diese Wendung froher als ich!

Vorsichtig, aber unermüdlich wand ich mich nun auf der mir schon bekannten Fährte durch, bis ich die bewußte Fichtenstraupe wieder vor mir hatte, hinter der ich das Schwein hatte sitzen sehen. Doch, so sehr ich auch darnach umblickte, jetzt war es von dieser Stelle verschwunden. Weit davon konnte es jedoch nicht sein, da der Hund fast unmittelbar dahinter noch immer Standlaut gab, also vor dem Schweine stehen mußte. Auf eine darauf gerichtete ausspähende Wendung meinerseits erblickte ich denn auch bald, und zwar förmlich zu meiner Bestürzung schon auf Schußweite und ganz breit vor mir, das gegen den Hund wuthknirschende Schwein in einem verwitterten Kiesloche, am Fuße einer übergehaltenen Fichte sitzen, und über ihm, am Rande der Grube, den stellenden „Waldmann“. Jetzt galt es vorerst, die fieberhafte Aufregung, welche mich ergriffen, wenigstens für Augenblicke zu bannen, um den verhängnißvollen Schuß sichern Auges und fester Hand abgeben zu können. Knieend hinter einem gerade vor mir am Boden liegenden, zwar faulen, aber durch seine Stärke mich vollkommen deckenden Stamme, nahm ich nun mit aller mir noch zu Gebote stehender Ruhe die Büchse an den Kopf und sowie ich das rechte Fleckchen, dicht hinter dem Blatte, auf dem Korne sitzen hatte, machte ich den Finger krumm und sah zu meinem Schrecken – das Teufelsthier ruhig sitzen bleiben. Doch nur einen Moment – in welchem ich über meinen vermeinten Fehlschuß wahre Höllenqual ausstand – dann schob das Ungethüm dem noch immer stellenden Hunde ein Stück entgegen und brach dabei fast bewegungslos zusammen. Da ich kein Schießzeug bei mir hatte, um frisch laden zu können, auch sah, daß dem Getroffenen das Aufstehen schwerlich noch einmal gelingen dürfte, eilte ich schleunigst aus dem Gewirr hinaus, auf den Platz, den dort Wartenden mein Ergebniß kund zu thun. Da diese übrigens schon aus des Hundes Gebahren erkannten, daß das Schwein auf meine Kugel verendet sein müsse, also vom Verjagen desselben keine Rede mehr sein könne, drangen jetzt Alle, geführt von mir, zur Stelle vor, wo denn auch die gehegten Erwartungen sich voll bestätigten. „Tappfuß“, der echte „Tappfuß“ lag in seiner ganzen diesmal nicht anzufechtenden und urwüchsigen Wirklichkeit verendet uns zu Füßen, während „Waldmanns“ wuthgiftiger Zahn die verstruppten Borsten des alten ritterlichen Recken zerzauste.

Rasch waren die Fangleinen an die schaumbedeckten Gewehre des gefällten Thieres geschlungen und dieses mit aller Hände Vorspann heraus bis an den Rand der Dickung geschleift, daß dabei auf der ungebahnten Strecke Stangen und Gezweig unter der mächtigen Last prasselnd zusammenknickten. Haußen aber erwartete uns der einzige auf dem Platze Zurückgebliebene, der alte biedere Probsthain, welcher, als er der massigen Beute ansichtig ward, fast wehmüthig sprach: „Ja, ja, Tappfuß, alter Schwerenöther, hättest ein besseres Loos verdient, besseres Loos verdient, als auf der Fütterung abgeschlachtet zu werden! Aber wegen des fatalen Irrthums, Irrthums mußte es so kommen; konnte eben nicht anders gut gemacht, gut gemacht werden.“ Und dabei stampfte der kernige Waidmann trotz seiner gichtknorrigen Hände den Hirschhornhakenstock, den er stets bei sich führte, gegen den steinigen Boden, daß die große eiserne Zwinge daran wie ein alter Reitersäbel klirrte.

Dann aber machte der sonst eberharte Graubart, als wolle er seine Rührung, die ihn offenbar über den Abschluß dieser Affaire ergriffen, verbergen, kurz rechts um und hinkte, allerseits gute Nacht wünschend und gewünscht bekommend, auf nächstem Waldwege seiner Behausung zu, ohne es noch zu hören, wie der lustige Fasanenjäger ihm, dem Gichtlahmen, nachdeclamirte: „Und Tappfuß geht – doch oft noch kehr’ er wieder!“




Die Irrfahrt eines Hauses.
Von Heinrich Noé.


Es war am 10. Mai 1291, zur Zeit, als Nicolaus der Vierte von Ascoli auf dem Stuhle Petri saß, als einige slavische Bauern, die sich in der Nähe von Fiume nahe am Meeresstrande herumtrieben, an einer steilen Stelle, die man die „Ebene“ nennt, unweit einer kleinen, das „Thälchen“ geheißenen Erdfalte, ein winziges Haus bemerkten, das keiner von ihnen jemals früher gesehen haben wollte. Schon der Ort, auf dem es sich befand, war seltsam – denn die „Ebene“ war so schief, daß sie nicht begreifen konnten, wie das Gebäude darauf festzustellen war. Noch mehr wurden sie in Verwunderung gesetzt durch die Bauart, die Weise, in der die Steine, lauter Ziegelsteine, auf einander geschichtet waren, und durch das uralte Aussehen des Mörtels. Sie gingen hinein und sahen eine hölzerne Decke, blau bemalt und auf den kleinen Vierecken, in die sie abgetheilt war, viele goldene Sterne. Man fand mehrere Gefäße aus Thon darin, einen kleinen Altar, ein byzantinisches Kreuz und eine Bildsäule der heiligen Jungfrau mit dem Kinde.

Das Gerücht von diesem absonderlichen Hause verbreitete sich zunächst nach dem benachbarten Tersato und Fiume. Niemand wußte, was davon zu halten sei, bis Alessandro di Giorgio, der Pfarrer des erstgenannten Ortes, Licht in die Geschichte desselben brachte. Diesem Manne, der todtkrank in seinem Bette lag, erschien die heilige Jungfrau und theilte ihm mit, das Haus sei nichts anderes, als das einst von ihr, ihrem Manne Joseph und dem Jesuskinde zu Nazareth bewohnte. Weiter sprach sie nichts, wohl aber schenkte sie dem Kranken die Gesundheit als ein Zeugniß dafür, daß er die Wahrheit rede, wenn er die nächtliche Vision vor dem Volke verkünde.

Die Meerwalachen des dreizehnten Jahrhunderts mochten aber nicht so blindgläubig sein, wie die Franzosen des neunzehnten, welche auf Aussagen von Gänsehirtinnen und Stallmägden hin zu Hunderttausenden wallfahrten. Wenn dieses das Haus von Nazareth ist, welches auf der „Ebene“ steht, sagten sie, so muß das Haus der heiligen Jungfrau dort nicht mehr zu finden sein. Wo es stand, muß man eine Grube antreffen, da es offenbar mit den Fundamenten hier angekommen ist. Und ob sich das so verhält, das wollen wir nunmehr mit eigenen Augen erforschen.

Damals war Nicolaus aus dem hochberühmten Geschlechte Frangipani Banus von Kroatien und Dalmatien. Dieser stattete drei Männer, unter welchen sich der oben genannte, nunmehr wieder sehr gesunde und muntere Pfarrer befand, zu einer Entdeckungsreise nach Nazareth aus. Man fand es, um die Meerwalachen überzeugen zu können, für nothwendig, genaue Maße des Hauses zu nehmen, um sie mit der im heiligen Lande als vorhanden gedachten Grube und den dortigen Grundmauerspuren zu vergleichen. Wie die Reise ausfiel, das kann man sich denken, wenn man nicht vergessen hat, daß meist gefunden wird, was man mit aller Gewalt gefunden haben will. Alles stimmte auf den Zoll, und von nun an konnten sich die Meerwalachen ungestört der Freude darüber hingeben, daß ihre „Ebene“ solcher Gnade gewürdigt worden war.

Indessen scheint es den alten Häusern zu gehen, wie den Menschen. Wenn einmal die Lust zum Vagabundiren in Einen gefahren ist, so vergeht sie nicht mehr so rasch. Das heilige Haus litt es nicht lange an der Stelle. Bevor wir aber erfahren, wie es dem Hause weiter ging, wollen wir einen Blick auf seine früheren Schicksale werfen.

In diesem Hause hatte die Verkündigung stattgefunden, die unbefleckte Empfängniß, die Grundlage der Vorgänge, welche späterhin die Erlösung des Menschengeschlechtes nach der Behauptung der Theologen bewirkt haben. Dann hört man erst wieder aus der Zeit des Titus Vespasianus etwas davon, wo das Haus von der Verheerung und Plünderung Nazareths befreit blieb. Erst die heilige Helena, welche am Beginn des vierten Jahrhunderts die heiligen Stätten besuchte, erkannte in Mitten der Trümmer wieder das wunderbare Haus. Sie ließ es in dem bescheidenen Zustande, in welchem sie es gefunden hatte, und bereicherte es nur mit dem Altare, auf welchem von den Aposteln Messe gelesen worden war. Im dreizehnten Jahrhundert besuchte es Ludwig der Heilige von Frankreich, an dessen Anwesenheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_636.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)