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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


die Welt war fortan öde und leer für mich. In mir war Alles, was Freude bringt, Vertrauen, Hoffnung und Liebe, vernichtet. Heute sind es nun fünfzig Jahre – so lange trage ich an meiner Schuld. Die erste Zeit nach jenem traurigen Ereignisse verlebte ich in verzweiflungsvollen Vorwürfen, die ich mir machte und die mir nicht erleichtert wurden durch die Versicherung Aller, daß nicht durch meinen Leichtsinn allein Leo zu der schrecklichen That veranlaßt wurde, daß sein angeborener Trübsinn, seine fast düstere Lebensanschauung dazu gehörten, um in einer Stunde der Verzweiflung ein Leben zu enden, das ja trotz des einen Schmerzes noch so reich und voll vor ihm lag.

Mit den Jahren wurde ich ruhiger. Ich lernte Geduld und Demuth. Ich wurde still gefaßt und ergeben. Die Liebe zu meinen Eltern gab mir wohl die meiste Kraft, nach jener Klarheit zu ringen, die nur allein noch den Frieden bringt, wenn man ein reiches Lieben und Leben verscherzt hat. Glück begehrte ich nicht mehr. Ich war zufrieden, wenn Andere glücklich waren, wenn ich Glück schaffen konnte. Oft besuchte ich Leo’s Grab – niemals ohne rothe Rosen darauf zu legen.

Sie können sich denken, wie schmerzlich gerade an dem heutigen Tage, da mein Geist jene schrecklichen Stunden wieder durchlebte, jene weiße Rose auf mich wirken mußte. Der liebe Gott lasse mich bald ausruhen nach dem langen Kampfe, und möge kein Irren, kein Leichtsinn mehr so hart gestraft werden! Leben Sie wohl, süßes Kind!“ schloß sie ihre Erzählung und reichte dem jungen Mädchen noch einmal die Hand, „und verzeihen Sie mir meine Heftigkeit! Werden und machen Sie glücklich!“

Dann warf die Frau noch einen innigen Blick auf das Grab mit seinen rothen Rosen und verließ langsam den Friedhof.




Das Opfer eines wilden Tages.
Vor fünfundzwanzig Jahren in Frankfurt a. M.


Es war in Berlin im Monat Mai des Jahres 1848, als eines Tages ein Kunsthändler in mein Atelier trat und mir den Antrag stellte, nach Frankfurt am Main zu gehen, um für ihn ein Bild von dem ersten deutschen Parlamente anzufertigen. Die Hauptbedingung war die treue Portraitähnlichkeit in der Darstellung der Berühmtheiten auf dem Gebiete der Politik und der Wissenschaft, die damals auf den Bänken der Paulskirche saßen.

Ich war frei, konnte den Auftrag annehmen und nahm ihn dankbar an, denn aus dem immer noch in Aufregung kochenden Berlin fortzukommen, war eine wahre Befreiung.

Mit gespannten Erwartungen, die sich später leider als Illusionen erwiesen, blickte ganz Deutschland damals auf das in Frankfurt tagende Parlament, und an großem Streben, Intelligenz und hohem Wissen hat es demselben wahrlich nicht gefehlt. Aber leider stand nicht die Macht hinter ihm, und so hat es das bekannte Ende nur zu schnell gefunden. Doch noch jetzt, nach fünfundzwanzig Jahren, müssen wir freudig bekennen, daß seine weltbewegenden Ideen dauerhafter waren als seine Existenz. Empfehlungsbriefe brachte ich nicht mit; nur einen schriftlichen Contract mit meinen Verlegern hatte ich in der Tasche. Da war es denn für mich nicht so leicht, mein Unternehmen glücklich einzuleiten. Ich setzte meine ganze Hoffnung auf den mir von früher bekannten und wohlgeneigten Fürsten Lichnowsky. „Das ist der Mann, der dir rathen und helfen kann; also hin zu ihm – Haus Mozart auf der Zeil!“

Es war noch früh am Morgen; das genirte aber nicht. Der Kammerdiener Anton meldete mich beim Fürsten an, und sofort wurde ich von demselben mit dem ihm eigenen Ungestüm und nicht ohne Lärm empfangen.

„Grüß’ Gott! Was zum Teufel führt Sie denn hierher?“ (Vergnügungsreisen machte man allerdings in der Zeit noch nicht.)

„Durchlaucht, Aufträge! Ich soll von der Paulskirche ein großes Bild zeichnen mit den Portraits der hervorragendsten Persönlichkeiten.“

„O, sehr schön, sehr gut! Dann werden Sie auch mich zeichnen müssen. Eine famose Idee! In England hat man schon solche Parlamentsbilder; in Deutschland wird es das erste sein. Aber für wen wollen Sie es machen?“

„Für einen Kunsthändler, der das Bild vervielfältigen lassen wird.“

„O, das ist ja charmant! Dann werde ich Ihnen gleich sagen, wen Sie zeichnen müssen. Setzen Sie sich – hier ist Papier – schreiben Sie! Ich werde Ihnen die Liste dictiren.“

Und nun warf ich ohne alle Widerrede eine Menge Namen auf’s Papier, aber doch mit dem Hintergedanken, sie mir später von einem ruhigeren Manne prüfen und mustern zu lassen.

„So, die müssen Alle auf Ihr Bild. Ich nehme Sie heute gleich mit in’s Parlament. Sie bekommen den Platz meines Secretärs in der Journalistenloge, und dort werde ich Sie schon mit den Matadoren der Versammlung[1] bekannt machen. Schade, daß Sie nicht hier waren, als ich neulich wegen des Mainzer Scandals gesprochen habe. Ich trat entschieden dagegen auf, und die Galerien haben in der Paulskirche wie wahnsinnig getobt. Ich aber habe so (er kreuzte die Arme auf der Brust und nahm eine höchst herausfordernde Stellung und Miene an) auf der Rednerbühne ruhig dagestanden und blos hinaufgerufen: ‚Ist das die Stimme des Volkes, meine Herren? Nein, es ist die des Pöbels!‘ Da war denn rein der Teufel los. Am liebsten würden die Herren mich gleich gehängt haben. Ich aber habe sie ausgelacht. Der Präsident mußte das Haus räumen lassen. Wissen Sie, Sie werden mich in der Stellung auf der Rednerbühne zeichnen; ich lasse das Bild dann lithographiren. Das Blatt wird bedeutenden Effect machen. Anton!“ rief er plötzlich mit durchdringender Stimme, und der Gerufene, eine untersetzte, wohlgenährte, durchaus phlegmatische, in sich verschlossene Persönlichkeit, erschien in sehr gemäßigter Eile.

„Durchlaucht befehlen?“

„Zieh mich an! Es ist gleich zehn Uhr.“ Zu mir gewandt: „Sie bleiben hier und erzählen mir das Neueste aus Berlin!“

Während ich mit dem Fürsten über alles Mögliche schwatzte, besorgte Anton die Toilette an ihm mit einer Ruhe und einem Phlegma, die zu der ewigen Beweglichkeit und der unverwüstlichen Lebendigkeit seines Herrn einen sonderbaren Contrast bildete. Der Fürst adonisirte sich aber sichtlich unter seinen Händen. Das Ueberreichen von Hut, Handschuhen und einem Taschentuche, das noch höchst eigenhändig parfümirt wurde, war der letzte Moment in dieser ersten Tagesarbeit. Ich habe das nachher noch oft mit angesehen, denn der Fürst empfing während des Anziehens gern Besuche. Die gewöhnlichste Gêne war ihm fremd, Rücksichten kannte er nicht, und eine beständige Unterhaltung war ihm Lebensbedürfniß.

„Nun vorwärts nach der Paulskirche!“ So kam ich an seiner Seite an das eigentliche Ziel meiner Reise, und gleich am Eingange, wo uns einige der Herren begegneten, stellte er mich diesen in seiner absonderlichen Weise vor:

„Hier ist der Professor B. aus Berlin. Wird ein Bild von unserm Parlament machen mit lauter Portraits. Er trifft außerordentlich, und wenn Sie sich gut aufführen, sollen Sie auch mit d’rauf kommen. – Weiter!“

„Als ich ihm bemerkbar machte, daß ich nicht Professor sei, erwiderte er mir kurz:

„Ach, Dummheit, das weiß ich ja! Aber seien Sie doch still! – Sie, he! Soiron! Dicker! Sie werden sich hier vom Professor B. malen lassen; er kommt deshalb expreß von Berlin.“

Und so ging es fort ohne Aufenthalt, von Einem zum Andern. Hier theilte der Fürst einen Witz, dort eine Grobheit aus, so daß er nur Lachende oder verblüfft Dreinschauende hinter sich ließ. Ich eilte auf meinen Platz, denn große Freude konnte ich an dieser Art der Einführung nicht haben. Die Sitzung hatte begonnen; den ersten Eindruck dieser großen Versammlung wollte ich so recht in mich aufnehmen, doch da kam der Fürst schon wieder auf mich losgeschossen – denn er blieb nie auf

  1. Vorlage: „Versamlung“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_642.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)