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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Mensch, dem bei solchen Worten nicht die Geduld risse? Für Alles konnte ich ihn mit Verachtung strafen – auf solchen Hohn gehörte eine andere Erwiderung. „Auf alle Ihre Sophismen und Beleidigungen, Herr Graf, habe ich nur eine Frage: Wollen Sie mir augenblicklich mein Wort zurückgeben?“

„Ich müßte des Teufels sein, wenn ich es thäte!“ war seine freche Antwort.

„Dann sind Sie ein doppelter Schurke!“

„Noch ein Wort!“ schrie Werdau auffahrend, „und ich lasse Sie von meinem Bedienten hinauswerfen.“ Er wollte zum Schellenzug springen. Ich aber trat ihm mit gehobener Faust entgegen.

„Noch einen Schritt, und ich schlage Sie zu Boden, Elender! Eigentlich haben Sie das Recht des Edelmannes verscherzt, aber in meiner entsetzlichen Lage bleibt mir nichts übrig, als über Ihre Niederträchtigkeit hinweg zu sehen. Ich werde Ihnen sofort meine Secundanten schicken.“

„Bilden Sie sich ein,“ rief der Schamlose, „daß ein Kleckser wie Sie einem Edelmanne satisfactionsfähig sei?“

„Wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie wie einen Hund auf offener Straße durchpeitsche, so werden Sie wohl daran glauben müssen.“

Diese Worte, mit vor Wuth bebender Stimme herausgestoßen, fruchteten.

„Das werden Sie mit dem Leben bezahlen,“ knirschte Werdau, nun seinerseits todtenblaß geworden, „ich erwarte Ihre Cartellträger noch heute.“

„Das ist auch das Einzige noch, was Sie von mir zu fordern haben!“

Mit diesen Worten entfernte ich mich, um sofort die nöthigen Schritte zu dem Gange auf Leben und Tod einzuleiten. Wenn ich falle, mein Herzensfreund, dann eile sogleich hierher, um Hedwig meine Unschuld darzulegen. Ich werde mein Testament, in welchem ich Dich zum Universalerben einsetze, nebst einem letzten Wort an sie bei Gericht deponiren. Du hörst bald oder nie mehr von Deinem

Walter.     


15.


Theurer Gottfried!

Ob das Schicksal mich zu neuen Leiden aufgehoben, oder ob mir noch ein Stern der Erlösung aufgehen soll, wer weiß es – genug, ich bin heute im Stande Dir zu schreiben, weil ich in dem Todesgange mit einer leichten Verwundung in die linke Schulter davongekommen. Doch höre den Verlauf! Von Werdau weggeeilt, ersuchte ich zwei befreundete junge Rechtsbeflissene, mir in dem ernsten Vorhaben als Secundant und Zeuge beizustehen. Ich theilte ihnen den Sachverhalt nur so weit als unerläßlich mit. Beide machten mich darauf aufmerksam, daß Werdau, bevor er seinen Abschied nahm, für einen der besten Pistolenschützen der Armee galt, und daß ich daher in meinem Interesse eine möglichst scharfe Forderung stellen müsse, was sich bei mir von selbst verstand. Die beiderseitigen Secundanten setzten, des Ernstes der Sache wegen, einen schriftlichen Vertrag auf, in welchem folgende Bedingungen stipulirt wurden: „Zehn Schritte Ziel, gezogene Pistolen, dreimal Kugelwechsel.“ Das Zusammentreffen war im Wildpark Morgens um acht Uhr. Meine Secundanten brachten einen Militärarzt mit.

Ich schlummerte nur ein paar Stunden. Den größten Theil der Nacht brachte ich zu, um meine Papiere zu ordnen, meinen letzten Willen niederzulegen, den ich am Morgen noch von meinen beiden Freunden beglaubigen ließ, und an Hedwig zu schreiben, worauf ich Alles versiegelt meinem Secundanten einhändigte. Die Empfindungen, von denen ich so oft bei solchen Gelegenheiten gehört und gelesen, waren mir ganz fremd. Mein Leben hatte allen Reiz für mich verloren, und nur heiliger Zorn erfüllte mich, den Verbrecher zu strafen, der im frevelhaften Leichtsinn und Egoismus mit Ehre und Leben seiner Nebenmenschen gespielt. Meine Begleiter machten mir sogar ihre Bemerkungen über mein gutes Aussehen. Die Secundanten haben’s freilich bequem, es leicht zu nehmen.

Wir waren die Ersten an Ort und Stelle; schon ein paar Minuten nach uns kam der Gegner in einem Wagen mit seinen Secundanten und einem zweiten Arzte. Der Vertrag wurde verlesen, und in zwei Abschriften von Gegnern, Secundanten und Zeugen unterschrieben. Dann beschäftigten sich die Zeugen mit dem Laden von Pistolen, worauf eine Distanz von zehn Schritten abgemessen ward und die beiden Endpunkte, an welchen wir uns aufzustellen hatten, mit in den Boden gestoßenen Stöcken bezeichnet wurden. Für das Zielen wurde so viel Zeit eingeräumt, bis der Secundant des Geforderten langsam Sechs gezählt. Beim üblichen Aussöhnungsversuche beharrte Werdau auf seiner Weigerung, mir das Ehrenwort zurückzugeben, oder die Sache auf eine andere Art zu repariren. Das Duell nahm also seinen Verlauf. Die Secundanten händigten uns die Pistolen ein; die toddrohenden Mündungen waren jede auf ihr Ziel gerichtet, der Secundant des Gegners begann zu zählen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs; schon bei „vier“ waren beide Schüsse fast gleichzeitig gefallen.

Wir standen Beide noch fest. Mein Zeuge frug mich leise, ob ich Schmerzen spüre; als ich verneinte, schüttelte er bedenklich den Kopf. Wie er mir nachher mittheilte, hatte er ein Loch in der Mitte meines Rockes bemerkt, und weil ich unerschüttert dastand, geschlossen, daß ich nur einen Streifschuß habe, da diese Art von Verwundungen gewöhnlich heftig zu schmerzen pflegt, während Kernschüsse in den ersten Minuten kaum verspürt werden. Er schloß also auf Schlimmes. Doch schon wurde das zweite Paar Pistolen vertheilt. Von Neuem begann das verhängnißvolle Commando: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Bei dem Rufe „fünf“ waren die beiden Schüsse wieder fast gleichzeitig gefallen. Während ich noch fest stand, wankte Werdau und stürzte einige Secunden darauf. Seine Secundanten sprangen mit den Aerzten hinzu, während meine Zeugen mich selbst untersuchten. Sie hatten in meinem Rocke zwei Löcher wahrgenommen. Die Untersuchung ergab, daß mein Gegner zwei Kernschüsse gethan – und doch war ich wunderbarer Weise unverletzt. Beide Kugeln waren, Rand an Rand, durch Rock und Beinkleider gerade in die Biegung des Kreuzes gegangen, ohne auch nur die Haut zu verletzen. Meine Secundanten konnten ihren Augen kaum trauen, bis sich das Wunder durch den Umstand aufklärte, daß ich den Rock aufgeknöpft gehabt, und mich stark im Kreuz gebogen hatte, wodurch der Gegner verführt worden war, gerade die Stelle für den Mittelpunkt meines Leibes zu halten, wo das rückwärts gebogene Kreuz einen Einschnitt bildet.

Meinem Gegner war es nicht so gut ergangen. Meine zweite Kugel hatte ihm die rechte Hand zerschmettert, und die Untersuchung zeigte erst, daß auch die erste Kugel in der Hüfte saß. Er mußte alle Energie aufgeboten haben, um sich zum zweiten Schuß aufrecht zu halten, bis die Verletzung der Hand ihn gar hinwarf. Werdau zeigte aber trotz seines Blutverlustes eine Leidenschaft und Energie, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Er forderte heftig den dritten Schuß, indem er erklärte, sich dabei der linken Hand bedienen zu wollen. Als er sich aber aufrichten wollte, sank er auf’s Neue hin, und die Secundanten versuchten nun, eine Versöhnung herbeizuführen. Werdau weigerte sich mit wütenden Worten und bestand darauf, daß auch die dritten Schüsse abgefeuert werden sollten. Schon nahmen die Secundanten wieder ihre Stellungen mit der Pistole in der Hand ein, um jede Unregelmäßigkeit der Gegner sofort blutig strafen zu können. Werdau versuchte sich mit Hülfe seiner Zeugen emporzurichten, allein er sank sofort wieder zusammen.

Jetzt stellte er mit blutlechzender, rauher, halb röchelnder Stimme das Verlangen, seinen Schuß liegend abzufeuern. Seine Secundanten warteten nicht den Protest der meinigen ab, sondern stellten ihm die Ungehörigkeit dieser Forderung und deren Unverträglichkeit mit den Gesetzen des Duells vor. Er stieß gegen Alle einen häßlichen Fluch aus. Da trat ich selbst vor und erklärte, um der unwürdigen Scene ein Ende zu machen, daß ich seiner Bedingung mich fügen wolle.

Zögernd und protestirend nahmen die Secundanten ihre Stellungen ein, und wieder erschallte das Commando. Werdau schoß und ich fühlte einen Schlag in der linken Schulter, dem das Gefühl des rinnenden warmen Blutes folgte. Ich war mit dem Vorsatze auf dem Platze erschienen, meinen Gegner nicht zu schonen, allein als ob eine unsichtbare Gewalt sich meiner bemächtigte, ich hob in demselben Moment die Waffe und rief: „Ich verzichte auf meinen Schuß!“

Noch einmal schrie Werdau, mit Schaum vor dem Munde,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_660.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)