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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


flogen von allen Seiten Steine nach ihm und seinem Begleiter; auch ein Schuß fiel und schien das Pferd des Fürsten leicht berührt zu haben. Beide Reiter flogen dem etwa hundert Schritte entfernten Thore zu. Obwohl unverfolgt, denn die Bewaffneten scheuten offenbar das von Soldaten besetzte Thor, zog dennoch Lichnowsky eine Pistole aus der Brusttasche und feuerte sie rückwärts auf den Haufen ab. Schon ist er in der Nähe des Thors, da, vor dem Gitterwerke, reißt er plötzlich sein Pferd herum, ruft dem ihm nachjagenden Auerswald zu: „Blum est là! Tournons! Tournons!“ und wie willenlos folgt ihm auch jetzt der General.

Wirklich stand Robert Blum hinter dem Gitter; aber was in aller Welt konnte beide Reiter bewegen, die Begegnung mit diesem Manne so zu scheuen, daß sie die sichere Rettung – denn das Thor war offen – aufgaben? War etwa der Fürst dennoch beim Erzherzog gewesen und gedachte er jetzt der Dienste, die er gegen Blum und seine Deputation und für das Blutvergießen geleistet? Vergaß er, daß das Thor von Preußen besetzt war, die schwerlich Blum’s Commando gegen ihn befolgt hätten? Hier ist ein ungelöstes Räthsel, aber zugleich die Wendung des Schicksals der beiden Reiter. Beide trennten sich jetzt auf der Flucht; der Fürst jagte rechts ab nach dem Allerheiligenthore zu, der General links nach dem Eschenheimer Thore, von wo Beide hergekommen waren. Steine und Schüsse flogen ihnen nach. Auerswald kehrte vor einem Trupp Bewaffneter um, rannte noch einmal bis zum Hessendenkmale, scheint aber auch hier umgekehrt zu sein, denn auf dem Hermesweg, der rechts am Bethmann’schen Hause vorüber nach der Bornheimer Haide hinführt, traf er wieder mit Lichnowsky zusammen, der folglich von seiner Straße ebenfalls zurückgehetzt war und der hier den Bethmann’schen Kunstgärtner Sester fragte, ob er keine preußischen Truppen gesehen habe. Dieser versicherte, daß eben erst Preußen an der Chaussee nach dem Allerheiligenthor vorübermarschirt seien, und Auerswald schlug sofort diese Richtung ein. Lichnowsky aber rief zornig Jenem nach: „So reiten Sie, wohin Sie wollen! Ich reite meines Wegs!“ und ritt auf dem Hermeswege weiter. Und abermals wandte nun auch der General sein Pferd, und so gelangten Beide bis an die Bornheimer Haide, dann links dem Landwehrgraben entlang bis an das Brückchen vor dem Schmidt’schen Garten und Hause, wo sie später ihr Ende ereilte. Jetzt jagten sie dort vorüber. Hinter dem Schmidt’schen Garten liegt das Haus des Herrn Daniel, und hier winkte ihnen abermals die Rettung. Daniel rief Beiden, bot ihnen seinen Schutz an, eilte ihnen sogar nach; aber sie ritten dahin, immer tiefer in ihr Verderben. Noch immer waren sie unverfolgt, die Aufmerksamkeit der überall auf den Straßen stehenden Gruppen Bewaffneter war den Kämpfen in der Stadt zugewandt, der Vorfall am Hessendenkmal schwerlich schon weiter verbreitet und vielleicht dort selbst schon halb und halb vergessen. Aber erneut durfte derselbe nicht werden, und das gerade geschah nun. Denn anstatt die Friedberger Chaussee, auf die sie wieder gelangten, zu benutzen, um rechts hin reitend nach Friedberg hinaus zu kommen, scheuten sie vor einem Trupp Bewaffneter zurück, der zur Rechten stand, und ritten links hin, gerade wieder auf das Friedberger Thor zu. Und nicht genug damit, trug Lichnowsky in der Rechten die blanke Klinge seines Stockdegens, eine Waffe, die ihm gar nichts nützen konnte und ihn um so auffälliger machte. Kaum am Bethmann’schen Hause (am Hessendenkmalplatze) angekommen, braust ihm das Geschrei entgegen: „Halt! Halt! Da sind sie wieder! Spione! Lichnowsky! Volksverräther!“ und jetzt lief dieser Schrei die ganze Chaussee entlang bis zu allen übrigen Menschenhaufen. Abermals Steinhagel und Schießen und Flucht auf dem verhängnißvollen Wege zurück.

Diese Friedberger Chaussee läuft vom Hessendenkmal vor dem Friedbergerthor von Frankfurt an, zwischen Gärten, Villen und Gartenhäusern hin, in ziemlich gerader Richtung bis zu der Stelle, wo links her der „Weg an der eisernen Hand“ mündet und rechts hin ein sogenanntes „stumpfes Gäßchen“, bekannt als das „grüne Gäßchen“, zu Gärten führt, aber in ziemlich gerader Richtung nach dem Schmidt’schen Haus und Garten hin. Von der Chaussee selbst zweigt sich dann nach einer kurzen Krümmung rechts die Fahrstraße nach Bornheim ab. Ungefähr in der Mitte dieser Chausseestrecke öffnen sich nach rechts drei Gäßchen, zwischen Gartenmauern und Hecken, die alle auf den sogenannten Bornheimer Fußpfad oder Haideweg und am Schmidt’schen Grundstück vorüber in eine Pappelallee führen. Durch das dritte dieser Gäßchen (vom Thore aus gezählt) waren die Reiter vom Haideweg her auf die Chaussee gekommen, hatten rechts oben an „der eisernen Hand“ Bewaffnete (die Zuzüge von Gienheim und Bockenheim) gesehen, sich deshalb links zum Thor hingewendet und sprengten nun die Chaussee wieder herauf und waren bereits an dem dritten Gäßchen vorbei, als Auerswald sein Pferd wendete, um durch dasselbe den Haideweg wieder zu gewinnen. Zwar rief ihm Lichnowsky mit geschwungenem Stockdegen zu: „Courage! Courage! Voran! Vorwärts!“ – doch diesmal folgte ihm der General nicht und gelangte unangefochten wieder an das Brückchen vor dem Schmidt’schen Garten. Da er auch die hier vor ihm liegende Bornheimer Haide von bewaffneten Gruppen belebt sah, so wandte er sein Pferd rasch, ritt ein paar Schritte des Wegs zurück und stieß hier wieder auf Lichnowsky.

Dieser war auf der Friedberger Chaussee vorwärts, an den bewaffneten Haufen, welche der seltsamen Erscheinung des Reiters mit dem Degen verdutzt nachsahen, vorbei gesprengt und bis nahe an die Chausseetheilung gekommen, machte aber hier plötzlich Kehrt und ritt in das „grüne Gäßchen“ hinein. Jetzt hatten ihn die Zuzügler „an der eisernen Hand“ wohl erkannt. Geschrei verfolgte ihn, und auch Schüsse sollen gefallen sein. Plötzlich war das Gäßchen zu Ende, der Fürst sah, daß er in eine Sackgasse gerathen sei; an Rückkehr war nicht mehr zu denken, und so setzte er über die Gärten hinüber und jenseits, an dem neben dem Schmidt’schen Garten gelegenen und von diesem durch einen Weg, welcher zu dem oftgenannten Brückchen führt, getrennten Lohmer’schen Garten über eine Gartenplanke, an welcher das Pferd hängen blieb und diese niederriß. Dort war ein Maurer beschäftigt, den er „um Gotteswillen“ bat, ihm das Pferd abzunehmen, während er aus diesem Garten dem eben augenblicklich zurückreitenden General auf dem Wege vor dem Schmidt’schen Hause entgegenschritt. Beide waren von diesem Wiedersehen überrascht und sprachen heftig und hastig mit einander, so daß der im Schmidt’schen Hause wohnende Lehrer Schnepf dadurch erst auf die Anwesenheit Beider aufmerksam wurde. Er hörte noch, als der General ihn bemerkt hatte und sein Pferd zu ihm hinlenkte, Lichnowsky wiederholt in die Worte ausbrechen: „Jetzt wollen Sie mich verlassen?“ Auerswald erwiderte hastig: „Nein! nein! nein!“ und wandte sich dann an Schnepf mit der Bitte: „Retten Sie uns, mein Herr!“, und als dieser erst die Mittheilung der Namen beider Herren verlangte, sagte er: „Fragen Sie nicht, wer wir sind, mein Herr! Retten Sie uns – wir sind verfolgt!“ Darauf öffnete Schnepf die Gartenthür nach dem Brückchen hin, Auerswald ritt in den Garten, Lichnowsky folgte zu Fuß.

Während nun Herr Schnepf die Unmöglichkeit jedes Versteckens in diesem Hause darzuthun suchte und sich erbot, die Herren zu Fuß einen Weg zu führen, auf welchem sie sicher entkommen könnten, trat auch der Hausbesitzer, Kunstgärtner Schmidt, herzu. Ihm übergab der General sein Pferd mit der Bitte, es in einem Stalle unterzubringen; er selbst ging in’s Haus. Lichnowsky ließ auch sein Pferd herbeiführen und schien geneigt, die Rettungsflucht zu Fuß zu versuchen; als aber Auerswald plötzlich verschwunden war, versicherte er, „daß er ohne seinen Freund nicht gehen könne, daß er ihn nicht verlassen werde.“ Herr Schnepf übergab das Pferd des Fürsten einem Knaben, um es hinweg zu führen. Er bemerkte bereits die Annäherung von Verfolgern.

Beide Männer hatten sich selbst verloren, ja, sie konnten noch offenbarer ihren Verfolgern sich nicht ausliefern, und sie hörten auf keinen Rath mehr. Das Schmidt’sche Haus war als Kunstgärtnerwohnung so völlig versteckwinkelfrei wie eine Laterne. Bei eifriger Ersparung und Benutzung des Raumes greift im ganzen Hause, insbesondere was Gänge, Vorplätze, Stiegen, Flur und Winkel betrifft, Alles eng in einander ein und darum fällt auch Alles rasch in die Augen. An zwei Seiten sind Gewächshäuser an das Haus angebaut, deren größtes Fenster nach einer Terrasse hin dort sogar zum Ein- und Ausgang dient. Zum sogenannten „Keller“ führt von der Hausflur des Haupteinganges aus eine Treppe von nur drei Stufen. Zwei große Souterrainfenster verschaffen ihm genügende Hellung. Wohnräume, Küche, Waschhaus, Kammern, nichts bietet ein Versteck. Und zum Boden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_668.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)