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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 42.   1873.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.

Künstler und Fürstenkind.

Von August Lienhardt.
(Fortsetzung.)


17.

Theure Hedwig!

Wenn Du diesen Brief erhältst, ist längst ein zweiter von Dir in meinen Händen, der mich von der Angst befreit, die mir das Blut in den Adern stocken läßt, mir den Athem raubt.

Dennoch kann ich mich nicht enthalten, Dir in der Zwischenzeit zu schreiben, sei’s auch nur, um mich zu rechtfertigen.

Unselige! was soll aus Dir werden? Arme Freundin! Längst schon wußte ich, wie es in Deiner Seele aussah, hatte längst keinen Zweifel mehr, daß Du Dein Herz an diesen Künstler verschenkt, ehe Du ahntest, daß es in Liebe sich hingeben konnte. Wäre dem nicht so, ich müßte meine Hedwig nicht so abgöttisch lieben, müßte mich weniger beschäftigen mit Dem, was ihr Wohl und Wehe betrifft. Doch, Hedwig! so lange Du selbst keine Ahnung von dem hattest, was in Dir vorging, durfte ich nicht die Anklägerin Deines Herzens sein. Du warst wie eine Nachtwandlerin, die, festen, sicheren Trittes an Abgründen entlang schreitend, ohne Unfall, ja, ohne von ihrem Vorgehen etwas zu wissen, in’s sichere Asyl ihrer Behausung zurückkehren, aber auch einem schrecklichen Geschick anheim fallen kann. Ein Warnungsruf, der sie weckt, kann sie auch in bodenlose Tiefen, in ihr Verderben stürzen.

Deshalb, arme Hedwig, mahnte ich nicht. Du wußtest nicht, was Dein rebellisches Herz begonnen; unbefangen gabst Du Dich dem Zauber deines Wesens hin, vielleicht kamst Du gar nicht zur Erkenntniß Deines Selbst. Eine Abwesenheit des Künstlers konnte Anderen erlauben, sich hervorzuthun, und Du lenktest Dein Lebensschifflein ruhig in den Hafen der Ehe ein, ohne zu wissen, an welch’ gefährlichen Klippen es gedroht hatte, zu zerschellen. Wenn ich rief und warnte, war dies nicht mehr möglich – eine Selbsterkenntniß konnte in Drittem Falle gefährlicher, als die Liebe selbst werden, dann war ein bewußtloses Umgehen der Gefahr unmöglich. An Anspielungen habe ich es in meinen Briefen nicht fehlen lassen, und wäre meine theure Hedwig weniger unbefangen gewesen, sie hätte zwischen den Zeilen gelesen und Alarm gerufen. Was ich schrieb, sollte nur Deine Selbsterkenntniß erleichtern, wenn dieselbe auf dem Wege war – das erste Signal durfte ich nicht geben.

Was Du jetzt thun wirst, unglückliches Mädchen? Ich bin hierüber ganz unbesorgt und weiß, daß Dein eigenes Herz Dir nur Edles eingeben wird. Du wirst thun, was Du vor Dir und Deinem Bruder verantworten kannst, und koste es Dir mehr als das Leben.

Doch eine Warnung laß’ Dich nicht verdrießen! Wenn auch nur wenige Jahre älter als Du, so habe ich doch einsehen gelernt, daß der Pessimismus meistens Recht behält. Die Welt ist nun einmal schlechter, als sie in unseren enthusiastischen Jugendträumen sich abspiegelt. Dein Bruder scheint an des Künstlers Schuld nicht zu zweifeln. Du bist seiner Unschuld so gewiß wie Deines Daseins.

Verzeihe, liebe Freundin, wenn ich mich auf Deines Bruders Seite stelle! Seinen hohen Geist, seinen klaren Verstand erhoben wir ja stets Beide auf einen Altar, an dessen Stufen ich heute noch kniee. Wie leicht ist ein unerfahrenes Mädchen bethört, wenn es sich um den geliebten Mann handelt! Du wärst nicht Hedwig, zweifeltest Du einen Augenblick an der Unschuld dessen, der durch Geist und Jugendmuth Dein Herz bezwang. Aber, theure Freundin, wenn Alles, was er bisher gesagt, nur Heuchelei, wenn er wirklich schuldig, dann spricht Dein Herz nicht für ihn, denn eine Maske kann nicht bleibenden Eindruck auf Dich machen. Prüfe, prüfe Alles wohl, Hedwig! Und ach, vor Allem verlasse Dich auf Deinen Bruder, der noch keinem Menschen ungerecht gezürnt! Ich habe mich in Deine Lage hineingedacht und glaube, daß ich nicht wie Du an Ernst’s Worten gezweifelt hätte, vielmehr in Zorn aufgelodert wäre gegen einen Menschen, der also des edelsten Mannes Güte und Vertrauen mißbraucht. Ueberzeugst Du Dich, daß er Deiner Liebe nicht werth, so ersparst Du Dir, ach! wie viel Schmerzen – alle Qualen einer Entsagung.

Wo waren Deines Bruders Gedanken, daß er nicht sah, wie es um unsere Hedwig stand? Hat er vielleicht das Herz gefunden, mit dem sich zu verbinden sein Dasein verschönert?

Ich schließe in Herzensangst – um Dich, und kann nur hoffen, daß ein Brief von Dir mich in wenigen Tagen aus allen Nöthen befreien wird. Deine treue Schwester

Amalie von Hohenlicht.




18.

Gott sei Dank! Mit wie viel Stoßseufzern hat sich der Ausruf schon meiner Brust entrungen! Er ist auf Gottes Erde das unschuldigste, edelste, meiner Liebe würdigste Geschöpf. Und ich hatte sechs Tage verlebt, Amalie, sechs Tage, mit denen ich mir alle Freuden des Paradieses erkauft haben muß.

Doch Du brennst vor Begierde, zu wissen, was geschehen? So höre denn – wenn Du nicht schon, von Unruhe gepeitscht, auf dem Wege hierher bist. Ich konnte nichts schreiben als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_675.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)