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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Ich schüttelte den Kopf. „Und ich, Ernst, ich werde mein Lebenlang nicht aufhören, daran zu denken,“ sagte ich bestimmt. „Du gehörst doch sonst nicht zu Denen, die nach Aeußerlichkeiten urtheilen! Und wenn innerer Werth in Betracht kommen soll, hast Du nicht den Beweis in Händen? Wäre Werdau reich wie Arsent gewesen, Du hättest mich ihm mit Freuden anvertraut. Freilich wußtest Du nichts – aber steht nach dieser Geschichte nicht Walter in hehrer Pracht vor unseren Augen, während Werdau zusammenschrumpft zum gräulichsten Scheusal? Kannst Du es einem Mädchen verdenken, wenn es in der Einsamkeit seines Herzens Vergleiche anstellt zwischen dem Menschen, der nie andere als edle Gesinnungen an den Tag legte, der mit der Frische eines unverdorbenen Gemüths sich Gottes schöner Welt freut, und dem blasirten Weltmenschen, der nichts Edles aufzuweisen hat als seine Geburt und dem es selten gelingt, seine schlaffe Natur zu reinen Gefühlen emporzustacheln?“

„Das hast Du gethan?“ rief Ernst. „O, ich Thor, der Dich harmlos einem jungen Manne anvertraute – – – – !“

„Halt ein, Bruder! Jene Vergleiche führten mich zu weiter nichts, als der Gewißheit, daß es noch edle Menschen giebt, die in der Mehrzahl unserer jeunesse dorée nicht zu finden sind. Ich schwöre Dir, daß ich bis zum Augenblicke, wo wir Alle Walter als verloren aufgaben, nicht ahnte, daß ihm mein ganzes Herz gehörte. Nein! Bis dahin war ich eine echte Waldemberg gewesen, die Alles hinnahm, als sei es ihr gehörig, und nicht merkte, daß mit diesem ungekünstelten Sichhingeben der Künstler in ihr Herz sich schlich. Hätte ich früher gewußt, was kommen sollte, ich hätte wie ein Held gegen meine Liebe gekämpft, denn dann konnte sie mir noch als etwas meiner Unwürdiges erscheinen. Jetzt, Bruder,“ schloß ich leise, die Arme um seinen Hals schlingend, „jetzt ist es zu spät, denn jetzt bin ich stolz auf dieses Gefühl, betrachte es als Das, zu was ich auf Erden lebe!“

„Armes Kind! Und dennoch mußt Du entsagen!“

„Entsagen, Ernst? Du sprichst ein Wort aus, dessen Laut für mich keine Bedeutung mehr hat – wisse, ich bin so fest in meiner Liebe, daß, wenn Walter mir heute sagte: ‚Folge mir in einen andern Welttheil!‘ ich es thun würde, freilich nicht, ohne mir vorher die Kniee blutig gerungen zu haben, um Deine Bewilligung zu erzwingen. Laß Dich erweichen, Ernst! Du widerstehst mir nicht!“

Schweigend schritt Ernst im Zimmer auf und ab – in seiner Gedankenabwesenheit sogar hier und da ein Buch vom Schranke nehmend, um es dann eiligst an den unrechten Ort zurückzuzustellen. Sein Schweigen machte mir bange, Amalie, hatte ich denn so Unerhörtes verlangt, daß meinen Wünschen dieser eiserne Widerstand entgegengesetzt werden mußte?

„Es giebt Dinge, Hedwig,“ begann er endlich, vor mir stehen bleibend, „die ein Mann einem Mädchen schwer erklären kann. Dennoch muß es sein! – Der Mann ist stolz, Hedwig! Sei das Weib auch noch so hingebend, ihre Aufopferung besiegt den Stolz Desjenigen, der sich schon von Kindesbeinen an als Herr betrachtet, niemals! Impach hat uns gezeigt, daß er zu den wahrhaft seltenen Naturen gehört, deshalb allein spreche ich auch von ihm, wie ich’s jetzt wage. Glaubst Du, daß er wirklich glücklich wäre mit Dir? – Nicht diesen Triumphblick, Hedwig! Laß mich als Mann den Mann beurtheilen. Wenn er Dich diese ganze Zeit her geliebt hat, wie Du wähnst, so hat er Dich als etwas Unerreichbares, für ihn Verbotenes betrachtet, denn niemals ließ er einen Schimmer seines wahren Gefühls durchblicken. Du schenkst Dich ihm plötzlich, Du, zu Der er nur emporsah; glaube mir, Hedwig, er nimmt das Geschenk nur ungern an. Er hat Dich nicht erkämpft, erstritten; Du gabst Dich ihm, und das widerstrebt dem männlichen Gefühle. Jedes freundliche Wort, jede – Liebkosung ist eine Gnade, zu der er sich durch nichts berechtigt wähnt; und diese ewige Dankbarkeit, mit der er zu Dir aufsieht, ist nicht der Weg, ein Glück zu begründen.“

Ich unterbrach ihn rasch. „Ernst, Du stellst mich hart auf die Probe, wenn ich Dir Walter’s Liebe zu mir klar machen soll. Das weiß ich bestimmt,“ rief ich freudig, „daß er aus meinen Händen Alles annimmt, ohne zu glauben, daß er mir’s nicht mit Gleichem vergelten kann. Seine Leiden um mich haben alle Verpflichtung auf meine Seite gewälzt.“

„Das ist die enthusiastische Hingebung eines Mädchens, das wähnt, den Einzigen gefunden zu haben. Ich habe sie mein Lebenlang gesucht und immer nur das vorübergehende Aufflackern gefunden, das mich bei Dir jetzt zur Verzweiflung bringt.“

„O Ihr Männer mit all’ Eurer vielgerühmten Weisheit, wie macht Euch ein unerfahrenes Mädchen zu Schanden! Ebenso ungerecht als Du meine Liebe ein momentanes Aufflackern benennst, ebensowenig suchtest Du weibliche Hingebung umsonst – Du Undankbarer!

… Immer irrtest Du nach Liebe, immer
Nach Liebe, doch die Liebe fandst Du nimmer.
Und kehrtest um nach Hause, krank und trübe.

Und da fandest Du, Ernst? – Nur der Aufregung dieser Stunde hast Du es zu verdanken,“ setzte ich jubelnd hinzu, „wenn ich mein Schweigen breche – die opferbereiteste Hingebung, die treueste Liebe athmet ganz in Deiner Nähe –“

(Schluß folgt.)




Noch ein Dichter-Kerker.


Ihn schlossen sie in starre Felsen ein,
Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.
Er doch voll Kraft zerbrach den Felsenstein
Und ließ sich abwärts am unsichern Bande.
Da fanden sie im bleichen Mondenschein
Zerschmettert ihn, zerrissen die Gewande.
Weh! Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht auffingst, schützend, voll Erbarmen!

Eines der lieblichsten, vor der Hand noch abseits vom Eisenbahnzug gelegenen Fleckchen schwäbischer Erbe ist das Uracher Thal; in seine Nähe führt jedoch das Dampfroß von Ulm wie von Stuttgart und Reutlingen her, wenn wir bis zur Station Metzingen der Ober-Neckarbahn fahren. Von da erreicht der Fußgänger in dreiviertel Stunden, nach Morgen gewendet, Dettingen und betritt gleich hinter diesem Dorfe das von der lustigen Erms bewässerte und geschmückte Thal, das in der That alle Schönheiten der Albnatur in größter Vollkommenheit und Fülle in sich vereinigt und vier Stunden lang, bis Seeburg, den Wechsel erfrischender und erhebender Bilder bietet.

Ungefähr in der Mitte dieses Thales liegt die alte und noch heute mittelalterthümliche Stadt Urach und dreiviertel Stunden davon, auf hohem Wald- oder Felsberg, die ehemalige Grafen-Veste Hohen-Urach in Trümmern – wie jenes Schloß, das „des Sängers Fluch“ gebrochen hat. Auch diese Trümmer theilen jenes Schlosses Schicksal, und man wird es mir nicht verargen, daß in der Erinnerung an ein schweres Dichterloos diese Burg mir noch heute wie beflort erschien. Ich sah ihre Trauer, denn ich wußte ihr Geheimniß und will es hiermit verrathen. Sie hat wirklich in ihren Jugendjahren den Deutschen einen Dichter gemordet, einen rastlosen Kämpfer für Recht und Freiheit hat sie getödtet, und ebendeshalb ruht auch auf ihr des Sängers Fluch, und nun ist sie geknickt, die blutrothe Rose mit den gewaltigen Dornen, und es that noth, daß ein mitleidiges Oberamt ihr eine Tafel anhing, worauf Dem mit schrecklicher Strafe gedroht wird, der ihr die lose hängenden Blätter muthwillig abzupft und der Zeit in’s Handwerk pfuscht.

Die Geschichte von dem unglücklichen Dichter ist nur wenig bekannt. Ich will sie im Folgenden kurz mittheilen, damit alle Leser der Gartenlaube, die einmal nach Schwaben kommen sollten, Hohen-Urach in seiner dunkel prächtigen Trauer sehen können und das schöne Thal der Erms doppelt genießen.

Clerus und Adel hatten sich zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts in unserem Vaterlande sehr breit gemacht, und im Volke hatte es schon längst angefangen zu wühlen und zu kochen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_678.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)