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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


habe fünf Kinder, die vor Kurzem die Mutter verloren haben, und ich bin ja unschuldig an Allem, was geschehen ist!

Hier ist’s wohl am Ort, nicht einem Todten noch einen Makel anzuhängen, aber eine Frage zu thun, welche die Möglichkeit der Rettung des alten Generals und vielleicht selbst die des Fürsten angeht. Hätte der Fürst, von dessen Lebenshoffnung nunmehr doch, nach Allem, was er gehört haben mußte, nicht das kleinste Fünkchen mehr glimmen konnte, es über sich vermocht, sein leichtes Versteck zu durchbrechen und herauszutreten in den Kreis der Wüthenden, oder hätte er aus dem Keller nur gerufen: „Laßt diesen gehen – Ihr irrt! – Ich bin es, den Ihr sucht!“ – es hätte Auerswald sicher in diesem Augenblick noch gerettet. – Ja, die Größe des Muthes, die Größe der Selbstaufopferung, das Erhabene einer solchen That – wer hat alle Tiefen des Menschenherzens ermessen! – es war möglich, daß sie selbst der wüthendsten Masse Bewunderung eingeflößt, daß sie dem furchtbaren Drama ein anderes Ende bereitet hätte. Der Fürst aber blieb stumm liegen bei dem lauten Jammer des greisen Vaters um seine armen Kinder, des Freundes, den er zu diesem Todesritte verleitet! – Welche Qualen er da gelitten, wie alle grimmigsten Seelenschmerzen in ihm genagt und gebissen, wer wagt das noch zu fragen? Und all das Entsetzliche litt er, weil er den großen Entschluß nicht zu fassen vermochte, ohne dadurch seinem noch qualvolleren, weil langsameren Schicksal zu entgehen.

Der General wurde weiter gestoßen, ein Kerl legt auf ihn an, er bricht bei einem Hyacinthenbusch in die Kniee zusammen, wird wieder aufgerissen und fortgestoßen, zum Pförtchen hinaus, über die Brücke und an den Graben gezerrt. Hier fällt auch ein Weib ihn an, die Gattin eines Lithographen Zobel. Sie schrie: „Ihr habt auch auf mich geschossen!“, schlug den blutenden Greis mit dem Regenschirm, warf einen großen Stein auf ihn und forderte seinen Tod. Die fortdauernd herüberschallenden Salven aus Frankfurt und der Ruf: „Bluthunde! Verräther! Ihr habt auch kein Mitleid mit uns!“ führten rasch zum Ende. Ein Stoß auf die Brust, ein Schlag und ein Schuß – er wankt rückwärts, kauert sich am Graben zusammen; noch ein Schuß – mit ihm fiel er in den Graben, ein dritter, dicht am Graben hinabgefeuert, macht seinem Leiden ein Ende.

Dies Alles war das Werk weniger Minuten.

Wieder begann das Suchen, und erst jetzt ergab es sich, daß man nicht gewußt, wen man getödtet hatte. Man fand in der Speicherkammer unter herausgeworfenen Betten des Generals Rock und Hut, nach denen man verlangte. Daß man Beides dort finden konnte, beweist, daß Frau Schmidt ihre Geistesgegenwart wiedergefunden und die kurze Zeit, wo das Haus leer war, benutzt hatte, um aus ihrem Kleiderschrank und ihrem Wohnzimmer (dort war der Hut liegen geblieben) die gefährlichsten Zeugen ihrer Sorge für den Todten wegzuschaffen. Einer, der den Namen im Hute las, rief: „Das ist ja der Unrechte!“ – ein Anderer: „Das ist sein Adjutant gewesen,“ – ein eben herzutretender Dritter, der Dr. Hodes aus Fulda, damals in Bornheim wohnend, klagte: „Ach, was habt Ihr gemacht! Ihr habt den General von Auerswald getödtet, einen unserer tüchtigsten Generale!“ Aber diese Worte erregten einen Sturm gegen ihn und schärften die Gefahr gegen „den Andern“, denn nun lief’s von Mund zu Mund: „Es ist nicht der Rechte, wir haben den Unrechten!“ – Und nun wurde abermals das ganze Haus durchwühlt, aber, seltsamer Weise, der Keller zuletzt. Wir übergehen die Wühlerei hier. Verschlag um Verschlag ward durchforscht, aber nirgends fand man den Gesuchten, und schon war die Mehrzahl der Verfolger gelangweilt davongegangen, als ein halbwüchsiger Bursche rief: „Da liegt was Graues und was Schwarzes!“ Sofort sprangen auch Andere wieder herzu, ein Beilschlag sprengte die Thür, das Graue und Schwarze war der Rockzipfel des Fürsten, der sich nun von seinem gepreßten Lager erhob und hervorsprang. Hier soll er, nach den Zeugenaussagen, um sein Leben gebeten und etwa Folgendes gesprochen haben: „Ich will Alles für Euch thun. Ich weiß, daß Ihr Ursache habt, unzufrieden zu sein, allein ich trage die Schuld nicht! Ihr haltet mich für Euern Feind – Ihr habt größere Feinde, als ich bin. Aber wenn Ihr mich gehen laßt, wenn Ihr mir nur mein Leben schenkt, dann will ich von nun an für das Volk arbeiten und nur für das Volk …“ Und wirklich schien seine Beredsamkeit noch einmal zu siegen. Man kam ihm nicht, wie fälschlich verbreitet worden ist, mit Schimpfen und Drohen von Mord und Todtschlag entgegen. Die Rachsucht war abgekühlt durch den Tod des Generals, und ob es jetzt auch dem ärgsten Feind galt, so trat doch schon so viel Besonnenheit ein, daß man sich seiner lieber als Geisel versichern, ihn nach Hanau oder Offenbach abführen wollte. Wenn jetzt, wo man fast bis zu friedlicher Verhandlung gekommen war, nicht neue Verhetzungen begannen, nicht ungeschickte Helfer kamen und der Fürst selbst besonnen blieb, so war immer noch die Erhaltung seines Lebens möglich. Aber alle drei Bedingungen blieben unerfüllt. Bis jetzt hatte Lichnowsky noch keine Mißhandlung erfahren, und dennoch setzte er der beruhigenden Aufforderung der Anwesenden: „Es solle ihm nichts geschehen, er möge nur ruhig mit ihnen gehen“ – Widerstand entgegen. Er wollte an Ort und Stelle freigelassen sein. In diesem Augenblick drängte sich ein junger Frankfurter Kaufmann Louis Pillot, vom Bethmann’schen Hause kommend und wohl dem Fürsten bekannt, vor und rief: „Schämt Euch! Sucht Ihr hier die Republik? Ist das Eure Republik?“ Das war böses Oel in’s aufglimmende Feuer. „Hundsfott, Du bist auch ein Freund von ihm!“ fuhr man ihn an und eiligst schlich er hinweg, offenbar um, wie der Fürst klug herausfand, Militär zu holen. Mit dem Widerstand begannen auch die Mißhandlungen des Fürsten. Er wurde gestoßen, fortgeschoben und die Treppe hinaufgezerrt. Da mußte er wohl plötzlich an Auerswald’s Schicksal denken, denn er rief nun laut: „Laßt mir mein Leben! Ich will für das Volk und sein Wohl Alles thun. Ich gebe Euch die Versicherung. Ihr wollt die Republik, – ich verschaffe sie Euch. Ich verschaffe sie Euch! – Ich kann es!“ und mit hoch erhobenem Arme schrie er dreimal hintereinander: „Hoch lebe die Republik!!“ Aber jetzt lautete schon die Erwiderung darauf: „Es ist zu spät – das hättest Du früher thun sollen!“ – und als er um seinen Hut bat, rief man: „Du brauchst keinen mehr!“ – Dennoch gestattete man, daß der Hut aus dem Verschlag hervorgelangt wurde.

In diesem Augenblicke trat Dr. Hodes wieder heran. Auch er vergaß sich zu einem: „Schändlich! Das ist schändlich, was Ihr macht!“ Aber ein Schlag in’s Gesicht und der Ruf: „Du bist auch einer von dene’ – auch so’n Schuft!“ verscheuchte ihn erst, brachte ihn aber zur Besinnung, und als er kurz nachher wieder kam, um sich auf die Seite Derer zu schlagen, welche den Fürsten als Geisel nach Hanau führen wollten, wußte er durch kluge Reden, Erzählung aus seinem Leben als politischer Kämpfer und Dulder und den guten Rath, gegen etwa nahendes Militär Lauerposten aufzustellen, die Mehrzahl so für sich zu gewinnen, daß sie aussprachen: „Das ist unser Mann, – der meint es gut mit uns.“ Von diesem Augenblick an durfte er der Begleiter des Fürsten bleiben, dessen Rettung seine einzige Sorge war. Der Fürst verstand aber auch diesen Mann nicht und machte ihm das Rettungswerk selbst mit unmöglich.

Bald wechselt zwischen den Haufen wie ein Parteiruf das Geschrei: „Der Hund muß todtgeschossen werden!“ und „Nein, er kommt nach Hanau!“ Damit zogen sie auch über das verhängnißvolle Brückchen und zerrten ihn jenseits an den Graben vor Auerswald’s Leiche. Und als er sich von diesem blutigen Bilde abwenden und gehen wollte, rief man ihm zu: „Was erschräckst D’? Bist ja ach in … nit erschrocke!“ (den Ort hat der Zeuge nicht genau gehört, ob Spanien oder Frankfurt?) Es war der furchtbarste dieser letzten Augenblicke des hier moralisch Gefolterten.

Indem der Haufen mit dem Fürsten die vom Brückchen nach Bornheim hinführende Pappelallee einschlug, kam ein abgesetzter und halb verrückter Judenschulmeister von Rödelheim, Namens Buchsweiler, aus der Stadt dahergerannt, schrie wie besessen: „Jetzt ist Deutschland gerettet! Juchhe! Juchhe!“ erhitzte von Neuem die Menge mit Erzählungen von den Kämpfen in der Stadt und brachte das Geschrei „Er muß sterben!“ wieder in gefährlichsten Fluß. Trotzdem bildeten die Friedlicheren, die „den Gefangenen“ nach Hanau bringen wollten, noch die Mehrzahl, an die Dr. Hodes sich halten konnte. Bei jeder Ausfechtung solchen Parteihaders ballten sich die Haufen zum Knäuel um den Fürsten und Hodes, und dann kam es auch zu Mißhandlungen des Ersteren. Man schlug ihm den Hut bald vom Kopf, bald über den Kopf, man stieß ihn und spuckte ihm sogar in’s Gesicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_681.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)