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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 44.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Ende vom Liede.
Eine Berliner Geschichte von Albert Moedinger (Max Alt).
(Fortsetzung.)


„Ich hielt Ihren Vetter stets für einen guten Menschen,“ sagte ich, während der Schöngeist immer noch nachdenklich sein Haupt wiegte.

„Ich halte ihn heute noch dafür“, fuhr dieser nach einem kurzen Schweigen fort. „Gut, aber schwach! Die gute Hälfte der Männer mit halber Bildung ist so wie er. Wissen Sie, wie seine Antwort innerlich gelautet haben mag? Man antwortet in solch einem Fall immer, wenn man auch stumm wie ein Fisch bleibt: ‚Sie haben klug reden, alter Herr‘, ich wette, daß er innerlich so zu ihm sagte, ‚Sie haben klug reden. Man sieht, daß Sie keine Mutter haben, die Kriegsräthin ist!‘“

Wir saßen Beide einen Augenblick schweigend da, dann fragte ich, um einen Zweifel aufzuklären, der mich beherrschte: „Und Sie glauben wirklich, daß Ihre Tante niemals die Einwilligung zu dieser Verbindung gegeben haben würde?“

Der Schöngeist schüttelte langsam den Kopf und sagte dann: „Ich muß meine Tante falsch geschildert haben; Sie verkennen sie. Sie ist trotz alledem eine Frau von seltener Herzensgüte. Es würde Kämpfe gekostet haben, ganz gewiß, aber die Liebe zu ihrem Sohne würde in ihr gesiegt haben. Es ist einfach eine Entschuldigung, die mein schöner Vetter sich selbst machte.“

„Das ist entsetzlich,“ antwortete ich leise.

„Warum?“ sagte der Schöngeist achselzuckend; „es ist Eitelkeit, nichts als Eitelkeit, und wer ist heut zu Tage nicht eitel? Eduard würde gestorben sein, wenn seine kleine Frau in Gesellschaft hin und wieder ‚mir‘ statt ‚mich‘ gesagt hätte, und er würde sie dahin gebracht haben, mit seinen großen, unermüdlich auf ihr ruhenden Augen; er würde ihr den Fehler abgeängstigt haben, glauben Sie mir, und wenn sie den kleinen Heyse vorwärts und rückwärts auswendig gewußt hätte.“

„Seltsamer Charakter!“ sagte ich kopfschüttelnd.

„Wir wollen ihn nicht verdammen,“ fuhr der Erzähler fort; „wir können eben Alle nicht aus unserer Haut heraus. Er war nun einmal so schwach. Er fürchtete Alles, was irgendwo und irgendwann einmal eintreten konnte. Ich glaube nicht, daß er recht klar wußte, wovor er sich fürchtete. Vielleicht hielt er es für möglich, daß der alte Mauerpolier wieder aufstehen möchte, um betrunken zur Trauung in die Kirche zu kommen. Wer kann es wissen?“

„Hatte ihn jener tragische Schritt des jungen Mädchens nicht gerührt?“

„Gerührt? das möchte ich nicht behaupten; erfreut und stolz gemacht, so wird man es ungefähr nennen können! Wenigstens war er hinterher eine kurze Zeit auffallend glücklich in ihrer Gegenwart, und ich glaube, wenn sie selbstsüchtiger gewesen wäre, würde sie ihn damals vielleicht dahin gebracht haben, die Hochzeitskutsche zu bestellen. Aber wie sollte das kleine Ding zu selbstsüchtigen Ideen kommen!? Uebrigens glaube ich, daß sie nachher anfing, ihn zu durchschauen. Sie war ruhiger geworden und zitterte nicht mehr in dem Maße wie früher, wenn dem hohen Herrn etwas nicht recht war.

Ein halbes Jahr darauf lernte Eduard seine jetzige Braut kennen, und seine Lage wurde dadurch noch bedauernswerther. Er fürchtete sich nun erst recht. Was konnte das Mädchen, wenn es sich um eine Andere verlassen glaubte, für dumme Geschichten machen … Er war wirklich zu beklagen, und ich hatte ein gewisses Gefühl für ihn, das sich aus Mitleid und aus noch manchen anderen Empfindungen zusammensetzte. Ich nahm den Auftrag, die Sache zu arrangiren, an, weil ich das junge Mädchen gern hatte und sie achtete. Er wollte für sie sorgen, ihr ein Geschäft einrichten, sie solle nur vernünftig sein und keine Scenen herbeiführen. Ich wünschte, Sie hätten die Tochter des alten Mauerpoliers bei dieser Gelegenheit sehen können, wie sie mich ruhig anhörte und nur ihre kleine Hand langsam aber fest auf’s Herz legte! Ich war auf einen Anfall von Weinkrampf oder etwas dergleichen gefaßt gewesen und ich hatte mich mit Eau de Cologne und englischem Salz versehen. Es war unnütz, und daß sie mich ruhig und ernst anhörte und meine Vermuthungen in keiner Art zutrafen, brachte mich wirklich in keine geringe Verlegenheit. Sie werden lachen, aber ich kam mir wirklich einen Augenblick wie der umgekehrte Polier vor und war dicht daran, selbst zu meinem Riechfläschchen meine Zuflucht nehmen zu müssen. Nachdem ich mich des Wesentlichsten meines Auftrags ungeschickt entledigt hatte, sah sie mich mit einem wehmüthigen Lächeln an und antwortete mit der lieblichen klangvollen Stimme, die mir in’s Herz schnitt: ‚Sagen Sie ihm, daß er von mir nichts zu fürchten hat; wenn er mich nicht mehr liebt, so soll er gehen! Es war mir seit längerer Zeit immer, als wenn er schon fort wäre, und ich duldete seine Besuche nur noch, weil man nie wissen kann, was in einem Menschenherzen Alles vorgeht, es ist ein so schnurrig Ding – Sie kennen das kleine Lied – sein’s … ist es wohl nie gewesen; er soll ruhig gehen – er hat von mir nichts zu fürchten.‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_707.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)