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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


‚Aber Sie, mein gutes Kind,‘ sagte ich ebenso gerührt wie besorgt zu ihr, ‚wollen Sie mir versprechen, daß Sie … nicht wieder … thun Sie’s nicht! Es ist nicht das Richtige und ist nicht christlich. Thun Sie’s nicht, ich bitte Sie darum.‘

Sie sah mich mit ihren großen dunklen Augen fest an und verstand mich augenblicklich. Dann sagte sie, ihre rechte Hand leicht und doch so bedeutungsvoll erhebend: ‚Ich werde es nicht thun. Ich schwöre es Ihnen. Es steht anders heut; damals glaubte ich noch an seine Liebe, und ich mochte nicht leben, weil ich die Möglichkeit vor Augen sah, sie zu verlieren. Jetzt habe ich mich langsam an diesen Gedanken gewöhnt; ja, noch mehr, ich fühle, daß ich seine Liebe nie besessen habe. Ich werde tragen, was ich mir selbst auferlegte.‘

Als ich dann zu dem delicaten Punkt meines Auftrags kam, fiel sie mir sogleich in’s Wort. ‚Ersparen Sie mir das!‘ sagte sie, ‚ich fühle, daß es Ihnen schwer wird, diese Worte herauszubringen. Ich danke Ihnen dafür. Sie waren immer gut zu mir. Er hat ein Paar Mal ganz ruhig davon zu mir gesprochen; er kennt meine Antwort. Ich lasse ihm danken.‘

Das junge Mädchen that mir in ihrer ruhigen Ergebenheit so leid, daß ich mich für verpflichtet hielt, ihr noch irgend etwas Tröstliches zu sagen, und es mag Ihnen einen Begriff von meinem damaligen Gemüthszustand geben, daß ich sie bat, ihn nicht zu hart zu beurtheilen, und daß ich Alles hervorsuchte, was etwa zu seinen Gunsten sprechen konnte und ihn vielleicht weniger lieblos erscheinen ließ. Das arme Kind dankte mir noch dafür. ‚Er ist nicht schlecht; ich weiß es,‘ sagte sie; ‚ich würde ihn sonst auch nie geliebt haben; er ist nur schwach und ist nur das, wozu ihn seine Mutter erzog, kalt und hochmüthig. Ich wünsche ihm alles Glück, aber ich glaube, er wird es nie kennen lernen. Das Glück wenigstens nicht, das mir als das wahre erscheint und das darin besteht, Anderen Opfer zu bringen.‘“ …

„Ich war an jenem Abend in sehr gehobener Stimmung, als ich meinen Schlaftrunk einnahm,“ fuhr der Schöngeist fort, nachdem wir eine kurze Weile schweigend dagesessen. „Ich hatte eine schöne Menschenseele kennen gelernt und dachte lange über die hübsche Parabel von den Perlen und den Säuen nach.“

„Und das junge Mädchen hielt Wort?“ fragte ich, nach der Uhr sehend.

„Auf das Treuste!“ antwortete Robert Fürst. „Sie hat ihm nichts in den Weg gelegt, nicht das Geringste. Anfangs war mein Vetter noch ziemlich unruhig, wenn er mit seiner jungen Braut ausging oder ausfuhr und wenn er Abends zu ihr kam. Er fürchtete doch immer noch, ein anonymes Briefchen würde den Reigen eröffnen, und malte sich mit seiner Phantasie aus, was für Situationen sich daraus entwickeln würden. Als aber gar nichts geschah, wurde er ruhiger und gab sich ganz seinem Glück hin. Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß sich gleichzeitig ein adeliger Hauptmann von der Artillerie um Marie Mannstein bewarb und daß er über diesen den Sieg davon getragen, nachdem der Kampf lange hin und her geschwankt. Eduard war sehr stolz darauf, und sein Glück bestand jedenfalls zum guten Theil aus dem süßen Gefühl befriedigter Eitelkeit. In den letzten Tagen stiegen die Gespenster, die ihn eine Zeitlang in Ruhe gelassen hatten, von Neuem aus ihrer Gruft heraus, und er bat mich, bei der Trauung ein wachsames Auge zu haben. ‚Ich weiß wohl, sie ist vernünftig,‘ sagte er, seinen glänzenden schwarzen Bart streichend, ‚viel vernünftiger, als man eigentlich von ihr erwarten konnte,‘ und ich versichere Ihnen, daß ein ganz leiser Ton des Vorwurfs in diesen Worten lag; ‚aber … sie läßt sich vielleicht von ihrer Wirthin oder sonst einem alten Weibe überreden und kommt in die Kirche und fängt an zu schreien; ich könnte es wirklich nicht ertragen, Robert; ich müßte in die Erde sinken. Darum bitte ich Dich, wenn Du sie siehst, suche sie zu bestimmen, daß sie die Kirche verläßt; sie ist doch nur ein kleines, schwaches Mädchen, und beim besten Willen könnte sie vielleicht … bitte sie in meinem Namen, bei meiner Liebe zu ihr, daß sie die Kirche verläßt!‘

Sie glauben es vielleicht nicht, aber er hat es gesagt, er hat es bei Gott gesagt und er hat sicher keinen Augenblick daran gedacht, welch ein bodenloser Egoismus in diesen Worten lag.“

„Aber seine Befürchtungen waren natürlich unnütz; sie war nicht in der Kirche, nicht wahr?“ fragte ich.

„Das wäre denn doch von einer kleinen Näherin zu viel verlangt gewesen,“ antwortete der Erzähler; „aber wie war sie da, in welcher zarten Art!? Meines schönen Vetters Augen irrten sehr unruhig umher, als er in die Kirche trat, und ich glaube sogar, auch die Kriegsräthin ließ die ihren ziemlich forschend über die zahlreich versammelte weibliche Gemeinde laufen; doch Beide vermochten sie nicht zu entdecken. Sie war auf der ersten Galerie, hinter einem Pfeiler, von dem sie Alles sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Sie sah natürlich bleich aus, war aber sonst ruhig. Sie hätten sie sehen sollen, als der Prediger das Gebet sprach, wie sie die kleinen Hände auf das Gesangbuch legte und den Kopf darauf. Ich war in dem Augenblick überzeugt, daß in der ganzen Kirche keine treuere Bitte zu Gott emporstieg für das Wohl des großen schwarzen Mannes da unten, als aus dem Herzen des jungen, bleichen Mädchens, dem er Alles, Alles genommen!“ –

Es war spät geworden, und wir waren fast die letzten Gäste, als wir uns erhoben, um zu gehen. Als wir auf der Straße ankamen, wo unsere Wege bald auseinanderführten, reichte mir Robert Fürst die Hand. „Sie kennen nun die kleine einfache Geschichte. Jetzt, bitte, rufen Sie sich die unbarmherzigen Worte des trunkenen Knaben in’s Gedächtniß und überlegen Sie dieselben! Fühlen Sie nicht etwas von dem geheimnißvollen Grauen des antiken Fatums? Die Stufen des Tempels, zu dem mein schöner Vetter emporschritt, um das Glück zu finden, waren mit Rosen bestreut, und glücklich hoffend lächelte seine Lippe. Da, in dem Augenblicke, wo er den Vorhang von dem verschleierten Bilde heben will, springt mit jähem Satz die Schlange aus ihrem duftigen Versteck und hängt fest, fest an seinem Herzen! ha! ha! ha! ‚Das Ende vom Liede!‘ Der unmündige Knabe hat mich beleidigt, tödtlich beleidigt. Ich glaubte das Leben zu kennen und ich war einfältig genug zu denken, die Geschichte sei aus, als wir aus der Kirche kamen, das glückliche Paar in den Wagen stieg und der Kutscher mit dem Strauß an der Brust die Pferde antrieb, deren weiße Atlasschleifen so lustig flatterten! Unsinn! Als ob in diesem Leben überhaupt jemals etwas aus sein könnte! Der Knabe hat Recht, es war der Anfang vom Liede, und Gott allein weiß, wie einst das Ende klingen wird. Adieu! auf Wiedersehen!“




2.

Die späte Jahreszeit hatte es dem glücklichen Paare nicht ermöglicht, eine Hochzeitsreise anzutreten. Sie feierten ihre Flitterwochen daheim und öffneten gleich bei Beginn des Winters ihr Haus allen Freunden zu kleinen und großen Festlichkeiten. Ich hatte Einladungen zu diesen erhalten und traf, ihnen folgend, jedesmal mit dem Schöngeiste zusammen. Wir beobachteten, Jeder in seiner Art, und Keiner konnte etwas entdecken. Ich lachte oft im Stillen, wenn ich den Vetter Eduard Sandow’s mit seinen grübelnden kleinen Augen unermüdlich über die Brille hinwegsehen sah, wie er jedes Winkelchen durchstöberte und den Kopf schüttelte und nicht begreifen konnte, wo um Alles in der Welt die Schlange sich verkrochen haben möge. Ich lachte ihm eines Abends laut in’s Gesicht und sagte ihm meine Meinung: „Es nützt Alles nichts, Verehrter! Sie ist nicht da, und wir haben alle Beide Gespenster gesehen. Der Wein war sehr schwer. Sie ist nicht da.“

Er sah mich eine Weile sinnend an, dann sagte er in seiner entschiedenen Art und Weise: „Ich will mir allenfalls gefallen lassen, daß der Junge ein boshafter Schlingel ist, der nur einen Scherz machen wollte. Aber weshalb antwortete die Braut so furchtbar boshaft? Wollen Sie mir das gefälligst erklären? Sie können es nicht; kein Mensch würde es können. Deshalb sage ich Ihnen, sie ist doch da; nur nützt es nichts, sie zu suchen. Darin haben Sie Recht. Sie wird ganz von selbst zum Vorschein kommen, und ich möchte mit Ihnen wetten, daß Sie zuerst ihre Schwanzspitze zu sehen bekommen.“

„Weshalb ich?“ fragte ich lachend.

„Weil Ihnen weniger daran gelegen ist als mir,“ antwortete er und trat an den Spieltisch, wo die Kriegsräthin beim l’Hombre saß, und in den Pausen sehr übermüthige Geschichten erzählte und sehr lustig lachte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_708.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)