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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Eduard Sandow war augenscheinlich sehr glücklich. Seine Frau sah wirklich mit ihren zarten Farben und der üppigen Fülle ihres aschblonden Haars, das sie sehr geschickt auf ihrem kleinen Kopf balancirte, außerordentlich hübsch aus. Sie hatte eine Fantasie von Thalberg leidlich zu Ende gebracht, ein hübsches Liedchen gesungen, und man war jetzt dabei, das Album zu bewundern, das ganz mit Zeichnungen von ihrer eigenen Hand gefüllt war. Man konnte auch nicht leugnen, daß ihr sehr ruhiges Wesen eines gewissen vornehmen Anstrichs nicht entbehrte. Sie lachte sehr selten laut, sondern lächelte nur; sie sprang nicht fortwährend auf, sondern blieb ganz ruhig sitzen, selbst in Fällen, wo es ihr als Wirthin vielleicht nicht an Veranlassung gefehlt hätte, aufzuspringen. Auch würde das feinste Ohr sich umsonst gemüht haben, den kleinsten Verstoß gegen den kleinen Heyse bei ihr zu entdecken; sie plapperte ganz geläufig Französisch mit dem alten Küchenmeister von der Colonie, und dem glücklichen Gatten tönte das wie Musik in die Ohren, vielleicht weil er so wenig davon verstand. –

Eines Tages kam Robert Fürst, den ich seit drei Wochen nicht gesehen hatte, zu mir in’s Atelier, wo er sich nach einer kurzen Begrüßung auf das Sopha warf, den Kopf schüttelte und leise vor sich hin lachte.

„Nun, haben Sie sie endlich entdeckt?“ fragte ich, meinen Stuhl zu ihm umwendend.

„Noch nicht, noch nicht,“ antwortete er; „aber es ist festgestellt, daß sie da ist; man hört sie zuweilen rascheln. Meine Schwester hat sie rascheln hören, und von ihr habe ich die kleine Nachricht, die ich bringe. Sie wissen, daß mein schöner Vetter ein ungemein eigener Mann ist. Er ist wie ein Spiegel; nicht ein Stäubchen will er auf sich haben, und in Allem, was zu seiner Toilette gehört, war er von Jugend auf schwer zu befriedigen. Die junge Frau hatte meine Schwester ersucht, ihr beim Einkaufe eines ihr fehlenden seidenen Kleides behülflich zu sein, und hatte sie nach vollbrachter That mit zu sich geschleppt. Da trafen sie den glücklichen Gatten vor seinem Wäschspinde knieend und wie in einem Neste reiner, aber vollständig auseinandergerissener und zerknitterter Wäsche begraben. Er war sehr schlechter Laune und behauptete, kein Oberhemd zu haben, das er anziehen könne. Das eine war zu blau, das andere zu gelb, und die übrigen waren alle furchtbar grau und so schlecht geplättet, wie er es nicht gewohnt sei. Er war durchaus nicht guter und liebenswürdiger Laune und hat sich schließlich aus seinem weißen Neste mit den Worten erhoben: ‚Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll, Marie.‘

Marie hatte ihm aber sehr ruhig zugehört und in dem tröstenden Tone, den man einem unzufriedenen Kinde gegenüber anschlagen würde, ebenso ruhig geantwortet: ‚Es thut mir wirklich leid, lieber Eduard. Aber Du wirst Dich schon einmal so behelfen müssen; es soll nicht wieder vorkommen; ich werde es dem Mädchen sagen.‘

‚Dem Mädchen sagen?‘ soll er gerufen haben; ‚dem Mädchen sagen? Es würde mir eine viel bessere Garantie sein, mein Kind, wenn Du Dich selbst etwas darum bekümmertest, statt den ganzen Tag still zu sitzen.‘

Da soll sie ihn mit einer ganz sonderbaren Miene angesehen und nach einem Augenblick des größten Erstaunens kurz und kalt erwidert haben: ‚Wenn Du den Wunsch hattest, Eduard, eine Frau zu bekommen, die ihr Glück darin findet, den ganzen Tag am Waschfaß zu stehen, so hättest Du es sagen sollen. Ich würde Dir dann einfach geantwortet haben, daß ich dazu keinen Beruf in mir fühle.‘

Und da soll er etwas roth geworden sein, dann das Zimmer verlassen und die Thür hinter sich so zugemacht haben, wie sie artige Kinder nicht zumachen dürfen.

Sie ist liederlich, lieber Freund, und die Katastrophe wird sich wahrscheinlich unromantischer entwickeln, als wir hofften,“ sagte der Schöngeist sich erhebend. „Meine brave Mama und ihre weibliche Nachkommenschaft haben es schon vor vier Monaten herausgehabt, aber ich wollte ihnen nicht glauben, weil ich es im Allgemeinen nicht für rathsam halte, großes Gewicht auf das zu legen, was Frauen von einander sagen. In diesem Falle haben sie Recht, und ich kam eigentlich, um Sie zu bitten, Ihre Augen nach dieser Richtung hin ein Bischen aufzumachen. Vier Augen sehen mehr als zwei, und ich glaube, es wird sich da sehr viel hübsches Detail entwickeln, welches ich nicht gern entbehren möchte – auf Wiedersehen!“ –

Eduard Sandow war von den glänzenden Eigenschaften seiner jungen Frau so eingenommen, daß sie nach dieser Seite hin sehr leichtes Spiel mit ihm hatte. Sie wünschte Unterricht im Oelmalen zu nehmen, bei mir zu nehmen, und ich konnte ihre Bitte nicht gut abschlagen, da ihr Mann sie sehr warm darin unterstützte. Es war anfangs sehr lustig, die junge Frau in dem Costüm zu sehen, das sie sich für das „Atelier“ hergerichtet hatte. Ein rothes Jäckchen, blousenähnlich, wie es bei Malern Mode ist, stand ihr sehr gut, und der gleichfarbige Fez wippte übermüthig auf dem Berg aschblonder Haare hin und her, obgleich er mit einer unsichtbaren Gummischnur wie ein Cereviskäppchen befestigt war. Palette und Malstock in der linken, ein Bündel Pinsel in der rechten Hand, so fuhr sie in dem größten und besten Zimmer, das nach ihrer Meinung zum „Atelier“ gut genug war, hin und her, als ob sie im Begriff wäre auf die Maskerade zu gehen und nur noch auf den Wagen warte. Wie keck sie dann den Pinsel handhabte und zu Beginn der Arbeit mit voller Energie auf die Sache losging! Sie hatte wirklich ein ganz hübsches Talent, dem es nur an stetiger Arbeit fehlte, um sich zu entwickeln und auszudehnen. Aber Marie Sandow und Ausdauer waren zwei Dinge, so weit entfernt von einander wie Nord und Süd. Wenn es nach einer halben Stunde noch nichts wurde, oder lieber gar schon war, dann kam der Unmuth über sie, und sie fing an, mit der Farbe und dem sonstigen Material zu „wirthschaften“, als wenn es sich nur darum handle, recht viel davon zu verbrauchen, um eine große Künstlerin zu sein. Dann flogen das Kremserweiß, der Laque écarlate und andere Farbenblasen bei dem Malkasten vorbei an die Erde und platzten; dann stieß sie mit dem untern Ende des Malstocks die Flasche mit dem Siccatif de Harlem um, die ihren öligen Inhalt fröhlich auf dem Fußboden ausströmte; dann bückte sie sich darnach und warf die ganze Staffelei mit dem Bilde um, das, noch ganz frisch, auf das Gesicht fiel, und es war wirklich sehr amüsant mit anzusehen, wie das glänzende Parquet an der Stelle, wo wir saßen, sich regelmäßig in einen aus lauter kleinen farbigen Steinen zusammengesetzten Mosaikboden verwandelte, auf welchen man nur zu treten brauchte, um ihn weitergehend in einer Art von Naturselbstdruck über das ganze Zimmer zu verbreiten.

Zuweilen kam der sehr peinliche Eduard in dem Augenblicke hinzu, wo die Katastrophe hereinbrach, und er konnte sich dann dem komischen Eindrucke natürlich nicht entziehen, den solche Vorfälle auf den Unbetheiligten immer hervorrufen. Zuweilen kam er aber auch erst später und sah die traurigen Folgen der Katastrophe allein; das machte sich dann viel weniger komisch, und ich erhielt auf diese Weise Gelegenheit, zu bemerken, daß er nicht immer lächelte. – –

Es mag zu jener Zeit gewesen sein, daß ich von dem Schöngeiste den Auftrag erhielt, die Augen nach dieser Richtung hin ein Bischen aufzumachen. Ich that es und kam sehr bald zu der Ueberzeugung, daß die junge Frau wirklich nicht zu den „eigensten“ zu gehören schien. Das rothe Jäckchen bekam auch schon ein recht mosaikähnliches Ansehen; aber das wäre noch das Wenigste gewesen. Es waren noch andere Sachen da, die, wenn sie auch beim Malen und derartigen Hantierungen regelmäßig schmutzig wurden, sich doch sehr leicht wieder reinigen ließen und die augenscheinlich seltener und oberflächlicher diesem Processe unterzogen wurden, als es sonst in guter Gesellschaft Sitte ist. Ich machte noch ähnliche Bemerkungen anderer Art, die ich nicht unerwähnt lassen will.

Es war zu jener Zeit eine Ausstellung vor der Thür, auf welcher die zeichnenden und malenden Damen der Residenz einmal „unter sich“ sein wollten. Die Idee war sehr glücklich, wurde von einer Prinzessin und anderen sehr hochgestellten Damen unterstützt und rief in allen Damen-Ateliers den unzähmbarsten Eifer hervor. Die junge Frau lebte und dachte wochenlang nur „in Oel“, und es war eine ziemlich schwierige Periode für mich, ehe wir mit den zwei Bildern, welche sie angemeldet hatte, fertig waren. Wir waren glücklich bei den letzten Retouchen angelangt, und es handelte sich darum, sie so gut wie möglich anzubringen. Meine Schülerin war Feuer und Flamme; es galt ja, den geliebten Mitschwestern einen Theil des geträumten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_709.JPG&oldid=- (Version vom 7.2.2019)