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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

dessen Inhalt sich mit dem deutsch-französischen Kriege von 1870–1871 beschäftigte, fertig.

Im Februar 1871 hatte ich genannte Novelle, welche sich ,Ein Held der Feder‘ betitelte, beendet und las daraus einige Capitel in einem kleinen Kreise im Hause der Baronin von R– vor. Unter meinen Hörern befand sich auch ein Herr, der mir als Wilhelm Enke, Mitarbeiter der ,Tagespresse‘, vorgestellt wurde. Dieser behauptete, nach dem Wenigen zu urtheilen, was ich aus meiner Novelle gelesen, sei dieselbe vollkommen würdig, gedruckt zu werden, und wenn ich sie ihm anvertrauen wolle, so werde er einen Verleger dafür suchen. Ich war über dies Anerbieten natürlich sehr erfreut, und als er am nächsten Tage zu mir kam, um meine anderen Arbeiten auch durchzusehen, gab ich ihm vier fertige Novellen.

Nach einigen Wochen kam Herr Enke zu mir und sagte, daß er alle vier Novellen an eine ihm persönlich bekannte Schriftstellerin, welche mit Herrn Keil in Verkehr stehe, geschickt habe, deren Verwendung zufolge zwei von den Novellen in der ‚Gartenlaube‘ erscheinen würden unter einem beliebigen Pseudonym, da ich sie unter meinem Namen nicht veröffentlichen wolle. Für diese beiden Arbeiten habe er für mich das Honorar von achtzig Gulden erhalten, welche er mir auch sofort ausfolgte. Bezüglich der beiden anderen Novellen wolle sich Herr Keil später entscheiden, jedenfalls müsse die namenlose Novelle umgearbeitet werden.

Im Herbste mußte ich Wien verlassen und nach Hause zurückkehren. Von dort reiste ich nach Ungarn, wo ich eine Stelle als Erzieherin antrat. Auf meiner Durchreise traf ich Herrn Enke nicht in Wien, hinterließ ihm jedoch meine Adresse, damit er mir meine Manuskripte nachsende. Es vergingen Wochen, ich erhielt von Enke kein Lebenszeichen. Wohl aber schrieb mir mein Bruder, daß eine Novelle ‚Am Altar‘ von E. Werner in der ‚Gartenlaube‘ erscheine. Da ich eine so benannte Novelle nicht kannte, pränumerirte ich auf das Blatt und überzeugte mich, daß dies meine unbetitelte Geschichte sei. Ich schrieb an Enke, erhielt jedoch den Brief als unbestellbar zurück. Nun schrieb ich an die ‚Tagespresse‘, die aber von einem Mitarbeiter Enke nichts wissen wollte. Auch meine Bekannten wußten nicht, wohin er gerathen. Kurz, er war und blieb verschollen. Nach vielen Wochen schrieb mir eine Bekannte, daß in der Grazer Zeitung stehe, hinter dem Pseudonym E. Werner, Verfasser von ‚Held der Feder‘ etc. verberge sich ein Fräulein Bürstenbinder in Berlin. Das war mir nun vollkommen unerklärlich. Ich schrieb an Herrn Keil, erhielt aber keine Antwort.

Von allen Seiten ohne Nachricht gelassen, beschloß ich endlich, vorläufig keine weiteren Schritte zu thun, bis ich Herrn Enke nicht habhaft geworden wäre. Da lernte ich Sie kennen, und da Sie versprachen, sich meiner anzunehmen, so will ich auch die Recherchen auf’s Neue mit Eifer betreiben, um meine Autorschaft zur Anerkennung zu bringen. Nachträglich habe ich zu bemerken, daß die Novelle ,Hermann‘ mit der meinen nichts gemein hat als den Namen, während der Inhalt ein ganz anderer ist. Die drei anderen Novellen (,Held der Feder‘, ,Am Altar‘, ,Glück auf‘) dagegen sind meine Produkte.“

So steht die Sache und – in meinen Augen wenigstens – ist es ganz unzweifelhaft, daß da eine Mystifikation, ein geistiger Diebstahl stattfand; wer jedoch der eigentliche Missethäter sei, Fräulein Bürstenbinder oder Herr Wilhelm Enke, oder aber Beide, das wäre vor allem Anderen zu ermitteln. Es könnte nun (objektiv gesprochen) noch ein Fall angenommen werden, der nämlich, daß Fräulein von T– selbst mystificire. Doch dagegen sprechen zu viel innere Gründe. Fräulein von T– macht (etwas Exaltation abgerechnet) durchaus den Eindruck einer einfachen, aufrichtigen und ehrlichen Dame, welcher man die Erfindung eines solchen Lügengespinnstes nicht zutrauen kann, noch weniger aber die bodenlose Frechheit, die dazu gehören würde, mit einem solchen Selbstbewußtsein aufzutreten und sogar an Sie zu schreiben.

Es kann Ihnen gewiß nicht einerlei sein, ob Sie das Honorar der Gartenlaube – auf Kosten des geistigen Eigenthümers – einem frechen Betrüger zahlen, oder ob Sie damit der deutschen Literatur eine junge, talentvolle Kraft erhalten, die schon nahe daran war, derselben für immer Valet zu sagen. Haben Sie daher die Güte, mir gefälligst mitzutheilen:

1) Empfingen Sie von Fräulein von T– einen, oder vielleicht auch zwei Briefe, und welchen Inhalts? Ließen sich dieselben noch produciren?

2) Empfingen Sie die Manuskripte von „Held der Feder“ etc. von Fräulein Bürstenbinder[WS 1] oder von Herrn Enke?

3) In welchen Verhältnissen lebt der betreffende Einsender und von welcher Seite kennen Sie denselben? Ganz besonders aber: wie lauten seine (sämmtlichen) Briefe?

Im Interesse eines hintergangenen, hülflosen Mädchens, das hier in dürftigen Verhältnissen (von Musik- und Sprachstunden) lebt, ersuche ich Sie freundlichst und dringendst, die Sache nicht zu leicht zu nehmen und mir baldgefälligst Mittheilung zu machen.

Hochachtungsvoll
Ludwig Aigner.

P. S. Fräulein T– hat einige neue Novellen fertig, wollten Sie nicht eine oder die andere für die Gartenlaube acquiriren? Tendenz und Stil ist mit den früheren ganz gleich!

Selbstverständlich ward auch dieser Brief Fräulein Buerstenbinder vorgelegt und nach seiner Rücksendung von dem unterzeichneten Redakteur dieses Blattes wie folgt beantwortet:

     Geehrter Herr College!

Auf Ihre Zuschrift vom 26. Juni heute nur wenige Worte. Fräulein –a von T–, die sich Ihnen als Verfasserin der Werner’schen Romane vorgestellt hat, ist entweder eine gemeine Betrügerin oder sie leidet – wie das neuerdings leider oft vorkommt – an Größenwahnsinn. Die ganze Ihnen vorlamentirte Räubergeschichte ist durchweg eine Schwindelei, auf die weder Werner, dessen wahren Namen ich vorläufig noch verschweige, noch meine Wenigkeit irgend ein Wort erwidern mögen. Da mir aber bereits von anderer Seite die lügenhaften Renommagen dieser Dame mitgetheilt wurden und die saubere Schriftstellerin unter der Fahne Werner möglicher Weise noch mehrere Schwindeleien begehen dürfte, so nehme ich nunmehr Ihre offerirte Hülfe in Anspruch und bitte Sie, mir – wenn nöthig mit gerichtlicher Hülfe – bei der Entlarvung dieser Betrügerin collegialisch zur Seite zu stehen.

Ich erkläre also:

1) Fräulein von T– ist nicht die Verfasserin der Werner’schen Erzählungen und hat weder selbst noch durch den mysteriösen Enke mit Werner in Verbindung gestanden.

2) Es ist eine Lüge, daß ich an Enke oder Fräulein von T– ein Honorar von achtzig Gulden gezahlt.

3) Es ist eine Lüge, daß genannte Dame an mich wegen Werner’s geschrieben. Ich habe nur einen Brief von ihr und zwar den beifolgenden erhalten, den Sie mir zurücksenden wollen. Gedichtbriefe werden nicht aufgehoben.

4) Erkläre ich schließlich auf das Bestimmteste, daß, wenn binnen heute und zwölf Tagen nicht die schriftliche, von –a von T– unterzeichnete Bestätigung in meinen Händen ist, daß die Ihnen brieflich mitgetheilte Erzählung ihrer Autorschaft Werner’scher Novellen eine Erfindung sei, ich sofort mit Nennung des Namens der Fälscherin die Thatsache und zwar nach den Mittheilungen Ihrer Zuschrift in der Gartenlaube veröffentlichen werde.

Ich bedaure sehr, dieses energische Mittel in Anwendung bringen zu müssen, aber die Entrüstung Werner’s ist eine so große, daß alle sonst üblichen Rücksichten gegen Damen hier schweigen müssen. Ich sehe Ihrer baldigen Antwort entgegen und grüße Sie inzwischen – indem ich zugleich auf die Einsendung der T–’schen Manuskripte verzichte – aus das Freundlichste als

Ihr ergebener
Ernst Keil.

Vorausgesetzt, daß Fräulein von T– ihr Vergehen einsieht und bereut, bitte ich, ohne Härte zu verfahren und jede öffentliche Blame streng zu vermeiden. Vielleicht ist es nur ihre Armuth, die sie verleitet hat, den Ruhm eines Andern zu usurpiren, um ihre eigenen schriftstellerischen Schöpfungen an den Mann zu bringen. Wir wollen dann milde richten und uns mit der Erklärung zufrieden geben.

Der oben erwähnte einzige, in unserem Besitz befindliche Brief des Fräulein –a von T– aber lautet:

N–, 27. Oktober 1872.

     Euer Hochwohlgeboren, hochgeehrter Herr!

Am 22. September d. J. nahm ich mir die Freiheit, die Anfrage an Euer Hochwohlgeboren zu richten, ob Sie geneigt wären, novellistische Versuche eines zwar unbekannten und unberühmten Autors gegen mäßiges Honorar in Ihr vortreffliches Blatt aufzunehmen, und ob ich es wagen dürfte, Einiges aus meiner Feder Ihrer einsichtsvollen Beurtheilung unterzulegen, und ob endlich Manuskripte, im Falle sie vor Ihrem Urtheile nicht bestehen würden, zurückgesendet werden. Da ich aber weder brieflich, noch auch in der Correspondenz der „Gartenlaube“ auf meine Anfrage eine Antwort zu erhalten die Ehre hatte, und da ich mich nicht entsinne, ob mein Schreiben recommandirt gewesen, so wage ich es, Sie, hochgeehrter Herr, nochmals mit meiner Frage zu belästigen. Ich weiß, daß einem Manne (folgt ein Compliment für den Redakteur) wie Sie jede Minute kostbar ist; dennoch aber bin ich so kühn, Sie um das Almosen einiger Augenblicke Ihrer werthvollen Zeit zu bitten, indem ich gänzlich rath- und hülflos in dieser Hinsicht in der Welt stehe. Vor mehreren Jahren nahm ich mir die Freiheit, einige Gedichte Ihrem vortrefflichen Blatte einzusenden, und Sie erwiesen mir die Ehre, mehrere von denselben unter der Chiffre M. v. T. in demselben abzudrucken. Ermuthigt durch dieses Glück, welches von so großer Bedeutung für mich, einen Anfänger, war, da Ihr Blatt nur das Beste und Gediegenste der neuen Erscheinungen der Literatur aufnimmt, und meinem inneren Drange nachgebend, fuhr ich fort zu schriftstellern, allerdings mit großen Hindernissen, welche meine gegenwärtige Berufsthätigkeit mir in den Weg warf, kämpfend. Seither habe ich mehrere kleinere Novellen, worunter auch eine Bauerngeschichte und einen Band lyrische Gedichte, geschrieben. Meine literarischen Bekannten riethen mir von einer der Novellen, sie einem wissenschaftlichen Blatte, von einer anderen, sie einem Jugendschriftenverleger einzusenden, und so fort. Da ich aber durchaus keine Wege kenne, um zu einem Verleger zu gelangen, und da ich wohl weiß, wie schwer es überhaupt für jeden unbekannten Autor ist, einen solchen zu finden, wende ich mich vertrauensvoll an Sie mit der dringenden Bitte, mir Ihren Rath zu ertheilen. Vielleicht machen Sie eine glänzende Ausnahme unter den großen Herren, welche die Bittschriften, Gesuche u. dgl. ungelesen oder doch unbeantwortet in der Nacht des Papierkorbes der ewigen Vergessenheit anheimfallen lassen. – Sollten Sie mir Antwort geben durch die Gartenlaube, so bitte ich diese unter Chiffre T. W. – sollten Sie Ihre Großmuth so weit treiben, mich durch ein persönliches Schreiben zu beglücken, so ist meine Adresse unten angegeben.

Hochachtungsvoll Euer Hochwohlgeboren ergebene
–a v. T–,
bei Herrn v. K. B.
zu N. im Szaboleser Comitat, Ungarn.

Man merke wohl auf: Der Brief ist am 27. October 1872 geschrieben, also zwei Jahre nach Erscheinen des „Hermann“, anderthalb Jahre nach Veröffentlichung des „Helden der Feder“, zehn Monate nach Erscheinen der Erzählung „Am Altar“ –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bünstenbinder
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_715.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)