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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


wahrhaft republikanische Frugalität die besten Erfolge für die Zukunft verheißt.

Von den Räumen der einzelnen politischen Gruppen bleibt wenig zu sagen, da es denselben an historischem oder architektonischem Interesse gebricht; ebenso ist es mit der Bibliothek und den für die Quästur bestimmten Sälen. Wir wollen diesen kurzen Ueberblick daher mit einigen Angaben über die erheblichsten administrativen Ausgaben beschließen.

Die Zahl der Gesetzvorschläge und der dieselben begleitenden Berichte ist sehr bedeutend, und die Druckkosten derselben betragen jährlich über 220,000 Franken. Die Versammlung liefert jedem der 750 Mitglieder ein Exemplar des „Journal officiel“, was eine Ausgabe von 32,000 Franken verursacht; der persönliche Gehalt eines jeden Deputirten beträgt jährlich 12,000 Franken, total 8,400,000 Franken. Für Heizung und Erleuchtung des Locals werden jährlich 220,000 Franken gerechnet. – Im Jahre 1871 beliefen sich die Gesammtausgaben der Nationalversammlung auf 7,640,798 Franken 75 Centimes, in den Jahren 1872 und 1873 auf 8,624,000 Franken.

H.

Das Sühnungslinnen in Japan. Der Fremde, welcher die entlegenen Quartiere und Vorstädte Yeddos durchstreift, sieht gelegentlich seine Aufmerksamkeit wohl durch eine am Wege angebrachte Vorrichtung gefesselt, über deren Zweck er sich vergeblich den Kopf zerbricht. Dieselbe besteht in ihrem Hauptbestandtheile aus einem Stück japanesischer Leinwand, auf welches ein Name geschrieben und das mit seinen vier Enden an ebenso vielen in die Erde eingerammten Pfählen befestigt ist. Dahinter steht eine hölzerne Tafel aufgepflanzt, auf der verschiedene Worte zu lesen sind, und zur Seite ein mit Wasser angefülltes kleines Faß mit einem Schöpflöffel darin. Tritt man dem seltsamen Apparate näher, so bemerkt man wohl, wie einer der Vorübergehenden einen Löffel Wasser über die Leinwand ausgießt und andächtig wartet, bis die Flüssigkeit durch das Zeug hindurchsickert, ehe er dann seinen Weg fortsetzt.

„Was mag das Alles bedeuten?“ forscht der Fremde, nicht ahnend, daß dieses wunderliche Gebahren sich stets an ein sehr schmerzliches Begebniß knüpft, welches der Aberglaube der Japanesen für die Betroffenen zu einem noch traurigeren Vorkommnis macht. Stirbt nämlich eine Frau im Kindbette, so wähnt der Japanese, daß ein solcher Tod, zu einer Zeit, wo sich die süßesten Hoffnungen des Weibes erfüllen, nur die Strafe für irgend eine schwere Versündigung der Wöchnerin sein kann, für welche die Unglückliche in jener Welt noch härtere Bußen erwarten.

Die Art dieser letzteren und die Zeit, welche erfordert wird, die Seele von der begangenen Sünde zu reinigen und unter die Schaar der Jöbutz oder seligen Wesen zu versetzen, sind nach der Behauptung der Priester in jedem einzelnen Falle verschieden. Merkwürdiger Weise jedoch richtet sich Beides genau nach den Vermögensverhältnissen der Hinterbliebenen; das heißt: je nach der kleineren oder größeren Summe, die sie den Göttern oder vielmehr deren Priestern opfern, währt der Aufenthalt der armen Seele im Fegefeuer länger oder kürzer – ein Dogma, welches den Lehren unsrer römisch-katholischen Kirche auf’s Haar gleicht. Widersteht das ausgespannte Linnen den beständig erneuten Angriffen des Wassers nicht mehr, so ist die büßende Seele endlich von ihren Qualen erlöst. Nun geschieht es aber wohl, daß der Reiche, der das Geld nicht anzusehen braucht, vom Priester eine Leinwand empfängt, welche in der Mitte schon dünn geschabt ist, so daß sie beim ersten Tropfen Wasser auf der Stelle auseinanderfällt, während der Arme in Geduld harren muß, bis das grobe Segeltuch, das ihm übergeben zu werden pflegt, zerreißt. Indeß die Theilnahme aller Vorüberwandelnden ist ihm sicher; Keiner geht je an der Vorrichtung vorbei, ohne seinen Löffel voll Wasser über das Sühnungszeug auszugießen, denn so mannigfaltige Fehler man den Japanesen auch zuschreiben muß, der Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit gegen den Nächsten kann man sie nicht zeihen. Auch ohne daß sie Christen sind, gilt ihnen doch das „Liebet euch untereinander“ als höchstes Gebot.


Anfang und Ende einer Dichterehe. Wir können nicht umhin, unsere Leser noch einmal zu dem an der Spitze der Nr. 40 unseres Blattes genannten Heydrich’schen Werke über „Otto Ludwig’s literarischen Nachlaß“ zurückzuführen; namentlich möchten wir noch bemerken, daß der Inhalt desselben besonders reich an dramatischen Skizzen, Fragmenten und Studien ist, deren wahrhaft hoher Werth den frühen Untergang einer solchen Dichtergröße uns erst recht schmerzlich empfinden läßt. Wie reich und rein sein Seelenleben war, das mögen nur wenige Sätze aus der biographischen Einleitung darthun, welche u. A. auch viele briefliche Mittheilungen über Otto Ludwig, theils aus seiner eigenen, theils aus der Feder seiner Jugendfreunde enthält. Dort heißt es: Otto Ludwig lebte in den Jahren 1844 bis 1850 in Garsebach bei Meißen. Die Waldluft, die ländliche Einsamkeit thaten ihm wohl und kräftigten seine Gesundheit. Er dichtete viele Lieder, Novellen und Dramen. Lessing’s Dramaturgie studirte er damals eifrig.

„Ich schreibe Dir,“ so berichtet er seinem Eisfelder Jugendfreunde L. Ambrunn im Jahre 1844, „aus Garsebach, einem reizenden Erdwinkelchen, just wild genug, um mir zu gefallen, und zahm genug, da wohnen zu können, wozu ich mich denn mit Gott entschlossen habe. – Viele treffliche Menschen hab’ ich gefunden. Die Gegend ist wundervoll, und nur eine Stunde weit – durch Eisenbahn und Dampfschiff so nahe – bin ich mit den Persönlichkeiten der herrlichsten Künstlernaturen im Verkehr; mit Raphael, Correggio, Tizian und Holbein habe ich schon vertraute Freundschaft geschlossen, und selbst das klassische Alterthum weht uns wenigstens an in den Gypsabgüssen des Mengs’schen Museums.“ – „Ich möchte,“ so schreibt er in einem Skizzenhefte, „das Beste machen können, aber es dürfte Niemand darum wissen. Es ist wohl eine krankhafte Erscheinung, aber ich habe als Kind schon das Sprechen mit unendlicher Genugthuung Nachts im einsamen Bette, von Niemand belauscht, am liebsten geübt und konnte wenigstens ein Jahr vorher lesen, ehe es meine Eltern zufällig erfuhren. Das Ziel all meiner Wünsche wird immer mehr ein Winkelchen Erde, wo ich unbeachtet und unbekannt mich zu Tode dichten könnte. Ich fühle mich einmal als ein Sohn der Einsamkeit. Mir ist von Kindheit an Sammlung die liebste Zerstreuung gewesen. Selbst einen Freund sieht man in der Nähe oft vor ihm selber nicht, höchstens immer nur ein Stück von ihm.“

Bald berichtet er seinem Freund Schaller in Eisfeld in lieblichen Liedern, deren Abdruck wohl noch zu erwarten ist, das Erwachen seines Liebesfrühlings:

     Am 20. Juli 1844.

Jetzo hab’ ich dich, Natur,
Die mit heiligem Erbarmen
Oft dem wilderregten Sohn
Deine milde Götterruhe
Um die glüh’nde Stirn gegossen –
Jetzo hab’ ich dich gesehen,
Blauend aus zwei tiefen Himmeln
Unter einer Mädchenstirne,
Schön von blondem Haar umzogen.
Jetzo hab’ ich dich gesehen,
Ganz in deiner süßen Milde
Um zwei ros’ge Schwestern spielend,
Um zwei weiche Mädchenlippen,
Alle deine süßen Zauber
Um die reinste Form geschlungen.
Aber ach! die süße Ruhe
Hast du nicht, wie sonst, dem Sohne
Freundlich in das Herz gegossen:
Unruh’ nur und tausend Wünsche
Und der Sehnsucht süßes Bitter,
Die nur du kannst wieder heilen,
Wenn du mit dem gleichen Finger
Ihr das liebe Herz berührtest. –

Es kam, wie er’s wünschte. Was er suchte, er fand’s. Er lernte Emilie Winkler in Meißen kennen, die ihm bald eine treue Lebensgefährtin wurde.

Und in seinem letzten Lebensjahre schrieb Otto Ludwig demselben Jugendfreunde Schaller die wahrhaft herzerhebenden Worte: „Tausend Grüße von meiner Frau, die, in Gesundheit unverändert, an Seelengüte und allen häuslichen Tugenden fortwährend wächst und mir trotz Sorge und körperlicher Schmerzen, die nicht klein, das Wort ermöglicht, daß ich nicht glaube, es könne Jemand glücklicher sein als ich.“


Eine literarische Freibeuterei! Wenn wir in dem so überschriebenen Artikel unserer heutigen Nummer die dort erwähnte Dame trotz der früher ausgesprochenen Absicht der vollen Namensnennung nur mit –a von T– bezeichneten, so geschah dies lediglich in dem in der letzten Stunde an uns herangetretenen Gefühle schonender Rücksichtnahme. Wir bemerken indeß, daß wir den vollen Namen der Dame ohne jede Rücksicht veröffentlichen werden, falls Fräulein von T– das durch Herrn Aigner gegebene Versprechen „uns die Antwort nicht schuldig zu bleiben“ wider Erwarten unerfüllt lassen sollte. Durch die Art dieser Antwort wird der Grad unserer Delicatesse in der ferneren Behandlung dieser Angelegenheit bestimmt werden.

Die Redaction.




E. Marlitt’s Romane

sind in neuen Auflagen wiederum erschienen und zwar:

Goldelse. Volksausgabe, in 9. Auflage. Preis 1 Thlr.

Das Geheimniß der alten Mamsell. 2 Bände in 6. Auflage. Preis 2 Thlr.

Thüringer Erzählungen. Die zwölf Apostel. – Der Blaubart, in 3. Auflage. Preis 1½ Thlr.

Reichsgräfin Gisela. 2 Bände in 4. Auflage. Preis 2 2/3 Thlr.

Das Haideprinzeßchen. 2 Bände. Preis 3 Thlr.

Die Verlagshandlung von Ernst Keil in Leipzig.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_722.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)