Seite:Die Gartenlaube (1873) 732.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Woraus die Sonne besteht und wie sie arbeitet.
Von Dr. Hermann J. Klein.

Das glänzende Tagesgestirn hat von jeher die Aufmerksamkeit der denkenden Menschen auf sich gezogen, wenngleich freilich die Resultate, zu welchem man bezüglich des Wesens der Sonne gelangte, bis zum Anfange des siebzehnten Jahrhunderts nichts als Phantasie waren. Die griechischen Weisen haben bezüglich der Sonne nur thörichte Aussprüche gethan; ein Anaximander hielt sie für eine kreisrunde Oeffnung im Himmelsgewölbe, durch welche die feurige Sphäre scheint; Epicur glaubte das Richtige zu treffen, wenn er die Sonne für ein Feuer ansprach, das Morgens angezündet und Abends wieder gelöscht würde; Andere ergänzten diese Meinung sehr unglücklich dadurch, daß sie behaupteten, das Auslöschen der Sonne geschehe im großen Flusse Okeanos, der die Erde umkreist und hinter den hyperboreischen Bergen herumfließt. Dieses Verlöschen und Anzünden haben sich die Epicuräer jedenfalls als eine äußerst einfache Sache gedacht, denn sie legten der Sonne einen Durchmesser von einem Fuß bei. Anaxagoras glaubte schon sehr weit zu gehen, als er die Sonne für so groß erklärte wie der Peloponnes, die heutige Halbinsel Morea.

Mancher Leser wird sich dieser wunderlichen Ansicht aus seiner Jugendzeit noch erinnern, denn sie kam in allerhand Wendungen unter den Uebungsbeispielen der lateinischen Grammatik vor. Ein Satz, in welchem die wirkliche Größe der Sonne angegeben wurde, fand sich dagegen unter diesen Beispielen nicht. Ich will dieses Versehen hier gleich nachholen und bemerken, daß die Sonne im Durchmesser 108mal, in der Oberfläche 11,600mal und im körperlichen Inhalte, im Volumen, 1,250,000mal unsere Erde übertrifft. Sehr viele Anhänger Epicur’s werden sich über die Zahlen wundern, besonders wenn sie hören – was noch nicht ganz allgemein bekannt ist –, daß unsere Erde ebenfalls eine respectable Größe besitzt und ihre Oberfläche zum Beispiel 9,260,000 Quadratmeilen umfaßt. Diese Zahl also mit 11,600 multiplicirt, giebt die Anzahl der Quadratmeilen, welche die Sonnenoberfläche umfaßt. Nichts ist einfacher als die Begründung dieser Angaben, der Nachweis, daß sie nicht willkürlich sind und etwa die Sonne auch halb so groß angenommen werden könnte, wie Mancher vielleicht denkt. Ich kann mich indeß mit diesem Beweise hier nicht aufhalten; wer sich dafür interessirt, kann ihn in meiner „Populären astronomischen Encyklopädie“ (Berlin, 1871) nachschlagen. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die ungeheure Größe des Sonnenballes durch einen Vergleich mit irdischen Dingen in kleineren Dimensionen zu versinnlichen und dem Vorstellungsvermögen zu Hülfe zu kommen. Nach meiner Meinung versinnlicht folgender Vergleich am besten die jeder Vorstellung spottende ungeheuere Größe der Sonne. Der Mond ist ein Weltkörper wie unsere Erde und umkreist dieselbe in einer solchen Entfernung (51,800 Meilen), daß selbst die schärfsten Ferngläser Objecte an seiner Oberfläche von der Größe der Cheops-Pyramide oder des Kölner Doms nicht mehr unterscheiden lassen. Wäre aber die Sonne hohl und befände sich die Erde im Mittelpunkt derselben, so könnte der Mond ungehindert in dem hohlen Sonnenballe die Erde umkreisen, ja er könnte beinahe noch einmal so weit entfernt sein, als er in der That ist, und dennoch innerhalb der hohlen Sonnenkugel seine Bahn um die Erde vollführen.

Was ist nun dieser ungeheure Ball? In welchem Zustande befindet er sich und aus welchen Stoffen besteht er?

Diese Fragen sind schon seit Jahrtausenden aufgeworfen worden; aber ihre Beantwortung ist erst dem vergangenen Jahrzehnt gelungen. Man ließ sich lange Zeit hindurch und beim gänzlichen Mangel einer bessern Führerin ausschließlich von der Analogie leiten und meinte unsere irdischen Zustände auch drüben, in einer ganz andern Welt, wiederfinden zu müssen. Ohne daß man es direct aussprach, hielt man doch daran fest, daß die Bewohnbarkeit der Weltkörper durch menschenähnliche Bewohner ein Princip sei, das man unter Umständen anwenden könne. Noch im Jahre 1851, kurz vor seinem Tode, sagte Arago, den man damals für das Nonplusultra alles astronomischen Wissens ansah: „Wenn man einfach die Frage stellte: Ist die Sonne bewohnt? so würde ich antworten, daß ich darüber nichts wisse. Wenn man mich aber fragt, ob die Sonne mit Wesen bewohnt sein kann, welche eine ähnliche Organisation besitzen wie die, welche unsere Erde bevölkern, so werde ich nicht anstehen, eine bejahende Antwort zu ertheilen.“ Das war auch die Meinung von Humboldt.

Man glaubte bis zur Mitte der sechsziger Jahre fast allgemein, die Sonne sei an und für sich eine dunkle Kugel wie unsere Erde, mit Bergen und Thälern, Seen und Flüssen wie diese. Gleich unserer Erde sei sie auch von einer Atmosphäre umhüllt, die sich natürlich weiter in die Höhe erstrecke als unser dunstiger Luftkreis. Während wir nun meist trübes Gewölk hoch über uns erblicken und bisweilen eine graue Wolkendecke den ganzen Himmel überzieht, sollte die Sonne beständig von einer strahlenden Lufthülle umgeben sein, die, wolkenartiger Natur, ihren Sitz ein paar hundert Meilen über der eigentlichen Sonnenoberfläche habe. Diese Lichthülle oder Photosphäre dachte man sich als die Spenderin des Lichtes und der Wärme. Ja, es wurde sogar die Meinung ausgesprochen, die Sonne sei möglicher Weise an und für sich ganz kalt und nur leuchtend, die Wärme entstehe erst auf der Erde, wo diese von den Sonnenstrahlen getroffen werde. Von der Unrichtigkeit einer solchen Vorstellung kann man sich einen annähernden Begriff machen, wenn man erwägt, daß, wie die mechanische Wärmetheorie und das Gesetz von der Erhaltung der Kraft mit positiver Gewißheit ergeben, auf dem ganzen Erdboden keine Wärme vorhanden ist, die nicht ursprünglich, vielleicht vor Millionen von Jahren, in der Sonne geruht hat und mit den Sonnenstrahlen herabkam, daß ferner die Wärme, welche unsere Maschinen treibt, genau denselben Ursprung hat, daß dieses nicht minder für unsere Körperwärme gilt, ja, daß die Wärme, welche wir bei der geringsten Bewegung verbrauchen, ein Geschenk der Sonne ist und umgekehrt ohne diese Wärme keine Bewegung möglich wäre.

Wir haben wirklich bis vor Kurzem gar nicht geahnt, in welcher Abhängigkeit wir von der Sonne sind, oder vielmehr von der Wärme, die sie ununterbrochen ausstrahlt. In dieser Beziehung hat erst der Heilbronner Arzt Robert Mayer die Welt von sehr unrichtigen Vorstellungen geheilt.

Wer will sie schätzen, die Summe von Arbeit, die tagtäglich auf der Erde geleistet, die Menge von Kraft, die jeden Tag verbraucht wird! Die gewaltige Woge des Meeres, wie die plätschernde Welle am Strande, bewegt sich nicht aus sich selbst, sondern bedarf eines Impulses dazu; dies ist einleuchtend. Und wo ist dieser Impuls zu suchen? Nur in der Bewegung der Luft. Der Sturm ist es, welcher die See aufwühlt und die Wogen donnernd gegen die Ufer wirft. Aber wodurch entsteht die Bewegung der Luft? Aus keiner andern Ursache als aus der ungleichen Erwärmung. Das Aufsteigen der heißen Luftmassen am Aequator und ihr Herabfließen gegen die Pole hin, die Strömungen der kälteren Luftmassen nach den heißen Gegenden, alle diese Bewegungen sind nur durch Wärmeverbrauch möglich und bei absolutem Wärmemangel würden sie so wenig eintreten können, als überhaupt irgend ein gasförmiger Körper alsdann existiren konnte.

Ich nehme ein Stück Eis, mache eine Höhlung in dasselbe und bringe in diese Höhlung die Kugel eines Thermometers. Dasselbe zeigt fünf oder beliebig viel Grad Kälte an. Jetzt führe ich dem Eise Wärme zu, das Thermometer fängt an langsam zu steigen; nun zeigt es Null Grad, steht auf dem Gefrierpunkte, und indem ich die Wärmezufuhr fortsetze, beginnt das Eis zu schmelzen. Immer mehr des Eises schmilzt, aber mein Thermometer bleibt unverrückt auf Null Grad stehen. Wo bleibt die Wärme, die ich dem Eise ununterbrochen zuführe? Sie wird verbraucht, indem sie das Eis in Wasser auflöst – es bleibt nichts davon übrig, um auf das Thermometer einzuwirken. Endlich ist das ganze Eisstück geschmolzen; ich fahre fort Wärme zuzuführen, und siehe! das Thermometer fängt an zu steigen. Es steigt immer mehr und mehr. Endlich zeigt es hundert Grad Wärme und gleichzeitig beginnt das Wasser sich in Dampf zu verwandeln. Ich fahre vor wie nach fort Wärme herbeizuführen, allein mag ich das Feuer unter dem Gefäße, in welchem sich das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_732.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)