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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ich gegangen! Folget dann ganz der Eingebung Eures Herzens! Widerspricht er meinem Wunsche entschieden, dann schreibe mir dies aufrichtig, in diesem Falle komme ich nicht wieder. Aber ich hoffe, hoffe auf Liebe zu Dora, der ich, was Aeußerliches betrifft, eine gesicherte Zukunft bieten kann, hoffe auf Sympathie für mich, die nicht nur Du, die mir auch Rostan in warmer Weise bewiesen, seit ich so glückliche Wochen in Eurem Hause verleben durfte.“

„Der Graf aber, Dein Mann, liebste Minna, wird er einverstanden sein?“

Die Gräfin lächelte schwach. „Mattern ist mit Allem einverstanden, was ich beschließe, sobald es seine persönliche Freiheit nicht beschränkt; er wird zufrieden sein, mich beschäftigt zu wissen. Du weißt nun, wie ich denke, was ich erbitte. Willigt Ihr ein, so komme ich auf der Rückreise in Mattern’s Begleitung hier durch und hole mir mein Kleinod. Bis dahin laß zwischen uns ruhen, was mir zwar nicht der Augenblick eingegeben, was aber der Augenblick zur Aeußerung gebracht.“

Sie erhob sich, indem sie Sophiens Hand drückte, und trat an die Brustwehr. Dora stand vor dem Geländer, den vollendeten Kornblumenkranz in der Hand, und bot ihn der Gräfin mit lieblichster Geberde dar, wandte sich aber, als diese ihr ihn lächelnd auf den eigenen dunklen Lockenkopf drückte, gekränkt ab und sagte mit blitzenden Augen: „Du willst ihn nicht.“

Minna neigte sich und schloß ihre Arme fest um das Kind. „Ich will Euch Beide,“ flüsterte sie inbrünstig. Dora drückte ihr Gesichtchen liebkosend in die Falten des Kleides der hohen Frau, rief, indem sie mit leuchtender Freude aufsah: „Du bist lieb, ich hab’ Dich auch lieb“ und rannte verschämt in’s Haus.

Nachdem Gräfin Mattern in der Morgenfrühe des nächsten Tages von dem Rostan’schen Ehepaare zum Bahnhof begleitet worden war, veranlaßte Sophie ihren Mann zu einem Umweg und theilte ihm auf diesem Spaziergange den Vorschlag ihrer Jugendfreundin mit. Der erste Eindruck auf Rostan war der einer unerhörten Zumuthung, die er ohne Weiteres verwarf. Er hing mit besonderer Vorliebe an Dora, dem erstgeborenen, begabtesten seiner Kinder, und die Vorstellung, sie hinzugeben, erschien ihm unfaßbar. Vielleicht war es aber gerade dieser Vaterstolz, der ihm neue Anschauungen eingab, als stille Stunden und Tage dem ersten Gefühl entschiedenen Verneinens folgten. Er stellte die Gräfin, welche er durch ihre Briefe an seine Frau längst schätzen gelernt, doppelt hoch, seitdem sie einige Zeit unter seinem Dache gelebt. Sophie war mit Minna v. Mattern zusammen aufgewachsen. Die Tochter des Rittergutsbesitzers hatte dem jüngeren Pfarrtöchterchen eine Gefühlstreue bewahrt, die an sich schon bezeichnend für ihren Charakter erschien, denn nicht allein waren Temperament und Wesen beider Frauen ganz verschieden geartet, sondern äußere Verhältnisse gaben diesem Unterschiede noch eine gewisse Prägnanz. Während Sophiens rasches, praktisch-frisches Naturell sich in der kinderreichen, hinsichtlich materieller Hülfsmittel sehr beengten Häuslichkeit bei steter Uebung erhielt, fand sich Minna auf jenes geistige Pflanzenleben angewiesen, das Frauen leicht eine gewisse Gefühlskränkelei anerzieht. Und dennoch war sie von solchen Auswüchsen frei, war einfach, treu und liebreich geblieben, nie falscher Sentimentalität verfallen und vom reinsten Willen gestärkt. Ihre Ehe mit dem Grafen, von ihr nach Wunsch ihrer Eltern, ohne Widerstreben, aber auch ohne Herzenszug eingegangen, ließ sie einsam. Kein Kindersegen schlug eine Brücke über die gänzlich verschiedenen Lebensanschauungen beider Gatten, und so kam es, daß die junge Frau, trotz unablässigen Bemühens, ihrem Gefährten etwas zu sein, nicht mit ihm, sondern auf ödem Pfade durchs Leben ging.

Daß diese Frau ein Kind, welches sie lieben konnte, als höchsten Schatz betrachten, ihm Alles geben würde, was an Geist und Herz in ihr so unbenutzt keimte wie Früchte an verlassenen Stätten, empfand Rostan tiefer noch, als Sophie es in ihrer lebhaften Weise gegen ihn aussprach. Hier ward Dora’s reichen Anlagen ein Boden gewährt, der höchste Entfaltung verhieß – durfte selbstsüchtiges Festhalten ihr Solches entziehen? Liebe besiegte die Liebe. Der folgenschwere Entschluß wurde gefaßt, und Rostan selbst theilte der Gräfin, welche sich mit ihrem Manne in Königsberg zu Besuch aufhielt, schriftlich die Zustimmung in ihren Wunsch mit.

Es war Herbst, als Matterns in Danzig eintrafen. Rostan fand sich mit dem Grafen, den er jetzt erst kennen lernte, bald auf dem Fuße klaren Verständnisses, obgleich der rastlose Geist dieses Mannes dem ruhigen, durch Beruf wie Charakter streng geschulten Beamten keineswegs sympathisch war. Mattern war aber im besten Sinne Cavalier, und diese Seite trat günstig hervor, als der schwebende Punkt zur Besprechung kam. Er zeigte sich mit den Absichten seiner Frau durchaus einverstanden, schien von Dora’s Erscheinung ganz entzückt und sagte den ritterlichsten Schutz für ihre Zukunft mit einer gewissen Wärme zu, die ihm gut stand. Die Frage eines Fixirens der äußeren Verhältnisse, von ihm selbst in discreter Form zur Sprache gebracht, sollte durch ein von der Gräfin notariell zu vollziehendes Testament präcisirt werden, in welchem sie der Pflegetochter eine namhafte Summe zuschreiben wollte. Rostan, der sich hier einfach zustimmend verhielt, bestand seinerseits darauf, daß sein Kind den väterlichen Namen nicht vertauschen dürfe und im Zusammenhange mit ihrer Familie bleiben solle, soweit dies möglich war.

Während die Männer dies miteinander feststellten, saßen beide Frauen zusammen und gaben sich gegenseitige Zusagen und Tröstung. Noch wußte das junge Leben, über dessen Zukunft verfügt wurde, von nichts, und es war beschlossen, der Kleinen nur von einer Reise zu sagen, die sie mit Tante Mattern unternehmen dürfte. Dora empfing diese Mittheilung strahlenden Auges, und ihr Jubel wuchs, als sie allerlei Neues für sich einkaufen und die hübschen Sachen in Koffer verpacken sah. Als aber die Stunde des Scheidens kam, als der Wagen, welcher Matterns mit der Kleinen zur Bahn bringen sollte, vor dem Hause stand und Vater und Mutter sie unter heißen Thränen in die Arme preßten, schien es plötzlich wie eine Ahnung in der kleinen Brust aufzusteigen. Dora riß sich aus der Mutter Armen. Glühende Tropfen schossen gewaltsam in ihre Augen, und während die Gräfin sie in den Wagen hob, rief sie mit unbeschreiblichem Tone zurück: „Ihr gebt mich weg.“




3.

Gräfin Mattern pflegte den größten Theil des Jahres auf ihrem Stammgute zu verleben, während sich ihr Gatte meist in der Residenz oder auf Reisen bewegte und nur ab und zu für einige Zeit bei den Seinigen einsprach. Stille Jahre flossen Minna in reicher Befriedigung hin, während sie sich ganz ihrer Pflegetochter widmete. Indem sich ihre eigene hohe Bildung mit dem Unterrichte des Pfarrers verband, um dem heranwachsenden Kinde zu geben, was dessen lebhaft fordernder Geist bedurfte, war sie darauf bedacht, die gährenden Stoffe, welche diesem reichen Naturell nicht fehlten, mit feiner Hand in richtige Bahnen zu leiten. Dora’s allzu bewegliches Temperament drohte mitunter die Herrschaft über den sich kräftig entwickelnden Charakter zu gewinnen. Geneigt, Alles tollkühn zu wagen und jeder Schranke gegenüber als ersten Impuls die Regung hegend, daß es nur darauf ankomme, sie zu überspringen, bedurfte das reifende Mädchen gerade solch sanften, stetigen Einflusses, welcher durch seinen warmen Herzschlag den brausenden Kopf stets zu bezähmen wußte. Was Minna von Mattern am besten verstand, lehrte sie aber, während sie selbst es erst ganz lernte – zu lieben! Die ganze Seele der vereinsamten Frau hing an dem Kinde ihrer Wahl, so warm und innig, daß sie zuweilen fast davor erschrak und sich mahnte, dies eine Gefühl nicht auf Kosten ihrer Lebenspflichten allzu mächtig aufwuchern zu lassen.

Ihr Versprechen, Dora alljährlich zu den Eltern zu führen, ward treu gehalten. Gegen den Herbst zu, sobald die Erntezeit vorüber, brachte sie ihr Pflegekind regelmäßig nach Danzig, und dies war glückliche Zeit für alle Betheiligten. Das Rostan’sche Haus nahm während dieser Wochen einen festlichen Charakter an. Alles Schöne und Angenehme, Alles, was sonst als seltener Aufwand galt, drängte sich für die Kinder in die Besuchszeit Dora’s zusammen. Sie sahen sich beschenkt, berücksichtigt, genossen wundervolle Ferientage bei Ausflügen nach Oliva oder Zoppot, wo sich die Gräfin einzumiethen pflegte, während sie Dora ganz den Eltern überließ, und blickten um so neidloser auf die Schwester, weil sie ihnen nicht nur längst als Ausnahme galt, sondern weil sie wirklich das liebenswertheste Geschöpf war. Den Eltern, welche ihr Kind wie eine Sonne aufgehen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_756.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)