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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Gefechten in dieser Gegend zeugen noch heute die hier und da aufgefundenen Kanonenkugeln und Ueberreste von Schanzen. Von den Besitzern verlassen (sie hatten sich auf andere Güter, wie Oberau etc., zurückgezogen), stand das schöne Schloß sieben Jahre lang leer und verlassen, bis es Ende des vorigen Jahrhunderts wieder ein dauernder Wohnsitz der Familie wurde. General Dietrich von Miltitz schuf den schönen Park und stattete das Innere des Hauses mit Geschmack und Kunstsinn aus, so daß es zu Dem wurde, was es heute ist, zu einer Freude für alle Besucher. Der jetzige Besitzer, Georg von Miltitz, Sohn des 1853 verstorbenen Generals, pflegt und erweitert in gleichem Sinne die Schöpfungen seiner Vorfahren, so daß Siebeneichen wohl als einer der schönsten Familiensitze Sachsens gelten muß.

Bei einem Rundgange durch’s alte Schloß betreten wir zuerst die Waffenhalle, welche mit alten Armaturstücken, meist der Familie von Miltitz angehörig, sowie einigen dergleichen Erinnerungen aus den Jahren 1813, 1866, 1870 und 1871 geschmückt ist. Familienbilder aus dem sechszehnten und siebenzehnten Jahrhundert haben neben dem historischen meist auch einen künstlerischen Werth, wie das Mobiliar, das aus gleicher Zeit stammt. Durch einen niedrigen Spitzbogen gelangen wir in des Besitzers Wohnzimmer, das mit einem schönen Plafond von Tiroler Zirbeltannenholz geschmückt ist, sodann in das daranstoßende Schreibzimmer (mit antikem Mobiliar und Holzbildhauerarbeiten von den Familiengrabmälern aus der St. Afrakirche in Meißen) und in die Bibliothek. Der Familien- oder Fürstensaal, den wir zunächst betreten, ist der größte und ansehnlichste des Schlosses. Hier befinden sich die Originalbildnisse sächsischer lutherischer Fürsten, sehr werthvolle Glasmalereien, seltene alte Hirschgeweihe und als ein Werk neuester Zeit ein Abguß von Rietschel’s lebensgroßer Pietà. Der daranstoßende Thurmerker, in Capellenform gehalten, ist durch vorzügliche altfranzösische Glasmalereien und altdeutsche Bildschnitzereien geziert, vor Allem aber durch ein Familiengemälde von Lucas Cranach. Die Aussicht von hier auf die berühmte Albrechtsburg, die hoch über dem Elbstrome thront und aus lachender Umgebung ernst und gebietend in den freien Horizont hinausragt, ist wahrhaft entzückend, und wir erinnern uns kaum, etwas Anmuthigeres und zugleich so Bedeutendes gesehen zu haben. Ein kleines Museum von Werthstücken aus der Stein- und Bronzeperiode, von Sammlungen chinesischer und indischer Alterthümer, vor Allem aber sehr werthvoller Kupferstiche möge unsern Rundgang im alten Schlosse schließen, den wir aus begreiflicher Discretion im neuen Schlosse nicht allzu sehr ausdehnen wollen. Vorzügliche Familienportraits von Hartmann und Schönau, namentlich aber von Anton Graf, begegnen uns hier, sowie im Salon der Dame des Hauses, der sich durch eine besonders schöne Aussicht auf das ganze Elbthal auszeichnet, sehr gute Landschaften neuerer Meister, Cabinetsstücke alten Meißener Porcellans, werthvoller Schnitzereien, Nippes etc. Der Speisesaal zu ebener Erde mit Austritt auf die Terrasse enthält neben vorzüglichen neueren Gemälden einen herrlichen van der Neer. Das so malerische kleine Jägerhaus, am Ausgange des Parks gelegen, dürfte wenige Altersgenossen haben, denn es wurde jedenfalls mit dem Schlosse erbaut, steht also schon über dreihundert Jahre.

Zweien Besitzern von Siebeneichen war es vom Schicksale vergönnt, wenn auch geräuschlos, so doch nicht minder wirkungsvoll in der Geschichte Deutschlands eine Rolle zu spielen, dem Einen auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft, dem Anderen auf dem der Politik. Ernst Haubold von Miltitz war der Freund und Gönner Gellert’s, der Erzieher und Beschützer Fichte’s, und „dies Verdienst (sagt Hermann Marggraf), ein bedeutendes, vielverheißendes Talent zu erkennen, aus der Menge hervorzuziehen und für seine Entwickelung Sorge zu tragen, ist so groß wie irgend ein anderes“. Mit diesen Worten dürfte wohl das Urtheil des gebildeten Theiles der Nation übereinstimmen.

Haubold von Miltitz, geboren 1739 auf dem damals Miltitzischen Gute Oberau bei Meißen, war ein Mann von wahrhaft religiöser Gesinnung, woraus sein überaus inniger Verkehr mit Gellert, der ihn seinen Lieblingsschüler nannte, abzuleiten ist, wie auch ein späteres Ereigniß (seine Begegnung mit Fichte), das für die Entwickelung deutschen Geistes und deutscher Wissenschaft wichtig werden sollte.

Aus sechs Originalbriefen Gellert’s, die uns aus dem Archive von Siebeneichen zur Benutzung für die Gartenlaube gütigst überlassen wurden, wollen wir den letzten wählen, der uns insofern als der interessanteste erscheint, als er das Verhältniß beider Männer zu einander, wie die kleinen Gewohnheiten des edeln Fabeldichters selbst, nicht treffender charakterisiren könnte. Dieser Brief lautet:

„Wohlan, theuerster Miltitz! Ich will es in Gottes Namen wagen und meine Pfingstfeyertage in Oberau, in einem so guten und frommen Hause zubringen, und die Freuden des Umgangs, der Freundschaft und des Frühlings nicht sowohl genießen, als kosten. In der That bekommen Sie und Ihre würdige Gemahlin einen elenden Gast; aber was ich verderbe, das wird Wagner und seine Frau, das wird der Hofrath Knebel wieder gut machen. Meine Getränke früh und bei Tische bringe ich mit. Ein Paar Hauptgerichte, bester Herr von Miltitz, die ich alle Tage, die ich Winter und Sommer, die ich wie Arzney esse, sind Spinat, in nicht fetter Fleischbrühe, ohne Würze und Alles, gekocht. Diesen esse ich als Grünkraut Abends, ehe ich Fleisch esse. Das andre Gerichte ist gebacknes oder getrocknetes Obst, nämlich Pflaumen und Aepfel; diese esse ich ohne Zucker alle Mahlzeiten, etwan eine Mantel zusammen. – Finde ich in meiner Kammer ein leichtes, leichtes Deckbette, und einen Großvaterstuhl, nun so dürfen Sie weiter für nichts sorgen. Freitags, so Gott will, gehe ich bis Kreppendorf bey Hubertsburg zu dem Herrn von Zobel, bleibe die Nacht daselbst und denke Nachmittags zu guter Zeit bei Ihnen in Oberau einzutreffen, und etwan um drey Uhr in Meißen zu sein; Gott gebe glücklich!

Ihrer Frau Gemahlinn und Fräulein Schwester empfehle ich mich schriftlich zu Gnaden, bis ich’s bald persönlich zu thun das Glück haben werde.

     Leipzig, den 9. Mai 1769.

Der Ihrige,
Gellert.

Sollte ein unüberwindliches Hinderniß vorfallen, nun, so schreibe ich morgen Abend mit der reitenden Post. In meiner Stube bitte ich mir aus: eine Bibel und etliche historische Schriften.“

Der Brief ist, wie die übrigen, auf sehr grobes, aber auch sehr festes Conceptpapier geschrieben. Orthographie und Interpunction sind in der obigen Wiedergabe genau wie im Original. Zum Andenken an diesen Besuch Gellert’s wurden dessen Lieblingsplätze im Oberauer Park mit Denksteinen versehen, die noch jetzt in pietätvoller Erinnerung gehütet werden.

Ein zweiter, nicht minder wichtiger Moment im Leben Haubold’s von Miltitz ist seine Begegnung mit dem Philosophen Fichte. Wir theilen dieselbe so gedrängt wie möglich mit, und zwar nach mündlichen Mittheilungen seines Enkels, des jetzigen Besitzers von Siebeneichen, Georg von Miltitz, der sich noch Fichte’s aus der Knabenzeit erinnert und ihn als einen Mann von martialischer, untersetzter Figur und geröthetem Angesicht schildert.

Als einst an einem Sonntage Ernst Haubold seinen Schwager, den Grafen von Hoffmannsegg, in Rammenau in der Oberlausitz, besuchte und dort eine Predigt des als Kanzelredner berühmten Adam Gottlob Wagner hören wollte, war es zu spät zur Kirche geworden. Diese Versäumniß bei Tische beklagend, empfahl ihm der Schwager seinen Kuhjungen, der die Predigt vom Anfang bis zum Ende ziemlich unverändert wiedergeben würde. Haubold ließ ihn kommen. Der Knabe entsprach den Erwartungen und erregte seines andächtigen Zuhörers lebhafte Theilnahme. Dieser entriß ihn seinen Kühen, nahm ihn zuerst nach Siebeneichen und vertraute ihn darauf dem Prediger Gotthold Leberecht Knebel im Dorfe Niederau zur Erziehung und Lehre. Hier verlebte der glückliche Schützling seine schönsten Jugendjahre und wurde in Folge getroffener Verfügungen seines Gönners, der ein halbes Jahr früher starb, als der Knabe den Pfarrer Knebel verließ, auf der Fürstenschule zu Pforta und wahrscheinlich auch noch auf der Universität unterstützt, hauptsächlich wohl von der Familie Miltitz, dann auch von der Gräfin Hoffmannsegg und von dem Salinendirector von Hardenberg in Weißenfels, dem Vater des Dichters Novalis. Der Knabe hatte keine anderen Hülfsquellen als die genannten. Er besuchte noch als Student und Privatdocent den Sohn seines Gönners, Dietrich von Miltitz in Siebeneichen, der lange mit

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