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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


weniger Raum blieb zwischen dem heißen Wasser und den von oben herablangenden Stalaktiten. Zugleich schien uns der Hauch, der uns entgegenwehte, an Wärme zuzunehmen. Schon begann eine erstickende Schwüle uns zu belästigen. Doch hofften wir, jenseits des niedrigen Passes wieder in eine geräumige Wölbung zu gelangen. Es ist dies allerdings, wie ich aus der Darstellung der Verzweigungen der Grotte wußte, auch der Fall. Wir sollten aber jene inneren Kammern nicht sehen; denn wir gelangten nunmehr an eine Stelle, an welcher sich die Felsendecke bis auf den Wasserspiegel herabsenkt. Hier durchzutauchen hatte Keiner den Muth, weil wir nicht wußten, wie lange wir unter Wasser hätten bleiben müssen.

So traten wir also den Rückweg an, ohne die „Hölle“, das innerste und, wie es heißt, heißeste Gemach, bis zu welchem die Curgäste ihre alltägliche Wanderung ausdehnen, gesehen zu haben. Auch ein tiefer Wassertümpel, der „See“, liegt dort hinten, der den Sommergästen ein Bild von unseren winterlichen Wasser-Veduten bieten kann, weil er niemals verschwindet. Doch ist es im Reglement streng verboten, darin zu baden – sei es, weil man nur die Luftcur für zuträglich hält, oder weil man fürchtet, das schöne Wasserbecken möchte beschmutzt werden. Auf letztere Annahme deuten einige andere Verbote desselben Reglements hin – Verbote, die sich bei uns ein Badebesitzer drucken zu lassen schämen würde, die aber in Anbetracht dessen, daß ein großer Theil der Curgäste aus Italienern besteht, immerhin nicht ohne guten Grund werden erlassen worden sein.

Als wir in die Vorhalle kamen, in welcher unsere Kleider lagen und in welcher es uns vorhin vorgekommen war, als sollte uns der Schlag treffen, schien sie uns eine Eisgrube. Rasch schlüpften wir in die Gewänder und traten an den Tag heraus, dessen erster Eindruck uns der war, daß wir sofort wieder in das Kerzenlicht unserer wohligen Unterwelt zurückgekehrt wären, wenn es die Umstände erlaubt hätten.

Die Oleanderstauden und die Cypressen neben dem Eingange des Badehôtels schienen vor Kälte zu zittern, und auch die späte Rose (die rosa sera, von der Horatius spricht) am entblätterten Strauche wollte nicht in diese naßkalte Welt passen. Die flüchtigen Nixen der Fluthen dort unten hatten es uns angethan.

Man wird nun fragen, ob das Spazierengehen in den heißen, trockenen Luftströmen dieser Grotte Kranken in der That etwas nütze. Darüber habe ich freilich kein Urtheil. Wohl aber kann ich bestätigen, daß im Fremdenbuche eine Menge Lobeserhebungen und Danksagungen stehen, insgesammt von Menschen, welche an hartnäckigen Katarrhen, Kehlkopfleiden, Rheumen und Gicht gelitten haben wollen. Allerdings fehlt es auch nicht an mündlichen Berichten der Einwohner von Monsummano, welche uns die um gewisse Heilungen sich ansammelnde Mythenbildung darthun und nicht weniger Leichtgläubigkeit voraussetzen, als die ähnlichen Mirakelgeschichten von Wallfahrtsorten. Wirthe und Kutscher wetteifern, Historien zu erzählen, in welchen die Lahmen gehend, ja die Tauben wieder hörend werden. Etwas Humbug wird auch wohl hier mit unterlaufen.

Es giebt Wirthshäuser in Pieve a Nievole, zum Beispiel die Pension Ciampi, in Monsummano das Haus Bini u. a., das sind aber alles wälsche Schandkneipen. In der Nähe der Grotte steht die Anstalt Parlanti, am allerbesten aber ist es, man wohnt im Hôtel selbst, das über den Eingang der Grotte gebaut ist, weil man da aus seinem Zimmer unmittelbar in dieselbe hinabsteigen kann. Das Reglement sagt auch in komischer Naivetät, daß man zwar Curgästen aus anderen Häusern ebenso die Betheiligung gewähre, daß aber die Badewirkung sich am besten bei den Gästen des Badehôtels einstelle. Der Verfasser des Reglements ist der Besitzer des Hôtels.

Mein Zweck war, ein Wunder der Natur zu schildern. Für Solche, die andere Auskunft wollen, füge ich bei, daß man im Badehôtel für die gesammte Verpflegung täglich zwölf und vierzehn Franken in Papier zahlt und daß dieses Haus mit seinen reinlichen Zimmern, eisernen Bettstellen und seinem Speisesaale keinen ungünstigen Eindruck macht.

Leute, die den sogenannten apoplektischen Habitus haben, sollen sich wohl hüten, in diese Hölle zu steigen. Ueberhaupt wird man gut thun, sich nur auf einen vaterländischen Arzt zu verlassen und jeden wälschen Rathschlag zu vermeiden; denn der eingeborene Aeskulap dieser Lufttherme, der im Fremdenbuche oft geschilderte Eduardo, der außer Italienisch nur Küchenlatein spricht, erinnert an die ärztlichen Figuren im Gil Blas.

Den Fall angenommen, daß in den Strömungen dieser Unterwelt dem Menschen wirklich Heil geboten wäre, ist doch in der Hauptsache an einen großen Aufschwung und an die Herstellung eines Weltcurortes, von welchem die speculativen Insassen träumen, nicht zu denken, so lange nicht mit der italienischen Wirthschaft Kehraus gemacht und eine schweizerische, deutsche, französische oder irgend welche andere Verwaltung eines nordischen Culturvolkes an deren Stelle gesetzt wird. Bis dahin wird sich vielleicht mancher Kranke vor der Heilgrotte im Myrthen- und Lorbeerlande scheuen, und nicht völlig mit Unrecht. Mir aber würde es zur Genugthuung gereichen, wenn ich durch diese Schilderung die Aufmerksamkeit der deutschen Aerzte auf die Höhle gelenkt hätte; denn sei sie für Heilzwecke werthvoll oder werthlos – jedenfalls ist es bei dem großen Rufe der Grotte wünschenswerth, daß eine wissenschaftliche Untersuchung das Dunkel aufhelle, das für den Laien noch immer die Geheimnisse der Höhle einhüllt.




Meine erste Luftreise.


Die Luftschifffahrt, namentlich ihre Entwickelung und Vervollkommnung, hatte schon seit langer Zeit mein ganzes Interesse in Anspruch genommen, und eine Ballonreise, mochte sie ausfallen, wie sie wollte, war und blieb für mich immer das Ziel aller Wünsche. Mit Freuden begrüßte ich daher die Nachricht der bremischen Tagesblätter, daß der Aeronaut Sivel aus Paris vom Garten von „Ludwigslust“ bei Bremen aus eine Reihe von Luftfahrten ausführen und bei entsprechender Tragfähigkeit seines Ballons „Etoile polaire“ einige Passagiere mitnehmen werde. Gleich nach Sivel’s Ankunft verschaffte ich mir einen Platz für die erste Aufsteigung und traf in aller Eile – denn schon am folgenden Tage sollte die „Luftexcursion“ vor sich gehen – die nothwendigsten Vorkehrungen, während der Vorstand des „Naturwissenschaftlichen Vereins“ zu Bremen mir zur Anstellung meteorologischer Versuche und Beobachtungen, insoweit die kurze Fahrzeit von wenigen Stunden es gestatten werde, die vorzüglichsten Instrumente zur Verfügung stellte.

Bei der ersten und zweiten Auffahrt war indeß die Füllung des Ballons in Folge des geringen Gasdruckes eine so unvollständige, daß die Mitnahme von Passagieren nothgedrungen unterbleiben mußte und Sivel nur allein zum Aufsteigen gelangte. Für die dritte Auffahrt am 27. August 1873 wurde von der Gasanstalt Alles aufgeboten, und während des Füllungsactes die größte Vorsicht beobachtet, um die Auffahrt mit wenigstens zwei Personen zu bewerkstelligen. Ich ließ daher zum dritten Male, wenn auch mit wenig Hoffnung, Instrumente und Brieftauben nach dem Ort der Aufsteigung schaffen, fand aber den Ballon zu meinem Erstaunen ebenso mangelhaft gefüllt und anscheinend von derselben geringen Tragfähigkeit, wie an den Tagen zuvor. Sivel versprach jedoch, mich auf alle Fälle mitnehmen zu wollen, selbst wenn es mit Zurücklassung jeglichen Ballastes geschehen müßte. Die Gondel wurde unter dem Ballon befestigt; unsere Plaids und Mäntel wurden an der Außenseite des Korbes in Riemen geschnallt, und der „Capitain“ nöthigte mich zum Einsteigen. Kaum hatte ich Platz genommen und meine Instrumente oberflächlich geordnet, als das Commandowort „Los!“ ertönte. Aber wir lagen wie Blei an der Erde, und der Ballon hob sich nicht einen Zoll weit. Der letzte Sandsack wurde über Bord geworfen; die Gondel schwankte – aber hob sich nicht. Unsere Plaids und Mäntel wurden abgelöst, die beiden Sessel und die letzte Flasche Wein hinausgeworfen, aber die geringe Entlastung war kaum bemerkbar. Verlegen sah mich Sivel an: „Voulez vous monter sans ancre?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_780.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)