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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


unter Rosen“. König Friedrich war dadurch in eine humoristisch-satirische Stimmung versetzt worden. Er hatte sich bei dieser so eigenthümlichen Visite bestrebt, seiner hohen Gegnerin klar zu machen, daß für ihn, um in Böhmen einzurücken, der Weg nicht durch Thüringen, sondern durch Sachsen führe, und die Erinnerung an diese Auseinandersetzungen mochte ihn noch beschäftigen, als er durch die von seinen Officieren auf der Freitreppe des Schlosses Mosczynski gebildete Haye hinaufstieg, denn ein leichtes Lächeln glitt über sein Antlitz hin. Auf der letzten Stufe angekommen, wendete er sich, den Hut ziehend, gegen die Officiere mit dem gewöhnlichen Entlassungsgruße:

„A revoir, Messieurs!“

Der König stand damals im besten Mannesalter. Das schwere Schicksal, welches über sein Haupt hingezogen, als er ein neunzehnjähriger Kronprinz war, hatte bei ihm eine Spur zurückgelassen, die sich nicht verwischen ließ und seinen Gesichtszügen einen tiefernsten Ausdruck gegeben. Eine harte Zeit, wie sie selten an Königssöhnen vorübergeht, hatte sein Antlitz für Jeden, der ihn auch nur einmal sah, zu einer unvergeßlichen Type gestempelt. Aus seinen scharf markirten, lebhaften Zügen, sprach eine nicht zu erschütternde Entschlossenheit. Auf seiner Stirn lag der Ausdruck von nicht zu beirrender Geistesgegenwart. Damals war sie noch glatt; keine Falten hatten sich auf ihr eingegraben; die Heiterkeit des Dichters gepaart mit der Ruhe des Philosophen verliehen ihr gleichsam die Eigenschaft eines makellos polirten Silberschildes, auf dem sich die Strahlen eines hocherleuchteten Geistes sammelten, unterstützt von dem Zauber seiner großen blauen Augen, deren Blick ein durchdringender war und eine unwiderstehliche Gewalt auf Alle übte, die ihn zu fürchten hatten. So zeigte sich sein Antlitz als ein wahrhaft königliches und durchgeistigtes. Als passende äußere Zuthat erschien sein stark gepudertes Haar mit Rollenlocken an den Schläfen und dem unvermeidlichen Anhängsel damaliger Zeit, einem langen Zopfe.

Jene militärische Steifheit, in der sein Vater Friedrich Wilhelm der Erste so besonders excellirte, besaß er ebensowenig wie dessen große Gestalt. Er gehörte der Körperlänge nach in die Rubrik „mittelgroß“. Seine ungezwungene Haltung hatte sogar eine gewisse nachlässige Gangart zur Folge, der er, wenn Nachdenken ihn von der Ueberwachung seines Aeußeren abgezogen, sich nur mit Mühe entreißen konnte.

Zwischen den beiden am Portale wachthabenden und präsentirenden Grenadieren hindurchschreitend, vom Major von Wangenheim begleitet, trat der König in die Parterrelocalitäten des Schlosses ein, wo ein Diener bereits die Flügelthür zu seinem Wohnzimmer geöffnet hatte. „Nachher … nachher!“ bedeutete der König den eifrigen Lakai, der ihm Hut, Stock und Handschuhe abgenommen und weiteren Befehls wartete. Ehe der Diener das Zimmer verließ, öffnete er die Thür des Nebengemachs und mit gewaltigen Sätzen sprangen drei Windspiele kleiner Art auf den König zu, der, sich zu ihnen niederbeugend, sie caressirte. Seine gute Stimmung wurde durch die ebenso zarten wie treuen Thiere, welche gemeinschaftlich einen Sessel in Besitz genommen hatten und an ihrem Herrn sich zärtlich emporstreckten, bedeutend gehoben. Er hing mit großer Liebe an diesen wie luftige Elfen ihn umgaukelnden Thieren.

„Da sieht Er, Wangenheim, wie seltsam es mir geht,“ hub der König an, und auf die drei Windspiele deutend, die auf seinen Wink ruhig nebeneinander auf dem Stuhle sitzen blieben, fuhr er fort: „Die Hündchen lieben mich; die Weiber sind mir spinnefeind. Das ist ein böses Schicksal, das man eben nur mit einem Wald von Bajonneten sich vom Halse schaffen kann.“

Die in ihm aufsteigende Erinnerung an seine vier, halb Europa gegen ihn in Harnisch rufenden Feindinnen, die Kaiserin Marie Theresia, die Czarin Elisabeth, die Königin Josephine von Polen und Kurfürstin von Sachsen, und die berüchtigte Marquise von Pompadour, verdüsterte seine gute Stimmung.

Major von Wangenheim hatte, seines Befehls harrend, an der Thür Posto gefaßt und sah mit Vergnügen, daß der finstere Ernst aus des Königs Antlitz allmählich wich. Plötzlich blieb der Monarch vor ihm stehen und musterte ihn eine Weile lang. Herr von Wangenheim, in der Meinung, er werde sich zum Gegenstand eines Tadels gemacht sehen, vermochte nicht die ihn dadurch bemeisternde Verwirrung zu beherrschen, von der eine sein Gesicht überfließende Röthe Zeugniß gab.

Unter den vielen Officieren des Königs galt Wangenheim, Major des Grenadierbataillons, welches nebst drei anderen Bataillonen, sämmtlich unter Commando des Generalmajors von Wylich, die Garnison Dresdens ausmachte, als einer der schmucksten. Er konnte stolz auf seine Persönlichkeit sein, war er doch ein schöner hochgewachsener Mann, den die Uniform ungemein wohlkeidete. Sein männlich schönes Gesicht flößte Zutrauen ein, weil seine Züge den Ausdruck der Offenherzigkeit trugen und aus seinen braunen Augen große Freundlichkeit leuchtete.

„Er macht Fortüne bei den Weibern?“ fragte der König plötzlich.

War der Major durch die Muthmaßung eines Tadels, dessen Ursache er sich nicht denken konnte, in Verwirrung gesetzt worden, so machte diese an ihn gerichtete unerwartete Frage ihn so verblüfft, daß er zögernd, als habe er falsch gehört, kaum mit der Entgegnung: „Majestät … ich?“ sich heraus getraute.

„Bah! bah! Stelle Er sein Licht nicht unter den Scheffel!“ redete der König weiter. „Wäre mir unlieb, hätte ich mich in dem Punkte bei Ihm geirrt. Wird wohl aber nicht der Fall sein, denke ich mir … wie?“

Die Verlegenheit Wangenheim’s nahm zu, da er wußte, daß der König keinen Scherz mit seinen Officieren zu treiben pflegte und jedenfalls hinter dessen sonderbarer Frage etwas ganz Unerwartetes im Rückhalt sein müsse, aber eine Antwort mußte er geben. „Majestät,“ sagte er, „ich glaube in diesem Punkte nichts vor meinen Cameraden voraus zu haben, obwohl dabei das Glück seinen gewissen Antheil hat, insofern es den Einen mehr als den Andern begünstigt.“

„Sehr wahr … Er ist aber unter allen Umständen Hahn im Korbe … weiß das, ist mir gesagt worden, daß Er ein Mann von Fortüne bei den Weibern ist. Er hat ja ein Duell in Berlin gehabt wegen einer jungen sächsischen Dame … wie Er da gleich die Augen aufreißt, daß ich von Seiner Teufelei Kenntniß habe! Ich denke mir also, wenn Er bei Fräuleins Glück macht, hat Er vielleicht auch den Schick dazu, einer alten, höchst respectablen Dame … in aller Submission natürlich … zu gefallen und durch Seine Ueberredungsgabe sie zu Etwas zu bewegen, was mir eine große Unannehmlichkeit ersparen würde.“

Der Major fühlte sich durch diesen angedeuteten delicaten Auftrag nur noch mehr verdonnert, aber die Nothwendigkeit drängte, sich dem Monarchen, der merkwürdiger Weise gerade ihm ein solches Vertrauen schenkte, zur unbedingten Verfügung zu stellen. „Majestät,“ flüsterte er mit einer Verbeugung, „haben über mich zu befehlen! Es kommt auf den Versuch an … bitte aber unterthänigst, schlechten Erfolg mir nicht als Schuld anzurechnen.“

„Nein, nein, sorge Er sich deswegen nicht! ’s soll nur ein Versuch sein. Nicht alle Versuche gelingen, absonderlich auf dem Felde, wo man nicht im Sturmschritt vorgehen kann. Die Dame, bei der Er sein Glück versuchen soll, ist keine Andere – als Ihre Majestät die Königin von Polen.“

„Die Königin?!“ rief Wangenheim erschrocken.

„Na, na, verliere Er nicht die Contenance! Er ist Grenadier-Major, der auf Ordre dem Teufel zu Leibe rücken muß, und der Königin von Polen Majestät ist noch lange nicht der Gottseibeiuns, wenngleich sie einen formidablen Haß gegen mich zu haben geruht. Höre Er mir zu!“

Der König erklärte dem von dieser Mission durchaus nicht Erfreuten Folgendes:

Durch den schnöden Verrath des sächsischen Cabinets-Secretärs Menzel waren dem Könige Friedrich die Copien der von Petersburg, Wien und Paris beim Dresdener Geheim-Cabinet einlaufenden Depeschen in die Hände gekommen, welche den Plan, Friedrich klein zu machen, das heißt ihn wieder auf die Provinz Brandenburg zu beschränken, verfolgten. Da Menzel nicht im Stande gewesen, alle diesen Plan besprechenden Depeschen zu copiren, weil manche derselben ihm ganz unzugänglich geblieben, so waren Lücken im Zusammenhange des Inhaltes der betreffenden Verhandlungen dieser drei Mächte vorhanden, welche ergänzt werden mußten. Nur so konnte der König vor aller Welt seinen kriegerischen Einbruch mitten im Frieden in das Kurfürstenthum Sachsen rechtfertigen. Dies aber war einzig nur dann möglich, wenn er in den Besitz des geheimen Staatsarchivs gelangte.

Das preußische Spionirsystem war damals so gut ausgebildet,

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