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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


freilich nicht recht, hier auf eine dürftige Bodenkammer als auf mein Logement angewiesen zu sein, indeß ich hoffe, daß dieser Zustand nicht lange dauern wird, denn ich habe so unter der Hand von den Grenadieren gehört, wenn’s bei Pirna entschieden sein würde, ob die Preußen oder unsere Sachsen die Herren im Lande bleiben, dann gäb’s eine totale Aenderung der ganzen Geschichte. Und ’s ist nicht zu bezweifeln, daß die Blauröcke tüchtige Hiebe davon tragen werden, denn General Brown rückt mit seiner kaiserlichen Armee unaufhaltsam heran und … ’s kann Einer darauf fluchen, daß sie, mit unseren Leuten vereinigt, der preußischen Sippschaft den Laufpaß so tüchtig auf den Buckel schreiben werden, daß sie wie weggeblasen aus Dresden verschwindet.“

„Gott geb’s, daß es so kommt, wie Er da prophezeit, Herr Nehemia!“ äußerte die gräfliche Bettfrau, die breit auf dem Kanapee saß und sehr schmerzlich den Verlust bedauerte, den der preußische Einbruch ihrer ganz vorzüglichen Stellung im gräflich Mosczynskischen Hause zugefügt hatte. Als älteste Dienerin der Gräfin, bei der sie jetzt dreißig Jahre lang war, hatte sie ihrer Herrin vollstes Vertrauen sich erworben und theilte diesen Vorzug mit ihrer guten Freundin, der Frau Castellanin, die, um zwanzig Jahre jünger als sie, als frühere Kammerjungfer der Gräfin sich dieser unentbehrlich zu machen verstanden und dadurch ihr jetziges Amt erhalten hatte. Die Castellanin war vor anderthalb Jahren Wittwe geworden und in dieser Stelle verblieben, um dem Glücklichen, den sie sich zum Lebensgefährten erwählte, mit ihrer Hand auch, wie die Gräfin es ihr zugesagt, den sehr einträglichen Castellansposten zu bieten, eine Aussicht, welche Herrn Nehemia Drill so reizend erschien, daß er der verwittweten Dame sehr stark und, wie es den Anschein hatte, nicht ohne Hoffnung den Hof machte.

„Es ist wohl wahr, daß wir die Hoffnung fest halten müssen, von dieser so tief unsere sächsischen Sentiments demüthigenden Last baldigst befreit zu werden,“ sprach die Frau Castellanin. „Ach, mir schnürt es das Herz zusammen, wenn ich daran denke, daß unseres allergnädigsten Königs Majestät und unser hochpreislicher Premierminister, Seine reichsgräfliche Gnaden von Brühl Excellenz, draußen im wilden Lagerleben campiren müssen, während sie hier in Allerhöchst Dero Residenz das Vergnügen von Opern, Concerten oder Jagden haben könnten. Das ist ein entsetzlicher Gedanke.“

Die Frau Castellanin besaß eine Art ceremoniöses Wesen, das sie sich als Kammerjungfer angeeignet und seitdem sehr ausgebildet hatte, weswegen, da ihr Benehmen bei jeder Gelegenheit den Anstrich von Vornehmheit zeigte, das Dienstpersonal des Mosczynskischen Hauses unter sich sagte, an ihr sei eine große Dame verloren. Ihre Herrin, selbst eine sehr stolze Frau, hatte daran Gefallen gefunden, denn sie erblickte darin eine große Verehrung ihrer Person, und Marianne stieg bei ihr zu hoher Gunst. Da sie, manche Schrullen abgerechnet, nie gegen einen oder den andern der Dienerschaft sich feindlich bewies, im Gegentheil, wenn die Gräfin ihre Unzufriedenheit über einen ihrer Diener aussprach, jederzeit vermittelnd eintrat und Differenzen dieser Art zu begütigen wußte, so erwiesen ihr Alle die größte Aufmerksamkeit, die sie mit einer leutseligen Grandezza hinnahm, wie ihre Gebieterin selbst sie nicht anders hätte zeigen können.

„Die preußische Majestät,“ sagte der Heiduck, „macht sich ihre Concerte selbst und hat schon davon gesprochen, wie mir einer der Lakaien mittheilte, den Winter über, vorausgesetzt, daß Alles so geht, wie eben die Majestät denkt, Concerte hier aufzuführen, in denen der König persönlich …“

„Schweige Er davon, Herr Nehemia!“ rief die Castellanin indignirt. „Es ist zu abominable, daß ein König den Concertmeister spielt. Niemals ist Dergleichen im sächsischen Kurfürstenhause vorgekommen.“

„Wenn ich aber von Allem schweigen soll, was ich so höre, dann wird Sie, hochwertheste Frau Castellanin, nichts erfahren und in dieser Bude hier gleich einer in einem Käfig eingesperrten Turteltaube sitzen,“ entgegnete der Heiduck.

„Er ist ja heute ganz besonders artig … nennt mich eine Turteltaube! Nun, will mir das wohl gefallen lassen – eine sehr zarte Schmeichelei,“ sprach Frau Marianne Küntzel ihm sehr freundlich zunickend.

„Muß unterthänigst depreciren, hochwertheste Frau Marianne, gegen Dero Ansicht, als hätte ich Ihr mit der Turteltaube zu schmeicheln versucht … Dergleichen kann bei mir nicht vorkommen; ich bin ein höchst aufrichtiges Mannsbild, das eine große Verehrung für Sie im Herzen hat. Mehr kann ich Ihr nicht sagen; ich denke, es wird vor der Hand genug sein.“

Bei diesem Aufwande von zärtlichem Gefühle hatte sich Herr Nehemia Drill erhoben und sich vor der Frau Castellanin verneigt. Diese reichte ihm die Hand, welche er nach dem Beispiele der Cavaliere küßte; dabei legte er die eigene Rechte gefühlvoll auf’s Herz, wie er dies bei den Herren des Hofes so oft gesehen, wenn sie den Damen die Cour machten. Dann streichelte er seiner Gewohnheit nach wohlgefällig seine Schenkel.

Die Bettfrau sagte gerührt von dieser Scene. „Das wäre ein Mann für Sie, liebwertheste Freundin, denke ich.“

„Pst, jetzt nichts von Dergleichen! Noch sitzen wir an den Wassern von Babylon … erst müssen diese verlaufen sein, dann können wir an uns denken,“ sprach die Castellanin mit Würde.

„Da erzähle Er uns, Herr Nehemia, von der Majestät da drüben!“ äußerte die Bettfrau. „Ich habe sie schon gesehen; aber unsere werthgeschätzte Freundin ist derselben noch mit keinem Blicke ansichtig geworden.“

„Sehne mich auch nicht danach. Bewahre mich Gott davor!“ fuhr Jene eifrig auf. „Die ganze Majestät da drüben kann mir gestohlen werden.“

Eben wollte Herr Drill von „Dem da drüben“ erzählen, als der im Gebüsche versteckte, nach der Auffahrt vor dem Palais hinüberlauschende Thaddäus eilfertig mit der Meldung an’s Fenster gesprungen kam: „Alleweil’ sind die Equipagen des russischen Herrn Geheimraths von Groß, des kaiserlichen Gesandten, Grafen von Sternberg, und des französischen, Marquis von Broglio, vorgefahren. Staatspferde mit prächtigen Federbüschen und in funkelndem Geschirre, daß man kaum die Augen lange darauf halten kann. Vorreiter, Lakaien und Läufer alle in Galalivree. Das ist ein Staat!“

„Dummer Junge!“ brummte seine würdige Großmutter. „Ob wir das wissen oder nicht! ’s geht uns nichts an.“

„Der Herr Gevatter Gärtner kommt,“ bemerkte die Frau Castellanin, da ein Mann, den Hut auf dem Kopfe und den Stock in der Hand, rasch an ihrem Fenster vorbeischritt. „Gebt ihm gleich einen Sessel … wird müde sein, kommt aus der Stadt.“

Er war auch müde und desperat zugleich, denn er ließ sich mit seiner Leibeslast so abgespannt auf den ihm zurechtgeschobenen Stuhl fallen, daß dieser, wie im letzten Stadium seiner Existenz, in allen seinen Fugen krachte.

„Mit Permission vor Ihr, Frau Gevatter Castellanin! Gehen wir aber zu Grunde, ist’s auch kein Schade um einen Sessel. Ich bringe einen haushohen Aerger mit, und es wäre kein Wunder, wenn mich unterwegs der Schlag gerührt hätte. Ueber uns sind, weiß Gott, die Tage gekommen, so uns nicht gefallen werden, und den Sachsen möchte ich sehen, dem sie gefielen; das muß ein Lump in Folio sein. Du himmlischer Vater, diese Preußen sind unsere Todtengräber. Muß doch der Herrgott vom hohen Himmel dreinschlagen!“

(Fortsetzung folgt.)




Zum Jubeltage des „Reichsfechtmeisters“.


Als der kleine Detmold im Rückzugsjahr Neunundvierzig „kurzweiliger Reichsminister“ war, benutzte er seine hohe Stellung auch dazu, seinen Freund, den Pastor und Senior Bödeker zu Hannover, in des Handwerksburschenwortes verwegenster Bedeutung zum „Reichsfechtmeister“ zu ernennen. Dies erzählt der alte Herr selbst in seiner jüngsten Schrift: „Fünfzig Dienstjahre bei der Marktgemeine zu Hannover. Eine Denk- und Dankschrift, zugleich Vermächtniß von Hermann Wilhelm Bödeker, Past. prim. und Senior minist. Preis zehn Groschen und mehr, behuf Minderung der Schulden des Schwesternhauses.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_790.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)