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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


dort seine Geburtsstadt Meißen einmal besucht, bei Gelegenheit einer Mission, die er im Auftrag der obersten Kirchengewalt nach der Schweiz unternahm. Herr M. ist bisjetzt nur theoretischer Polygame. Der Unterhalt mehrerer Frauen soll auch in der Salzseestadt unverhältnißmäßig kostspielig sein.

Unser freundlicher Cicerone führte uns, wenige Stunden vor unserer Abreise, noch zum Präsidenten Brigham Young. Wir wurden in ein Gartenzimmer des großen Gebäudecomplexes geführt, welches den Namen: the President’s house trägt. Hier, in einem einfach möblirten, mit einigen in Oel gemalten Portraits von Propheten der Mormonenkirche geschmückten salonartigen Comptoir, pflegt Young seine Visiten zu empfangen und seine zahlreichen weltlichen Geschäfte, die ihm als Eisenbahn-, Bank- und Zioninstituts- etc. Director obliegen, zu erledigen. Bald erschien er denn auch und wandte sich nach einem kurzen Gespräch mit einem seiner Söhne zu uns, indem er uns die Hand bot. Er hat eine kurze gedrungene Gestalt, mit mächtigem Kopfe, hoher Stirn, unruhigen, lebhaften Augen von grünlicher Farbe, breiten Lippen, vorspringendem Kinn. Das Haupt des Einundsiebzigers war noch vollständig mit zurückgelegten, blonden, graugemischten Haaren bedeckt; den unteren Theil des Gesichts umschloß ein röthlicher Backenbart. Der „Präsident“ war im Morgenrock und hatte, von einer Eisenbahnexcursion des vorhergehenden Tages erkältet, ein dickes wollenes Tuch um den Hals geschlungen. Er schien denn auch noch jetzt indisponirt, denn er lispelte nur. Auf Anregung von unserer Seite sagte er einige Worte über die Schwierigkeit, welche die Gründung der Salzseestadt gemacht, über die Eisenbahnen, welche gebaut und noch zu bauen. Er erzählte uns, daß er zwar in Europa, nämlich in England, aber noch nie in Deutschland gewesen. Schließlich ersuchte uns der Secretair, ein junger Mann, dessen Schauspielertalent wir am Tage vorher im Theater hatten bewundern können, unsere Namen in das Fremdenbuch zu schreiben, und darauf empfahlen wir uns.

Eine Stunde später schieden wir unter herzlichem Händedrucke von unserem Freunde, Herrn M. Seiner Gefälligkeit hatten wir es zu verdanken, daß wir die kurze Zeit unseres Aufenthaltes vollständig ausnutzen konnten. Ich habe nichts wieder von ihm gehört und rufe ihm daher durch dieses auch drüben so viel verbreitete Blatt nochmals einen landsmännischen Gruß zu. Die Zeitungen brachten kürzlich Allerlei über den Propheten. Sie meldeten, daß er, der vielen Anfeindungen müde, sich nach Arizona begeben und dort eine neue mormonische Colonie gründen wolle. Sie theilten auch mit, daß ihn eine seiner Frauen wegen Polygamie angeklagt habe, und daß die Regierung überhaupt der Polygamie in Utah ein Ende machen wolle. Was daran Wahres ist, habe ich bis jetzt nicht ermitteln können, wohl aber liegt mir eine Erklärung Young’s vor, die er vor einiger Zeit im „New-Yorker Herald“ veröffentlichte. Dieselbe wurde meines Wissens bis jetzt nur durch wenige Zeilen auf telegraphischem Wege in Deutschland bekannt. Demnach hat der Prophet allerdings einige von seinen weltlichen Aemtern und namentlich die Präsidentschaft der obengenannten Institute niedergelegt, dagegen, so heißt es in der Erklärung, bleibt er Präsident der mormonischen Kirche. Er sagt:

„In dieser Eigenschaft werde ich fortfahren, die Oberaufsicht über kirchliche und weltliche Angelegenheiten zu führen, indem ich die Details jüngeren Männern überlasse. Wir beabsichtigen, in Arizona, im Lande der Apaches Niederlassungen zu gründen. Wir sind überzeugt, daß, wenn wir mit diesen Indianern bekannt geworden sind, wir sie zum Frieden in Uebereinstimmung mit der Indianerpolitik des Präsidenten Grant bewegen und jenes Land den Weißen zu Niederlassungen zugänglich machen können. Unsere Städte, Ortschaften und Dörfer erstrecken sich jetzt über vierhundert Meilen nach jener Richtung hin.“

Mit folgenden charakteristischen Worten schließt der Prophet seine Erklärung:

„Das Resultat meiner Arbeiten während der letzten sechsundzwanzig Jahre ist kurz zusammengefaßt folgendes: Dies von den Heiligen des jüngsten Tages bevölkerte Territorium zählt jetzt gegen hunderttausend Seelen. Mehr als zweihundert Städte, Ortschaften und Dörfer sind gegründet und von den Unsrigen bewohnt. Dieselben erstrecken sich im Norden bis Idaho, im Osten bis Wyoming, im Westen bis Nevada, im Süden bis Arizona. Schulen, Fabriken und andere Anstalten, welche dem Fortschritte und der Wohlfahrt unseres Gemeinwesens dienen, sind gegründet worden. Alle meine Unternehmungen und Arbeiten sind in Uebereinstimmung mit meinem Berufe als Diener Gottes ausgeführt worden. Ich erkenne keinen Unterschied zwischen geistlichen und weltlichen Arbeiten an. Es hat Gott gefallen, mich mit Wohlstand zu segnen, und als treuer Verwalter wende ich denselben an zum Wohle meiner Mitmenschen, um deren zeitliches Glück zu fördern und sie zugleich für die künftige Welt vorzubereiten. Mein ganzes Leben ist dem Dienste des Allmächtigen geweiht. Während ich bedaure, daß meine Mission von der Welt nicht besser verstanden wird, bin ich überzeugt, daß die Zeit, da ich verstanden werde, kommen wird. Das Urtheil über mein Wirken und dessen Ergebnisse stelle ich der Zukunft anheim.“

Einsichtige Kenner der Verhältnisse sind freilich der Meinung, daß das Mormonenthum sich schon jetzt in einer höchst bedenklichen Krisis befinde, da der Silberbergbau Utahs jährlich große Schaaren nichtmormonischer Einwanderer heranziehe. Mit jedem Jahre wächst die Zahl der Nicht-Mormonen auch in der Salzseestadt sehr bedeutend, wie wir dies von den Heiligen selbst hörten. Die Neigung der jungen mormonischen Damen, sich mit Nicht-Mormonen zu verheirathen, ist im entschiedenen Zunehmen. Wenn aber erst der Prophet das Zeitliche gesegnet hat, so werde, meint man, die neue Kirche schnell und schneller einem unaufhaltsamen Verfalle und schließlich ihrer Auflösung entgegengehen.

     Bremen.

M. Lindeman.




Thüringer Industrie.
Von Reinhold Sigismund.
Der Medicinhandel.
(Schluß.)

Obgleich der Handel mit Medicinwaaren in einigen Ländern verboten war, blühte doch das Geschäft der Laboranten und Balsamträger ohne ernsthafte Hindernisse weiter, bis sich durch die Schuld eines Laboranten ein schweres Gewitter über Alle zusammenzog.

Es hatte nämlich der mit Verfertigung verschiedener Medicinalwaaren sich befassende Dr. Worm in Oberweißbach 1805 von einem Elixir, dem Elixir Proprietatis des Paracelsus, welches er selbst verfertigt, eingenommen und Uebelsein darauf verspürt, ebenso ging es einer Magd und anderen Personen. Dr. Worm schöpfte hierdurch Verdacht und beschuldigte voreiliger Weise eine aus einem Leipziger Hause bezogene Pottasche, die er zu diesem Elixir verwendet, giftiger Eigenschaften, was sich zu bestätigen schien, als zwei Hunde, denen man davon auf Butterbrod zu fressen gegeben, convulsivische Zufälle und langanhaltendes Brechen darauf bekamen. Dr. Worm vernichtete hierauf das noch vorhandene Elixir und schrieb an die Balsamträger, welche dergleichen von ihm gekauft hatten, daß sie mit dem Vertriebe desselben inne halten sollten. Die tausendzungige Fama aber hatte sich schon der Sache bemächtigt und trug die Begebenheit, wie gewöhnlich, ganz entstellt in alle benachbarten Länder. Es hieß: Dr. Worm habe seine Medicamente aus Versehen mit aufgelöstem Arsenik vergiftet, eine Magd und ein Hund seien bereits daran gestorben. Regierungen und Publicum wurden alarmirt; es wird in Saalfeld, Koburg, Gera, Altenburg, Gotha, Meiningen, Hildburghausen, Anspach, Bamberg verfügt, die Waaren der Balsamträger mit Beschlag zu belegen. In der „Bamberger Zeitung“ macht der Polizeidirector bekannt, daß die sogenannten Königseer zu verbannen seien, man solle Anzeige über die Anwesenheit solcher schädlichen Arzneimittelhändler machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 796. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_796.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)