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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Morrison’sche, Kaiser-Pillen, Dr. Stoughton’s Elixir magnum, Sulzberger’sche Flußtinctur, der goldene volatilische Melissengeist oder extra-ordinäres Schlagwasser, Menadische oder Altonasche Wunder-Kron-Essenz, Dr. Steer’s chemisches Opodeldok, das edle, gerechte und herrliche Bergöl, Universal-Lebensbalsam und ebenso Lebensöl, Augsburger Lebensessenz, Ballhausische schwarze Magen- und Gallentropfen, Jerusalemitanischer Balsam, Wiener Wunderbalsam, Schmerzstillende Kinder-Tinctur, Roßessenz, Viehpulver, Roß-, Drus- und Freßpulver und dergleichen mehr. Außerdem fertigen die Laboranten Räucherpulver, Räucherkerzen, Eau de Cologne, Schneeberger Schnupftabak, Schwarzburger, Hamburger, Menrisches Pflaster und sind sehr geübt in Darstellung von allen Sorten sehr schmackhafter Liqueure, die im Volke oft sehr sonderbare Namen haben, wie z. B. Schweinstreiber, Krammetsvogelspiritus und so fort.

Durch die norddeutsche Gewerbeordnung von 1870, welche außer den Apothekergeschäften kein Gewerbe kennt, mit dessen Ausübung die Befugniß zur Anfertigung von Arzneimitteln verbunden ist, hat die Prüfung und Verpflichtung der Laboranten, sowie die in den letzten Jahren gesetzmäßig vorgeschriebene Visitation ihrer Geschäfte durch die Physici ein Ende genommen.

Da es späteren Bestimmungen vorbehalten ist, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehre überlassen werden sollen, befindet sich die Angelegenheit des Medicinhandels noch in der Schwebe. Wahrscheinlich dürfte aber eine mildere Behandlung der Medicinhändler eintreten, besonders wenn sich dieselben angelegen sein lassen, sich unschuldiger Mittel zu bedienen. Alle Verbote und Verfolgungen waren ja ohnehin, wie man sieht, nicht im Stande, dem Medicinhandel ein Ende zu machen, denn das Verbotene reizt. Uebrigens wird der Handel mit anderen Geheimmitteln, die wir nicht zu nennen brauchen, so öffentlich und großartig betrieben, daß deren Erfinder reich davon werden. Will man dem Handel mit Dergleichen wirklich beikommen, so könnte dies nur dadurch geschehen, daß man den Glauben an deren Wunderwirkung durch eine bessere Bildung und Belehrung des Volkes zu vertilgen sucht. Doch meinen wir, daß man dies bei dem unserem Volke innewohnenden Hange, am liebsten das Wunderbarste zu glauben, niemals erreichen wird. Daß wir wenigstens noch weit davon entfernt sind, scheint uns das Beispiel mancher Volksschullehrer zu beweisen, welche am meisten von Wundercuren zu erzählen wissen und oft auch selbst gern etwas medicinische Praxis treiben.



Das Bild ohne Gnade.
Erzählung von A. Godin.
(Fortsetzung.)
8. Thea.

Ein Jahr war vergangen. So ungern Graf Hugo darauf verzichtete, mit Thea Parade zu machen, hatte er doch ihrer Trauerzeit Rechnung getragen. Das Stillleben, welches sie sich nach ihrer Rückkehr von der Heimath zu schaffen gewußt, und worin er sie gewähren ließ, brachte sie der Gräfin etwas näher.

Ein Sohn und Erbe wurde inzwischen geboren; man verlebte mehr Zeit auf dem Lande, als während des ersten Ehejahres, und die Liebe, welche Thea dem kleinen Stammhalter zeigte, gewann ihr die Nachsicht der Mutter in um so höherem Grade, als zu den früheren Aergernissen jetzt kein Anlaß vorlag. Daß der Graf mit seiner Pflegetochter philosophische Werke las und von den Literaturen aller Länder naschte, störte seine Frau höchstens dann, wenn die ihr langweiligen Studien in ihrer Gegenwart zum Gesprächsthema wurden. Im Stillen tauchte ihr der Gedanke auf, in dem klugen Mädchen, deren Zwitterstellung sie schwerlich zu einer passenden Heirath mochte gelangen lassen, später eine ganz geeignete Gouvernante für ihre Kinder zu besitzen; dies gab Thea’s Zugehörigkeit zur Familie in ihren Augen gleichsam einen Boden.

Graf Hugo, dessen jüngste Laune sich auf Naturwissenschaften und dahin einschlagende Philosophie geworfen, gab die Weisheiten, welche ihm aufgingen, frisch und mit seiner individuellen Auffassung verbrämt, an die junge Schülerin weiter. Alles, was er ihr bot, war von prächtiger Façade und lud zum Eintritt ein. Das geistvolle Mädchen, deren Scharfsinn es nicht entging, daß ihr Wegweiser von den Dingen, die er ihr zeigte, nur die glänzende Oberfläche sah, fand sich vom brennendsten Durst ergriffen, in die geheimnißvollen Tiefen zu tauchen, aus welchen früher Gehörtes, Unverstandenes ihr doch schon als Bekanntes entgegenleuchtete. Mit Ungestüm drang sie in den dunkeln Schacht, um zu den Goldadern zu gelangen, die sie dort ahnte. Gewöhnt, all ihr Denken an das Bild des geliebten Freundes zu knüpfen, wurden ihre Briefe an ihn, welche unter Robert’s Adresse häufig gingen und kamen, nach und nach zu Tagebüchern eines Strebens und Forschens, das Ernst keineswegs erfreute. Ihm war der Geist des Weibes ein köstlicher, erquickender Quell, an gesegneter Stätte entsprungen und eingehegt, ein Brunnen, der ihr allein gehört, aus dem Keiner schöpfen darf, dem sie es nicht gestattet. Tiefstes Bedauern ergriff ihn, so oft er sah, daß solch eine Begnadete hinausging an den großen See, wo ihrer Hunderte stehen, um aus- und einzugießen, was sie holen und bringen, und daß sie meinte, was sich dort schöpfen ließ, sei mehr werth, als ihre eigene Quelle. Der reine Sinn, der Scharfblick des eigenen prophetischen Herzens lehrte nach seiner Ueberzeugung das Weib die ganze Welt verstehen; dieses Orakel mußte ihr stets Alles verkünden, woran am meisten gelegen. Und gab er Ausnahmen zu, war ein Vertiefen in abstracte Fragen für einzelne Frauen wirklich ein Lebensbedürfniß, seine Dora war solche Ausnahme nicht! Diese phantasievolle, leidenschaftliche Natur bedurfte übersinnlicher Ideale; wenn sie die steilen Höhen, von welchen aus weiteste Umschau geboten, wirklich erklimmte, so würde sie dort eine Luft finden, in der zu athmen für sie unmöglich war.

Er sprach diese Ueberzeugung rückhaltlos gegen Thea aus und erweckte damit in ihr tiefste Mißstimmung. Sie fühlte sich unverstanden und gedemüthigt. Der geistige Hochmuth, welcher sich in halbfertigen Naturen am schärfsten regt, bäumte sich auf. Und wie denn Alles leicht mißverstanden wird, was sich, aus seiner Verbindung gerissen, einzeln der Betrachtung darstellt, erschien ihr des Verlobten liebevolles Ablenken nur engherzige Nichtachtung ihrer Fähigkeiten. In den Briefwechsel, der seit einem Jahre Beider höchstes Glück gewesen, schlich sich jene leise Verstimmung ein, die aus Scheu, falsch verstanden zu werden, sich nicht zur lösenden Offenheit losringt, und Todesgefahr im Gefolge führt, wenn das kranke Selbstgefühl sich in stolzes Schweigen verhüllt. Was ein Blick, ein Händedruck oder ein warmes Wort rasch ausgleicht, glimmt träge und doch zerstörend fort, wo das zwischen Zürnen und Sehnen geschriebene Blatt Tage und Nächte bedarf, bis es die Hand, das Herz erreicht, für das es bestimmt ist.

Ernst empfand die Kühle, welche ihn aus den Briefen der Geliebten anwehte, mit tiefem Schmerz; im Bewußtsein voller Liebe und Treue versuchte er jedoch nicht, stürmisch wieder zu gewinnen, was, wie er empfand, unveräußerlich sein war. Er kannte die gährenden Elemente des Feuergeistes, dem er sich verbunden, und vertraute auf die Kraft der wahren, tiefinnersten Natur Thea’s.




9.

Ende Mai, als Matterns sich eben rüsteten, von der Residenz nach dem Gute überzusiedeln, empfing Thea einen kurzen Brief aus der neuen Heimath der Ihren, welcher ihr mittheilte, die Mutter sei erkrankt und verlangte nach ihr. Erschreckt durch diese Nachricht, reiste das junge Mädchen sogleich ab und traf Frau Rostan zwar außer Gefahr, aber noch schwer leidend. Wochenlanges Krankenlager ließ, trotz der sorgfältigsten Pflege, bei Frau Sophie eine Schwäche und Niedergeschlagenheit zurück, die für Thea äußerst bedrückend war. Die ganze Frische ihrer Mutter, welche so deutlich in der Erinnerung ihrer Kinder lebte, war dahin. Sie hatte sich geistig von dem Schlage nicht mehr erholt, welchen sie durch den Verlust des Gatten erlitten. Ueberanstrengung mochte mitgewirkt haben, ihre körperlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_798.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)