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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


No. 50.   1873.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der König auf Besuch.
Historische Novelette.
(Fortsetzung.)

Nach dieser grimmigen Auslassung trocknete sich der Mann den ihm in dicken Tropfen auf der Stirn stehenden Schweiß.

„Er scheint eine schöne Art von Neuigkeiten mitgebracht zu haben, Herr Gevatter,“ äußerte die Frau Castellanin nach einer Pause des Erschreckens. „Er ist ja ganz hin.“

„Bin’s, Frau Gevatter, bin’s,“ lautete die Antwort des erschöpften Mannes … „Neuigkeiten zum Gottes Erbarmen. Komme da zu meinem Vetter, dem Hoffourier, sind da Alle in Angst und Bestürzung. Ist nämlich ein Officier vom König Friedrich gestern bei unserer Frau Königin Majestät mit dem Gesuch erschienen, den Schlüssel zum geheimen Staatsarchiv herauszugeben. Hat also ein Schurke verrathen, daß es in die an der Königin Appartements stoßenden Gemächer gebracht worden sei. Gott lasse des verdammten Ischarioth’s Zunge verdorren! Der Königin Majestät hat’s rund abgeschlagen, so flehentlich auch der Officier gebeten hat; ja, wie die Hofdame Feilitzsch erzählt, soll er sogar fußfällig sie beschworen haben, sich nicht der Gewalt auszusetzen und lieber die Sache in Güte geschehen zu lassen.

‚Eher mein Leben als die Schlüssel!‘ hat die hohe Frau geschworen, und der Officier hat darauf zur Antwort gegeben:

‚Gott ist mein Zeuge – ich habe Alles gethan, um Schlimmes von Ihrer Majestät abzuwenden.‘

Das Zeugniß hat ihm die königliche Frau auch gegeben und ihn belobt seines edlen Benehmens willen.

Während mir das der Vetter Hoffourier in der Garderobe erzählt, wird draußen auf dem Gange ein Getrappe laut, als käme ein Bataillon in Sturm angerückt.

‚Jetzt werden sie Gewalt gegen unserer Königin Majestät anwenden,‘ schrie der alte Heintschke, der Portier, und es war auch so. Zwölf Mann in voller Armatur mit Corporal und Lieutenant faßten Posto in der Garderob’. Draußen auf dem Gange standen ebenso viele, das Gewehr beim Fuß; dann kam der Stadtcommandant, Generalmajor von Wylich, und ließ sich als im Auftrage seines Herrn, des Königs Friedrich, bei der Königin melden. Was da zwischen der hohen Frau und ihm besprochen worden, kann ich freilich nicht sagen; aber Gutes war es sicher nicht, denn wir, die wir zitternd und lautlos in Erwartung dessen standen, was da geschehen werde, hörten der Königin Majestät Stimme sehr laut:

‚Nein, nein! Ich weiche nur der Gewalt.‘

Darauf öffnete der Generalmajor die Thür und rief seine Soldaten hinein. Er und der Lieutenant entfernten die mit allen Kräften widerstrebende hohe Frau von der verhängnißvollen Thür, während einer der Mannschaft, seines Zeichens jedenfalls ein Schlosser, dieselbe mit eisernem Werkzeug aufsprengte. Nun setzten die Soldaten auf dem Gange die Gewehre zusammen, schleppten die in Ballen zusammengebundenen Acten und Documente in den Hof hinunter und luden sie dort auf ein paar bereit gehaltene Wagen; dann wurde Ruhe. Wir waren mehr todt als lebend. … Dergleichen Gewaltthat ist doch noch niemals geschehen. Der alte Heintschke sagte mit Thränen in den Augen:

‚Das ist nur der Anfang … was werden Die erlebt haben, die auch’s Ende sehen!‘“

„Es ist zum Gottes Erbarmen,“ wehklagte die Bettfrau.

„Und dabei bläst Der da drüben die Flaute,“ eiferte Herr Nehemia Drill grimmig. „Ist das nicht g’rad’ so, als wenn der Satan den armen Seelen, die er verschlingen will, noch zuguterletzt einen Rutscher aufspielt?“

„Hat der Herr Gevatter noch mehr solche triste Neuigkeiten?“ fragte die Castellanin.

„Wo man jetzt hinhört, erfährt man Schlimmes, Frau Gevatterin,“ antwortete der Gärtner. „Das, was ich beim Besuch meines Vetters, des Hoffouriers, Schreckliches erlebt, hatte mich so angegriffen, daß mir ganz elend zu Muthe war. Ich mußte daher, um mich nur ein wenig wieder zu erholen, zu meinem alten Schulcameraden Röder gehen, der den Leipziger Weinkeller an der Pirnaischen Gasse hat. Nun ja, die alten Stammgäste waren da, aber der Humor von sonst nicht. Um jedes Behorchen unmöglich zu machen, hat Röber seinen Kellerjungen oben an die Treppe postirt, der, wenn ein Fremder, ihm Unbekannter in den Keller hinab will, nur an einer Schnur zieht, die mit einer Klingel unten, wo die Gäste sitzen, in Verbindung steht. Klingelt’s, so hört gleich aller verfängliche Discours auf. Bei mir klingelte es nicht, denn ich bin da ein alter Bekannter. Wie ich mein Erlebniß in unserm Königsschlosse erzählt hatte, denke ich doch, die Leute werden närrisch vor Gift und Galle über diese Gewaltthat gegen unserer Königin Majestät.“

„Läßt sich begreifen,“ meinte Herr Nehemia, voll Zorn seinen schwarzen, untadelhaft gewichsten und kunstreich in zwei nadelspitzgleich gedrehte Enden auslaufenden Schnurrbart rücksichtslos behandelnd.

Der Gärtner hatte noch mancherlei über die Stimmung der Dresdener zu berichten, unter Anderem: König Friedrich’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_803.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)