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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„In den Armen eines Mädchens, welches mich zum ewigen Gefangenen gemacht hat,“ schrieb er dem väterlichen Freunde, „beantworte ich Ihren Brief. Und wenn ich auch an des Kaisers Thron, ja in ein Paradies gerufen würde, so hielte mich doch der Arm, der mich jetzt umschlingt, zurück, dem Rufe zu folgen. Die Welt hat für mich, wie für den Liebenden, dessen Geschichte uns Rousseau beschrieben, nur zwei Theile, den, wo Sie ist, und den, wo Sie nicht ist. Jener ist der himmlische Freudensaal und dieser das dunkle Jammerthal. Ich sollte meines süßen Mädchens noch zwei Jahre entbehren? Das wäre ja eine angstvolle Ewigkeit! Immer solle demnach der Vorhang nieder und verschließe meinem Blick die Aussicht auf Glück und Ehre!

Minnesold läßt Amt und Ehren,
Goldnen Sporn und Ritterschlag.
Lässet ohne Neid entbehren,
Was der Kaiser geben mag.
Ehre lacht nicht halb so hold,
Als der Minne Freudensold!“

„Wißt Ihr‘s schon, Freund,“ heißt es in einem gleichzeitigen Brief an Boie, „daß ich mich hier verplempert habe? Vermuthlich

Bürger‘s Wohnung in Wölmershausen.
Nach einer Zeichnung von Otto Peters.

wird der hundertzüngige Ruf auch für dieses Histörchen ein Zünglein übrig gehabt haben. Sehen Sie, mein liebster Boie, endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum Heirathen verlieben müssen. – Ach, da kommt sie her, die Minnigliche, die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern, so wie sie da ist, über Alles in der ganzen weiten Welt liebt. Mag sie doch Andern nichts sein, mir ist sie Alles.

Jeder Minner hat die Seine,
Und die Seine lobe, wer da will!
Mag er doch in gleichen Weisen
Seines Herzens Huldin preisen!
Nur die Meine lass‘ er mir!
Lobt er dort, so lob‘ ich hier.“

Scherzhaft lautet die Gratulation des Grafen Friedrich Leopold Stolberg: „Und Sie armer Adler sind verliebt! O paaren Sie sich geschwind! herzlich freue ich mich, daß Sie ein liebes Mädchen gefunden haben! eya, wäre ich auch da! Sie wissen, was Salomon von einem guten Weibe sagt: Sie ist lieblich wie ein Rehe und holdselig wie eine Hinde, oder, wie Michaelis übersetzen würde: sie ist lieblich wie eine Ricke und holdselig wie ein Schmalthier.“ – Gleim widmete „Der Freundin Herrn Bürger‘s, in seine Seele gesungen von dem Verfasser,“ nachstehendes Schäfergedicht:

Zwei schöne Tage sind verloren,
Ich sahe meine Doris nicht.
In ihrer Pracht sah ich Auroren,
Ich sahe Cynthien und Floren
Und Hespers stilles Silberlicht,
Und meine Doris sah ich nicht –
Zwei schöne Tage sind verloren.

Ach hätt‘ ich diese Tage wieder,
Verleben wollt‘ ich sie mit ihr.
Mit ihr fäng‘ ich Auroren Lieder,
Die Grazien und ihre Brüder,
Die Liebesgötter alle hier
Um sie herum gewänn‘ ich mir –
Ach hätt‘ ich diese Tage wieder!“

So sehr fühlte sich Bürger beseligt im Genusse der vollen Liebeswirklichkeit, daß ihm jedes Wort und Lied im Vergleich zu derselben arm erschien. Boie hatte erwartet, die Muse des Freundes werde sich nun zu erhöhtem Aufschwunge gespornt sehen. „Aber,“ frug er vorwurfsvoll, „begeistert Sie die Liebe zu keinem Gesange? Sie hätten die Liebe feurig singen müssen, oder kein Dichter kann‘s! Sie wissen doch:

Il faut n’écrire des vers amoureux
Que sous les yeux de sa maîtresse.

Fragen Sie nur Ihr Mädchen, ob sie nicht auch gern ein Lied hätte!“

Bürger antwortete dagegen: „Sie werden es, mein lieber Boie, ganz natürlich finden, daß ich jetzt täglich an Sie schreiben und zu Ihnen nach Göttingen kommen will, und doch Beides nicht bewerkstellige. Wenn das so fortgeht, so sterbe ich den Musen, der Freundschaft und der ganzen Welt noch ab, um nur allein der Minne zu folgen. Ich kann jetzt nichts als lieben; lieben beim Entschlummern, lieben beim Erwachen, lieben in Träumen. Verse mag und kann ich jetzt gar nicht machen. Alle Ideen fliegen in Rauch auf; und einen Reim bin ich so wenig vermögend zu finden, daß mich dünkt, die ganze Welt hätte keine zwei Wörter, welche sich reimten.“ Auch der Graf Christian Stolberg wunderte sich, daß Bürger nicht „sein Mädchen und die Freuden des ersten Kusses“ besang. „Aber liebster Adler – warum so stille? ich hatte gehofft, daß die allmächtige Liebe Sie recht fruchtbar beseelen würde, daß Ihnen Ströme von Liedern entfließen und Sie Ihr Mädchen wie Petrarca besingen würden, aber stumm wird er nach der Liebe.“

Nach der Vermählung Bürger’s mit seiner geliebten Dorette – die Hochzeit wurde am 22. Oktober 1774 in dem stattlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_811.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)