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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

der sogenannten „alten Kirche“ im südlichen Theil der Stadt und zwang durch seinen Beschluß den Statthalter, die beiden Regimenter, die in Boston lagen, in das Fort Williamsburg zu verlegen. Eine feierliche Bestattung der Gefallenen vermehrte die Erbitterung und die Hartnäckigkeit des Volks.

Um den Beschluß des Königs Georg, daß der Theezoll das englische Recht der Besteuerung Amerikas zu repräsentiren habe, durchzuführen, griff man zu einer List, zu welcher die große Noth der Ostindischen Compagnie mit ihrem Theehandel zwang. Sie hatte jährlich zwei Millionen vierhunderttausend Pfund Sterling für ihr Monopol an die Regierung zu zahlen, und nun lagerten nicht weniger als siebenzehn Millionen Pfund Thee in ihren Magazinen, denen der Hauptmarkt, Amerika, verstopft war. Sie erbot sich, gegen Aufhebung des Theezolls, der Regierung den doppelten Ertrag desselben vergüten zu wollen. Vergeblich. Dagegen ward der Compagnie gestattet, den Thee unversteuert auszuführen, und so konnte den Amerikanern das gewohnte und längst bitter entbehrte Labsal zu Spottpreisen dargeboten werden. Diese Verlockung war zu groß. Die Kaufleute an vielen Küstenorten weigerten sich, jetzt noch vom Einkauf abzustehen, so daß Zagheit und Niedergeschlagenheit in das Volk einzubrechen drohten. Da galt es noch einmal das Anspannen aller Kräfte, die glühendste Beredsamkeit, ja, die fürchterlichsten Drohungen bis zum Rufe nach den Waffen, um die Kaufleute und Agenten einzuschüchtern und zugleich alle Colonien zu bewegen, Massachusetts in seinem Kampfe gegen England nicht zu verlassen.

Als nach harten Kämpfen in den Volksversammlungen der Entschluß endlich allgemein angenommen war, auch jetzt keinen Thee von England an das Land zu lassen, war man zugleich Willens, die in zahlreichen Schiffen herübergebrachten Vorräthe nicht anzutasten, sondern unverletzt nur zurückzuweisen. Dies war zum Beispiel in New-York und Philadelphia geschehen, wo die Capitaine der Theeschiffe, von dem auflodernden Volkszorne erschreckt, vor den Häfen gleich wieder umwendeten. In Boston kam’s zur Gewalt.

Hier hatte am 28. November 1773 das erste Theeschiff, die „Dartmouth“, im Hafen Anker geworfen. Die Bevölkerung stemmte sich gegen die Landung derselben, und dem Statthalter kam es offenbar nur darauf an Zeit zu gewinnen. So ging das Hin- und Her-Senden und -Reden bis zum sechszehnten[1] December, dem zwanzigsten Tage nach Ankunft des Schiffes, an welchem nach gesetzlichen Vorschriften den Zollbeamten das Recht zustand, von dem Schiffe Besitz zu nehmen und den Thee nach dem Castell zu schaffen. Währenddeß hatten noch zwei Theeschiffe sich im Hafen eingestellt. Der Tag mußte die Entscheidung bringen: Das fühlte Jedermann, und Niemand hatte Ruhe im Hause. Es wogte in den Straßen und große Volksmassen, zu denen vom Lande über Zweitausend hereingekommen waren, sammelten sich wieder vor und in der „alten Kirche“ (gewöhnlich „Old-South-Meeting-House“ genannt) und wählten Samuel Savage zu ihrem Vorsteher, um zu berathen und sich für die Ereignisse der nächsten Stunden vorzubereiten. Der ganze Tag verging mit Verhandlungen. Hier schürten Adams und Josiah Quincy, ein gewaltiger Redner, das Feuer von Neuem, und als endlich abermals die Frage an die etwa siebentausend Anwesenden gestellt wurde, ob die Versammlung auf ihrem früheren Beschlusse verharre, erscholl ein einstimmiges „Ja!“

Sofort erhält der Besitzer der „Dartmouth“, Rotch, den Befehl, begleitet von acht Zeugen, vom Statthalter seine Pässe zu verlangen und den Hafen zu verlassen. Der Abend bricht herein, ohne daß die Antwort kommt. Schon länger als eine Stunde ist es ziemlich dunkel geworden; die menschenvolle Kirche ist düster beleuchtet, die Stimmung der Versammlung wird immer bedenklicher. – Endlich, ein Viertel vor sechs Uhr, erscheint Rotch sammt den Zeugen und meldet, daß der Statthalter ihm einen Paß verweigert habe, weil sein Schiff nicht gehörig clarirt sei. Als Rotch geendet hatte, erhob sich Samuel Adams und erklärte: „Diese Versammlung kann nichts mehr thun, um das Land zu retten!“ – In demselben Augenblick ertönt in der Vorhalle der Kirche der indianische Kriegsruf. Etwa fünfzig Männer, bekleidet und gemalt wie Mohawk-Indianer, ziehen, von Samuel Adams, Hancock und Anderen mit Jubel begrüßt, an der Thür vorüber und nach dem Hafen. Die Menschenmenge stürmte auf das Bollwerk nach. Die „Mohawks“ sprangen in die Boote, erstiegen die „Dartmouth“, deren Mannschaft beim Anblick der Volksmassen am Ufer jeder Widerstand verging, erbrachen binnen drei Stunden sämmtliche Theekisten, dreihundertzweiundvierzig an der Zahl, und schütteten den Inhalt in’s Wasser. Das war die nächtliche That der „Bostoner Theegesellschaft“, das war der „Theesturm“, welcher so still und friedlich, so ohne jedes Geschrei abging, daß man am Ufer jeden Axtschlag hörte, der eine Kiste erbrechen half. Ohne irgend das Geringste in und an dem geleerten Schiffe zu berühren, stiegen die Mohawks auf die Boote zurück und verschwanden, wie sie gekommen waren. In Boston, in Massachusetts, durch alle Colonien verbreitete die Nachricht von diesem Ereigniß den Jubel des Gefühls, daß Allen eine drückende Last vom Herzen sei. Die Unentschiedenheit war vorüber, die Colonien hatten „die Schiffe hinter sich verbrannt“. Dies- und jenseits sang man aber noch lange das Volkslied:

„O Mutter, lieb’ Mutter,“ die Tochter da rief,
„Ich thu’ nicht, was Du verlangst, Schatz!
Ich zahle Dir willig den Preis für den Thee,
Doch nimmer den Dreipfennigsatz.“

„Und Du mußt!“ schrie die Mutter ganz krebsroth vor Zorn.
„Bist Du meine Tochter nicht, he? –
Nur recht ist’s und billig, wenn’s Töchterlein zahlt
Für die Mutter den Zoll auf den Thee.“

Ueber die Folgen des Bostoner Theesturms wird die Gartenlaube berichten, wenn sie das hundertjährige Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung, am 4. Juli 1876, mitfeiert.




Das Bild ohne Gnade.
Erzählung von A. Godin.
(Fortsetzung.)

Thea saß wie versteinert. Kein Zeichen verrieth, ob sie von allen Worten, die an sie gerichtet worden, auch nur eine Silbe gehört. Mattern erhob sich und schritt schweigend auf und nieder. Endlich blieb er vor ihr stehen und sagte mit einiger Kälte:

„Ich lasse Dich allein. Hast Du keinen Auftrag für mich?“

Sie blickte nicht auf. „Sagen Sie Herrn von Sandor, mir sei nicht wohl, und ich bitte um Entschuldigung – für ein paar Tage.“

Der Graf legte die Hand auf ihre Schulter und sah sie gespannt an. „Bedenkzeit?“

„Zeit, meine elende Treulosigkeit wenigstens Dem zu erklären, der ein Recht darauf hat, sie zuerst zu erfahren,“ brach Thea aus, „Zeit, mir das Wort wenigstens zurückgeben zu lassen, das ich brechen will.“

„Es wäre besser, diese Erklärungen mir zu überlassen. Ich würde dafür die geeignete Form zu finden wissen. Doch will ich Dir hierin nicht entgegen sein; nur lasse es bald geschehen! Stephan soll erfahren, daß Dir in der That unwohl ist, und wird sich gedulden. Ich gebe Dir zu, daß Du einiger Zeit bedarfst, Deine überspannte Auffassung der Dinge zu mäßigen. Bleibe in Einsamkeit, so lange es Dir nöthig scheint.“

  1. Seltsamer Weise sind die geschichtlichen Angaben über den Tag des Theesturms nicht einig. Viele bezeichnen den sechsundzwanzigsten December als diesen Tag. Die deutsche Bearbeitung des Bancroft sagt sogar: „Sonntag, der letzte December, dämmerte über Boston auf etc.“ Der letzte December 1773 war aber ein Freitag, während der letzte Sonntag des December allerdings auf den 26. fiel. Da jedoch bei dem strengen Puritanismus der Bostoner schwerlich eine Theelandung an einem Sonntag angeordnet werden konnte, so ziehen wir es vor, den Sechszehnten als Jubeltag zu bezeichnen, bis wir officiell eines Andern belehrt werden. – Das am Schlusse mitgetheilte englische Volksliedchen verdanken wir dem so eben erscheinenden Buche Ludwig Wittig’s: „Ein Jahrhundert der Revolution.“
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_815.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)