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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Thürme und thurmartigen Schornsteine Heilbronns weithin die Blicke auf sich ziehen.

Führen wir, um dieses anmuthige Landschaftsbild in seiner ganzen Ausdehnung überblicken zu können, unsere Reisenden auf eine der umgebenden Höhen, etwa den vielbesuchten Wartberg. Es breitet hier ein ansehnlicher Theil des niederschwäbischen Berg- und Hügellandes vor dem Blicke sich aus: süd- und westwärts einzelne Höhen der schwäbischen Alb, des Strom- und Heuchelberges und nördlichen Schwarzwaldes, nordwärts Theile der Vogesen und des Odenwaldes, rückwärts oder ostwärts die Löwensteiner Berge, deren äußerster, bis dicht an das rechte Neckarufer vorgeschobener Ausläufer eben der Wartberg ist, der neunhundertsechsundvierzig Pariser Fuß über das Meer, vierhundertsechsundvierzig über den Neckarspiegel sich erhebt. Als einzelne von hier aus sichtbare Höhenpunkte sind zu nennen: die Weibertreue, die Waldenburg, der Stocksberg bei Löwenstein, der Hasenberg bei Stuttgart, die Solitude, Hohenasperg, die Ruine der Burg Neipperg, des Stammschlosses der Grafen gleichen Namens, die Heuchelberger Warte, der kegelförmige Steinsberg, der weltbekannte Königsstuhl bei Heidelberg, der nur durch den Neckar von diesem getrennte, aber einem anderen Gebirge, dem Odenwalde, angehörige Heiligenberg und die Haupterhebung des letztgenannten Gebirges, der durch vulcanische Kräfte erhobene imposante Katzenbuckel (Melibocus) von tausendneunhundertzweiunddreißig Fuß absoluter Höhe.

Den Mittelpunkt dessen aber, was zunächst zu den Füßen des Beschauers sich ausbreitet, bildet die Stadt Heilbronn selbst mit ihren vielen Thürmen, unter welchen der hoch aufstrebende, vielfach durchbrochene Hauptthurm der Kilianskirche einen besonders schönen Anblick darbietet.

Gehen wir nun von der landschaftlichen Betrachtung zu der geschichtlichen über. Der Landstrich, auf welchem heute Heilbronn steht, tritt in die Geschichte ein mit seiner Eroberung durch die Römer zur Zeit des Kaisers Hadrian. Er gehörte nämlich zu jener Südwestecke Deutschlands, welche die Römer das „Zehentland“ nannten und welches sie durch eines der gewaltigsten Werke, die je eine Menschenhand geschaffen, den „römischen Grenzwall“ (im Munde des Volkes in seinen Resten „Teufelsmauer“ benannt), gegen die Einfälle aus dem freien Deutschland sich zu sichern gesucht hatten. Aber dennoch durchbrach die stürmische Tapferkeit der Alemannen gegen Ende des dritten Jahrhunderts den Wall und trieb die Römer aus dem Lande, in welchem sie nun zwei Jahrhunderte lang herrschten. Im Jahre 496 aber erlagen diese Alemannen, für welche später der Name „Schwaben“ üblich wurde, dem Frankenkönig Chlodwig, und da nun der Landstrich vom unteren Neckar bis zur Lahn von ihnen, aus Haß gegen die Franken und ihre Herrschaft, größtentheils verlassen wurde, so versetzte Chlodwig eine Masse seiner Franken aus ihren damaligen Wohnsitzen im nördlichen Gallien in dieses rechtsrheinische Gebiet herüber, das seitdem den Namen „Franken“, eigentlich Ostfranken erhielt. Demzufolge gehört die Bevölkerung Heilbronns dem deutschen Volksstamm der Franken an, wie auch ihr Dialect ausweist, wiewohl dieser, wegen der unmittelbaren Nachbarschaft, des vielfachen Verkehrs und der politischen Verbindung auch viele schwäbische Bestandtheile in sich aufgenommen hat. In politischer Beziehung nämlich ist Heilbronn mehr eine schwäbische, als eine fränkische Stadt, da sie schon dem alten schwäbischen Städtebunde und später dem weiteren Bunde der schwäbischen Reichsstände angehört hat und von Kaiser Max dem Ersten bei seiner Eintheilung des deutschen Reiches in zehn Kreise dem schwäbischen Kreise zugetheilt worden ist.

Der Name unserer Stadt erscheint zuerst in der Mitte des achten Jahrhunderts, und zwar in der Schreibart „Heliprunna“ oder „Heilieprunna“; er rührt ohne Zweifel her von dem mitten in der Stadt gelegenen, jetzt sogenannten Kirchbrunnen, wird aber eher Brunnen der Heiligen, als Heilbrunnen zu deuten sein. Der Ort war ursprünglich ein Palatium regium oder Kammerort, das heißt seine Einkünfte standen den fränkischen, beziehungsweise deutschen Königen zu, wie denn auch gleich der erste der letzteren, Ludwig der Deutsche, vorübergehend sich daselbst aufgehalten hat. Dieses Verhältniß zum jeweiligen Könige schloß aber nicht aus, daß auch zahlreiche untergeordnete Herren weltlichen und geistlichen Standes Besitzungen, Gefälle und Rechte in Heilbronn erwarben.

Kaiser Friedrich der Zweite verlieh dem Orte Stadtrechte; und nach der Verfassung, wie sie unter dem der Stadt vorzugsweise günstigen König Rudolf (1273 bis 1291) sich ausbildete, stand ihr im Namen des Kaisers ein Reichsvogt vor, unter welchem ein Schultheiß mit zwölf Rathmannen die Civilprocesse entschied und die Polizei handhabte; an der Spitze der Bürgerschaft standen ein, später zwei Bürgermeister.

Immermehr erweiterten sich die Rechte der Stadt, immer unabhängiger wurden Bürgermeister und Rath, besonders auch durch die Begünstigung der Kaiser Ludwig des Baiern (1314 bis 1347) und Karl des Vierten (1347 bis 1378), so daß ihr staatsrechtlicher Charakter jetzt aus dem einer Königsstadt in den einer eigentlichen Reichsstadt überging. Diese Umwandlung wurde vollendet im Jahre 1360, indem Kaiser Karl der Vierte der Stadt gestattete, das von ihm an den Grafen Eberhard den Greiner von Württemberg verpfändet gewesene Schultheißenamt einzulösen, welches von da an niemals mehr aus dem Besitze der Stadt gekommen ist.

Um dieselbe Zeit, Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, begannen die demokratischen Regungen auch hier hervorzutreten; die Zünfte erhoben sich wider die Geschlechter und verlangten, daß der Rath auch aus ihrer Mitte besetzt werden solle, eine Forderung, welche sehr natürlich erscheint, wenn man bedenkt, welchen Wohlstand die Zünfte durch die mit dem steigenden Luxus immer gesuchteren Erzeugnisse ihres Kunst- und Gewerbefleißes erworben hatten, und wie sehr ihr Selbstgefühl theils hierdurch, theils durch das Bewußtsein ihrer physischen Kraft und numerischen Stärke gehoben war. Der erste Versuch der Erhebung der Zünfte wurde freilich von den Geschlechtern blutig niedergeschlagen, und Titot, unser vorzüglichster Gewährsmann bezüglich der Heilbronner Specialgeschichte, meint sogar, sechszig steinerne Kreuze, die man noch bis zum Jahre 1745 in der Nähe der Straße nach Neckarsulm auf dem heute noch sogenannten „Kreuzacker“ habe stehen sehen, hätten die Gräber der damals Hingerichteten bezeichnet, und der Name „im Gschrei“, den die Aecker auf einer Anhöhe dort tragen, rühre daher, daß dort die Frauen und Kinder der Hingerichteten der Abschreckung wegen dem blutigen Schauspiel hätten zusehen müssen. Zuletzt jedoch konnte es nicht fehlen, daß in Heilbronn wie anderwärts der dritte Stand seine Forderungen im Allgemeinen durchsetzte: man verständigte sich über eine Umänderung der Verfassung, welche dem demokratischen Elemente neben dem aristokratischen seine berechtigte Stellung einräumte, indem sie den Zünften die Rathsfähigkeit innerhalb gewisser gesetzlicher Schranken zugestand. Nach dieser neuen Verfassung, welche vom Kaiser Karl dem Vierten im Jahre 1373 bestätigt wurde, sollten künftig sowohl die Geschlechter als die Zünfte je dreizehn Rathsherren und je einen Bürgermeister wählen, beide Stände gleiche politische Rechte haben, die Zahl der Zünfte jedoch nicht vermehrt werden dürfen.

Diesen inneren Entwickelungen ging die Kräftigung der Stadt gegen außen durch vorzügliche Befestigungen, mit denen unter dem Hohenstaufen Friedrich dem Zweiten begonnen wurde, zur Seite. Zu diesem Zweck wurde vor Allem der Neckarfluß benutzt; durch ein Wehr gestaut, bildete er einen starken Schutz der ganzen Westseite; auf den anderen drei Seiten füllte sein Wasser einen tiefen Stadtgraben, welcher eine hohe und überaus feste Stadtmauer umsäumte, deren zahlreiche und stattliche Thürme, die jetzt nicht mehr alle erhalten sind, der Stadt früher, wie zum Beispiel ein Bild vom Jahre 1643 aufweist, von den benachbarten Höhen aus gesehen ein Achtung gebietendes Ansehen verliehen haben müssen. Und freilich bedurfte die Stadt solcher Schutzmittel in hohem Grade unter den anarchischen Verhältnissen des Reiches in den späteren Jahrhunderten des Mittelalters. Zahllose Streitigkeiten, die daraus hervorgingen, daß den verschiedensten geistlichen und weltlichen Herren in Stadt und Gebiet Besitzungen und Gerechtsame zustanden; dann das Unwesen der in Franken besonders üppig wuchernden Raubritter, welches, als die Städte hiergegen durch Bündnisse untereinander sich zu sichern suchten, auch Heilbronn bewog, im Jahre 1377 dem großen schwäbischen Städtebunde beizutreten; die Feindseligkeiten und Angriffe von Seiten der größeren Dynasten, die stets auf die Städte eifersüchtig waren – man denke an den Grafen Eberhard den Greiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_824.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)