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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


von Württemberg, dessen gewaltige Faust auch die Heilbronner (bei Döffingen, 1388) zu fühlen bekamen – dies Alles gab der Stadt und ihrer Bürgerschaft oft genug Gelegenheit, ihre Festigkeit und Stärke an den Tag zu legen, was auch meist auf achtungswerthe und erfolgreiche Weise geschehen ist.

Weniger Ehre macht den alten Heilbronnern ihr Auftreten gegen die Juden. Ueber deren Wucher entrüstet erklärte der Rath nicht nur wiederholt alle Schuldforderungen der Juden für ungültig, sondern er vertrieb sie auch zu öfteren Malen Alle aus der Stadt, am gründlichsten im Jahre 1469. Seitdem mußte jeder Jude, wenn er die Stadt nur betreten wollte, am Thore fünfzehn Kreuzer Leibzoll bezahlen. Aber seit Mediatisirung der Stadt haben die Juden natürlich nicht mehr ferne gehalten werden können; im Gegentheile hat eben in den letzten Jahren ihre Zahl, infolge der äußerst günstigen Lage Heilbronns für den größeren Handel, ganz erstaunlich zugenommen, und eben jetzt erheben sich aus dem Boden die Grundmauern einer Synagoge, die ohne Zweifel nach wenigen Monaten schon von dem Wohlstande der neuen Gemeinde und ihrer Opferfähigkeit auch für ideale Zwecke ein redendes Zeugniß ablegen wird.

Wenden wir uns nunmehr zum Uebergange aus dem Mittelalter in die neue Zeit, so begegnet uns an der Schwelle der letzteren die Gestalt eines Mannes, der mit seinem ganzen Wesen noch dem ersteren angehört und als einer der charaktervollsten und eigenartigsten Repräsentanten desselben, hochgefeiert von Deutschlands größtem Dichter, im Gedächtniß des gesammten deutschen Volkes fortlebt, während sein Name durch eines der Ereignisse seines wechselvollen Lebens speciell mit dem der Stadt Heilbronn eng verwoben ist. Wir meinen den biderben Ritter Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, über dessen Lebensschicksale sich die Gartenlaube bereits früher hat vernehmen lassen.

Zur Zeit des Götz von Berlichingen begann auch der vierte Stand in Deutschland, die vom Reichsadel und hohen Clerus schwer gedrückten Bauern, auf seine Menschenrechte sich zu besinnen und an seinen Ketten zu rütteln. Zu den ersten Erhebungen, welche hieraus hervorgegangen sind, gehört der „arme Konrad“ (das heißt „koan Rath“, weil die Leute sich nicht mehr zu rathen wußten), ein Aufstand der Bauern im Remsthale gegen den wilden Herzog Ulrich von Württemberg. Bei diesem Anlaß zog Götz dem Herzoge mit etwa dreißig Pferden zu Hülfe; aber die hierdurch eingeleitete nähere Verbindung mit diesem Fürsten brachte großes Unglück über den Ritter. Ulrich, wegen schwerer Gewaltthaten (Ermordung des Edelmanns Hans von Hutten, Ueberfall und Eroberung der Reichsstadt Reutlingen) vom schwäbischen Bunde bekriegt, verlor rasch alle seine Festungen und Burgen, nur Hohen-Asperg und Möckmühl hielten sich noch, Letzteres durch Götz auf’s Tapferste vertheidigt.

Endlich capitulirte er gegen das Versprechen freien Abzugs. Aber dieser Vertrag wurde von den Bündischen schmählich gebrochen. Kaum hatte er die Burg verlassen, als man über ihn herfiel, worauf er durch das Haupt des Bundes, den Herzog Wilhelm von Baiern, der Gemeinde Heilbronn zu sicherem Gewahrsam übergeben wurde. Hier mußte er die erste Nacht – es war die Nacht vor dem Pfingstfeste 1519 –, weil er die ihm auferlegte Urfehde zu unterschreiben hartnäckig sich weigerte, in jenem viereckigen, am Südwestende der Stadt gelegenen Thurme zubringen, der noch heute seinem Namen trägt und wohin ihn zu bringen den Weinschrötern, die der Magistrat als derbe, kräftige Leute dazu beigezogen, nicht geringe Anstrengung gekostet hatte. Aber schon am Pfingstmorgen verbreitete sich in der Stadt die Nachricht, daß Götzens ritterliche Freunde, von seinem treuen Weibe in aller Eile aufgeboten, im Anrücken begriffen seien, und so entließ ihn denn der Rath, der dem Ritter überhaupt persönlich durchaus nicht übel wollte, des Thurmes und wies ihm in einer „luftigen Stube“ des Rathhauses ein ritterliches Gefängniß an; ja, einige Wochen später durfte er eine Herberge in der Stadt beziehen, infolge der drohenden Haltung, die seine Freunde, namentlich die berühmten Ritter Georg Frundsberg und Franz von Sickingen, welche damals mit einer Schaar von nicht weniger als zwölftausend Reisigen in Franken gegen die „Fürsten“, d. h. die höhere Reichsaristokratie in den Waffen standen, gegen die Stadt angenommen. Und hier verweilte er bis zum Jahre 1522, wo er endlich, der langen Haft und Unthätigkeit müde, die vom schwäbischen Bunde geforderten zweitausend Gulden für die Landsknechte, welche bei Möckmühl ihn niedergeworfen hatten, bezahlte und versprach, wegen der überstandenen Gefangenschaft nichts Feindliches auszuüben und mit den Ständen des schwäbischen Bundes lebenslänglichen Frieden zu halten.

Es folgte die trübe Zeit der Betheiligung Götzens am Bauernkrieg, in welchen bald auch die Stadt Heilbronn so unfreiwillig wie ihr früherer Gast wider Willen sich verwickelt sah. Ein brutaler, lüderlicher, verschuldeter und deshalb gerichtlich versorgter Bauer aus dem heilbronnischen Dorfe Böckingen, Jakob Rohrbach, wiegelte die Bauern in der Umgegend, namentlich in den Ortschaften des Deutschordens auf und führte sie den „hellen Haufen“ der aufrührerischen Bauern zu, welche aus dem Würzburgischen unter einem gewissen Georg Metzler von Ballenberg heranrückten.

Auch diese Bauern zogen aus in der Absicht, „das Kaiserthum wieder herzustellen“, entschlossen, wie einer ihrer Artikel wörtlich besagte, in Zukunft nur den römischen König und Herrn anzuerkennen; auch sie fochten, wie angeblich jene Ritter unter Sickingen, für „die deutsche Freiheit“, denn „die Freiheit“ war der schöne Name, unter welchem jeder Stand in Deutschland, Fürsten, Ritter und Bauern, die Interessen seiner Kaste begriff. Aber der schöne Name konnte nicht verhindern, daß der Ingrimm über vielhundertjährige Mißhandlung jetzt in entsetzlichen Gewaltthaten sich Luft machte. Eine der gräßlichsten derselben war die schon so oft beschriebene Gräuelscene bei dem benachbarten Weinsberg, bei welcher Jäcklein Rohrbach von Böckingen eine Hauptrolle spielte.

Von Weinsberg zog der Haufe direct auf Heilbronn und verlangte Einlaß. Da nun unter den Rathsherren selbst nicht die beste Eintracht waltete, von der Bürgerschaft aber sehr Viele auf Seite der Bauern standen und diese ihre Gesinnung in drohender Weise kundgaben, da die Hülfe, welche der Rath vom schwäbischen Bunde und dessen Feldhauptmann Georg Truchseß erbeten hatte, ausblieb und die Bauern ihrerseits versicherten, den Bürgern nichts anhaben zu wollen, sondern nur den Geistlichen, so erhielten die Bauern am Osterdienstag 1525 Einlaß in die Stadt. Hier plünderten sie nun vor Allem das Haus der Deutschherren, deren Commenthur nach Heidelberg sich geflüchtet hatte, gründlich aus, wobei die deutschmeisterischen Bauern, wie es scheint die wüthendsten unter Allen, schrieen: „Wir haben lange Zeit hereingeführt, wir wollen nun auch eine Weile hinausführen.“

Mit Beute beladen – der Verlust des Deutschordens wurde nachher auf mehr als zwanzigtausend Gulden geschätzt –, zogen sie aus der Stadt wieder ab. Aber bald darauf brach die Strafe über die Aufrührer herein. Sie erlagen der Kriegskunst des Truchseß von Waldburg und verfielen nun der schrecklichen Rache ihrer Herren vom hohen und vom niedrigen Reichsadel; Jäcklein Rohrbach wurde auf einer Wiese bei Neckargartach, eine Stunde Wegs von seinem Heimathsorte, an einem langsamen Feuer lebendig gebraten.

Bei einem der rebellischen Bauernhaufen hatte auch Götz von Berlichingen gezwungenermaßen, da er in ihre Hände gefallen war, kurze Zeit ein Commando geführt, was übrigens auch von einigen anderen Edelleuten, wie den Grafen von Henneberg und von Wertheim, berichtet wird. Er hatte dieses Commando, wie er in seiner Selbstbiographie betheuert, benutzt, um manches Ueble zu verhindern, und hatte nach Ablauf der vertragsmäßigen Zeit sich beeilt, die Bauern wieder zu verlassen. Eben gedachte der Ritter in die Dienste des Kaisers zu treten; aber der schwäbische Bund, der wegen seines Verweilens im Lager der Bauern ihn hart anfeindete, lud ihn zur Verantwortung vor nach Augsburg und legte ihn, der diesem Rufe arglos folgte, dort in einen Thurm. Erst nach zwei Jahren und gegen Beschwörung einer harten Urfehde, der zufolge er den Rest seines Lebens in seinem Schlosse Hornberg hätte zubringen müssen und dieses keine Nacht hätte verlassen dürfen, erhielt er die Freiheit.

Die ebengenannte schöne und umfangreiche Burg, vier Stunden unterhalb Heilbronn am Neckar gelegen, hatte Götz vor Kurzem teilweise mit Geld, das man in Heilbronn ihm geliehen, erworben; dieselbe befindet sich jetzt im Besitze einer Linie der vielverzweigten freiherrlichen Familie von Gemmingen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_825.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)