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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

sie eine gemeinsame allgemeine Entstehungsursache haben müssen, daß sie nur locale Modificationen einer und derselben Erscheinung sind: die Bora wie der Tauernwind sind eben nur der in den warmen Südwestwind eindringende kalte Polarstrom, durch locale Bodengestalt verstärkt und modificirt.

Die Bora ist demnach das Widerbild der Erscheinung, wie sie der Südwestpassat an manchen geeigneten Stellen der Südalpen in der Schweiz als gefürchteter Föhn hervorbringt.

Wird nun die Bora, wie der Tauernwind, als locale Erscheinung des Nordpassates betrachtet, so können die besonderen Eigenthümlichkeiten dieses Sturmwindes leicht und ungezwungen erklärt werden. Wie dieser dringt sie meist plötzlich und stürmend in den längere Zeit wehenden Südwestpassat (Sciroccalwetter) in rascher Winddrehung von West durch Nord gegen Ost. Das Lichten der Wolken im Nordwest, die allmähliche Aufheiterung, das Steigen des Luftdruckes, das Fallen der Temperatur etc. sind ihr wie dem Nordpassat zukommende Eigenthümlichkeiten, wie auch ihre Dauer und ihr allmähliches Erlöschen nach allgemeiner Aufheiterung des Himmels. Wir brauchen uns auch nicht mehr zu verwundern, daß ein Wind mit solcher Heftigkeit durch mehrere Tage wehen kann, da wir nun wissen, daß nicht blos local vom Gebirge ober den Ebenen Ungarns, sondern weit von Norden die Luftmassen hergeführt werden.

Die größere Heftigkeit, mit welcher die Bora, so wie der Tauernwind an manchen Orten weht, erklärt sich durch die Gebirgsgestaltung; die Luft wird ja am Gebirge gestaut und stürzt gewaltsam in’s Thal, wo sie noch durch Gebirgsflanken oder durch etliche Arme gepreßt und zusammengeengt wird. Dazu kommt noch immer der bei der Bora als wesentlich betonte Gegensatz der starken Erwärmung der über dem Meere lagernden feuchten zur Kälte und Trockenheit der vom Gebirge kommenden Luft. Die eigenthümliche scharfe Grenze von Sturm und Windstille hat eine dem Zuge der Gebirge und der daraus gefolgerten Erklärung vollkommen entsprechende Krümmung; es ist eben die Linie, wo die Luftmassen, ihrer Geschwindigkeit entsprechend, in das Thal gelangen können und dort besonders wuchtig niederstürzen; bei genauer Untersuchung der Gebirgsconfiguration lassen sich sehr wohl die Stellen bezeichnen, wo sie, besonders zusammengepreßt, den Wind verstärken müssen, während sich andererseits leicht erklären läßt, wie die westlicheren Gegenden, durch die Gebirge theilweise geschützt, weniger oder nichts von der Bora spüren und auch diese gegen die östlichen hin allmählich in den gewöhnlichen Nordostpassat übergeht.

Ob und in wie weit die vielfach gemachten Vorschläge diese böse Fee des Karstes zu verjagen oder ihr Wüthen abzuschwächen, wirklichen Erfolg haben können, wird der Leser nach dem Vorausgegangenen selbst zu beurtheilen im Stande sein. Da die Bora keine blos locale Erscheinung ist, sondern dem allgemeinen Windsystem unseres Erdtheils angehört und ihre locale Heftigkeit durch den mächtigen Gebirgswall bedingt wird, der ihr Gebiet im Norden umgiebt, so kann wohl selbstverständlich von Versuchen, sie ganz aus demselben zu vertreiben, nicht die Rede sein und diese können sich einzig nur darauf beschränken, ihre locale Heftigkeit theilweise zu mäßigen. Die Wiederbewaldung des Karstes wird als das dazu dienende Mittel häufig in Vorschlag gebracht. Die jetzt so dürren, wasserlosen Einöden sollen ja einmal die schönsten Forste getragen und daraus die Venetianer ihr Schiffsbauholz bezogen haben, aber dabei freilich zu schonungs- und vorsichtslos vorgegangen und so die Veranlassung der kläglichen Verwüstung dieser Erdstriche gewesen sein. Es ist uns nicht bekannt, ob dies überhaupt urkundlich nachgewiesen oder auch nur untersucht worden ist; einigermaßen zweifelhaft schien es uns aber immer, ob bei der durchweg sehr steilen, häufig senkrechten Stellung der Kalkschichten so viel Feuchtigkeit und Humus sich erhalten und bilden konnte, als zur Bildung eines Waldbodens vorausgesetzt werden muß; doppelt zweifelhaft und schwierig aber ist sicherlich das Unternehmen jetzt, wo der Ansiedlung fruchtbarer Erde auch die Wut unserer Bora so oft und nachhaltig entgegenwirkt. Wenn es aber gelingt, hier wieder Waldbestände dauernd zu erhalten, so werden sie nicht nur die Macht des Sturmes ein wenig mäßigen, jedenfalls Schutz dagegen gewähren, sondern überhaupt die klimatischen Bedingungen günstig modificiren und unter ihrem Schutz mannigfacher Cultur wieder eine bleibende Stätte geben. Dann wird man einmal schauerliche Sagen und Märchen zu erzählen wissen von dem einstigen Wüthen der bösen Fee des Karstes.




Thier-Charaktere.
12.   Unser Spatz.

Das Alltägliche ist nicht immer das am meisten und genauesten Gekannte. Gerade weil es alltäglich ist, sieht man gleichgültig drüber weg und lenkt Beobachtung und Forschung von ihm ab. Nichts ist aber für die Wissenschaft gefährlicher, als wenn das Naheliegende, das Heimathgebiet geringschätzig betrachtet und nur in der Fremde das Wissenswerthe gesucht wird. Die Natur ist so reich und die Züge ihrer Gebilde sind so mannigfaltig verzweigt, daß der Forscher in seiner Nähe fortwährend Beschäftigung findet, vorausgesetzt, daß seine Untersuchungen gründlich sind. Auch der gemeinste Vogel, unser Haussperling, verdient noch immer unsere Aufmerksamkeit, und dies um so gründlicher, weil unseres Vogels Charakter ebenso beachtenswerthe Seiten zur Betrachtung bietet, als die wahre Kenntniß seines sehr verschieden beurtheilten Thuns und Treibens dem Landmann und Gartenpfleger zum entschiedenen Vortheil gereicht.

Wir denken uns einen sonnigen Frühlingstag. Die Vögel fliegen emsig umher und feiern durch Gesang die himmlische Jahreszeit. Nur unser Sperling sitzt still am Rande des Lochs in der Lehmwand des Hauses oder in der Mauerspalte und stößt nur von Zeit zu Zeit sein eintöniges „Zwilch“ aus. „Zwilch!“ ruft dieser Schelm und lenkt dabei unsere Aufmerksamkeit auf sein dem schmutzig-grauen Zwilchkleide ähnliches Gefieder, das im Allgemeinen zu seiner Seele paßt. Säuberlich gehalten, ist ja Zwilch ein leichter, bequemer Stoff, der unsere wackeren Turner recht artig kleidet. Aber dieser Leichtfertige hält sein Kleid nicht rein, und wenn er es wäscht, so sucht er dazu häufig eine schmutzige Pfütze aus und wälzt sich noch obendrein im Staube des Wegs. Eben kommt ein Nachbar Seinesgleichen ihm nahe, sofort fährt er unfriedlich auf ihn los und jagt ihn unter boshaftem Gezänke weg. Seine Ruhe will er haben. Streift eine Schwalbe im Fluge dicht an ihm her, so beißt er in die Luft und schimpft, bei aufgerichteten Kopffedern sich schüttelnd, hinter ihr drein mit herrischem „Rrr“. Siehe, da gerathen unten auf der Straße zwei Hähne hart aneinander. Prasselnd prallt Brust an Brust, Flügel an Flügel, und eine Feder fliegt zur Seite. Eilig läßt sich der lauernde Sperling nieder und trägt die Feder im Triumph seinem Neste zu. Der feige, aber schlaue Politiker, er hat sein Vergnügen daran, wenn Andere sich herumbalgen und zerfetzen, und sieht dabei zu, als ob er dächte. „Ja, ich bin klug und weise; denn ich mische mich nicht in Eure Händel, nehme aber, was ich bekommen kann.“

Und in der That, er nimmt auch zu seinem Neste, was er bekommen kann, Stoffe ohne Auswahl, die er im bunten Durcheinander in einer Höhlung oder in einem Winkelchen unserer Wohnungen zusammengeschichtet, ohne allen Kunstsinn, leichtfertig, lüderlich, so daß Strohhalme von Meterlänge seine Familienwohnung oft verrathen. Aber seine Vielseitigkeit läßt ihn bei der Wahl des Nistortes in manchen Gegenden mit dem edlen Geschlecht der Finken rivalisiren, neben deren Kunstbauten natürlich sein Massenbau auf dem Apfel- oder Birnbaum sich ausnimmt wie die alte Bauernscheune neben dem Hause des feinen Salonherrn oder wie das Lumpengewand neben der geschmackvollsten Toilette einer Balldame. Nicht selten tritt er sogar als Concurrent unserer Spechte auf, indem er in die Lehmwand des Hauses tiefgehende Höhlungen zimmert, um sich Nist- und Schlafstätten zu bereiten. So überraschte mich eines Morgens der Kopf eines Sperlingsmännchens in meinem Schlafzimmer, nachdem es von außen bis zur Tapete zimmernd vorgedrungen war und diese mit einem Schnabelhiebe ebenfalls durchbrochen hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_828.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)