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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)


No. 1.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Es werde Licht!
Neujahrsgruß von Albert Traeger.


Fern liegt noch die mit ew’gem Frieden
Gebenedeite Gnadenzeit,
Schroff sind die Lager noch geschieden,
Das neue Jahr bringt neuen Streit,

5
Schaut grüßend unser Banner wehen,

Das mancher Kranz schon stolz umflicht,
Und hört es durch die Reihen gehen,
Wie Eidschwur und Gebetesflehen:
               Es werde Licht!

10
Dem schwarzen Troß der Lügengeister

Sei Schonung länger nicht gewährt!
Es ward ihr Frevel immer dreister,
Von feiger Langmuth groß genährt.
Führt alle Fälscher vor die Schranken,

15
Die Wahrheit sitze zu Gericht!

Des Aberglaubens Tempel wanken –
Macht frei den stürmenden Gedanken,
               Es werde Licht!

Macht Alles frei, was Wehr und Waffen

20
Im großen Kampf der Menschheit trägt!

Es gilt ein streitbar Heer zu schaffen,
Die Stunde der Entscheidung schlägt;
Das Wort, das auf des Geistes Schwingen,
Schon längst im Vordertreffen ficht,

25
Soll endlich uns der Sieg gelingen,

Laßt es den Fesseln sich entringen:
               Es werde Licht!

Und wieder steht zu kühnem Wagen
Das Volk geschaart in heißem Drang,

30
Das alle Feinde noch geschlagen

Und nie des Kampfes Preis errang.
Des letzten, schönsten Sieges Krone
Entwinde der Verrath ihm nicht!
Erlöst aus dieser Knechtschaft Frohne,

35
Nimmt es die Freiheit sich zum Lohne –

               Es werde Licht!

In solchem Sinne aufgerichtet,
Das deutsche Reich auf Felsen steht,
Wenn es den finstern Spuk vernichtet,

40
Und frei voran den Freien geht.

Frei lass’ es den Gedanken walten,
Der sonnengleich die Nacht durchbricht –
Dann wird’s der Zukunft Schlüssel halten
Und neu die alte Welt gestalten.

45
               Es werde Licht!



Die zweite Frau.
Von E. Marlitt.


1.


Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungeberdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des krystallenen Aethers; mißmuthig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurrah so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.

Am linken Ufer des Teiches lag ein Fischerdörfchen – acht zerstreut umherstehende Häuser, beschattet von vielhundertjährigen Linden, und so niedrig, daß die Strohdächer gerade zwischen den unteren Baumästen auftauchten. Mit ihren Hamen und Netzen an den Wänden, den schmalen Holzbänkchen neben der Thür, und an der Südseite flankirt von Weißdorn und Heckenrosen, hoben sie sich zierlich vom weißen Uferrande. An wuchtige ostfriesische Fischergestalten durfte man dabei freilich nicht denken, auch war es gut, daß der ungeheure Park mit seinen beträchtlichen Waldstrecken die dahinter liegende Residenz vollkommen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_001.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)