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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

verdeckte – man glaubte an ländliches Leben und Treiben, bis – eine der schmalen Hausthüren aufging.

Hätte der deutsche Fürst gewußt, daß das harmlose Klein-Trianon der glänzenden Königin von Frankreich schließlich den Kopf kosten sollte, so wäre das Fischerdörfchen sicher nie gebaut worden; aber er war nicht prophetischen Geistes gewesen, und so stand die anmuthige Nachbildung seit beinahe hundert Jahren am Parkteich – die primitivste Idylle von außen, und im Innern das verwöhnteste Menschenkind umschmeichelnd. Der Fuß, an dem der Uferkies hing, trat direct auf schwellende Teppiche; dicke Seidenstoffe glänzten auf den Polstermöbeln und drapirten die Wände, da und dort unter breiten Spiegelflächen verschwindend. Wenn draußen auch bis zur glücklichen Täuschung mit Armuth und Einfachheit coquettirt wurde, an weißgescheuerten Tischen konnte man doch nicht essen, noch weniger aber auf harten Holzbänken vom süßen Spiel ausruhen.

Das Fürstenhaus, dessen einem Sproß das Fischerdörfchen sein Dasein verdankte, hielt seit alten Zeiten fest an dem Brauch, nach welchem jeder Thronerbe in seinem achten Lebensjahre eine Linde pflanzen mußte. Der Wiesengrund am linken Teichufer, das Maienfest genannt, war so zu einer historischen Merkwürdigkeit, zu einer Art Ahnentafel geworden. Selten war wohl einer der gefürsteten Bäume eingegangen – das Maienfest hatte wahre Prachtexemplare aufzuweisen; uralte Recken im eisgrauen Panzer, hielten sie den mächtigen grünen Schild himmelstürmend empor und schützten die Nachgekommenen und die Schwächlinge, denn die waren auch da, trotz der empfangenen Weihe – die Natur läßt sich eben kein Wappen aufnöthigen.

Heute, im Monat Mai, war der wichtige Act für den Erbprinzen Friedrich gekommen. Selbstverständlich feierten der Hof und die loyale Residenz den Tag in der durch das alte Hausgesetz vorgeschriebenen Weise. Sämmtliche Kinder der Hoffähigen waren eingeladen; die minder Glücklichen aber, die über keine fünf- und siebenzinkige Krone zu verfügen hatten, fuhren mit ihren Eltern hinaus, zuzusehen, wie ein wirklicher Prinz den Spaten handhabe. Hinter der Wagenburg trieb sich eine Menge Volks auf Weg und Steg herum, und die wilde Jugend hockte auf den Bäumen, unbestritten den vortheilhaftesten Observationsposten.

Das Fest war auch ein zwiefaches. Vor achtzehn Monaten war der Vater des Erbprinzen, der Landesherr, gestorben, und mit dem heutigen Tage erst hatte die schöne Herzogin-Wittwe die ungewöhnlich lange festgehaltene tiefe Trauer abgelegt.

Dort stand sie, neben dem bereits gepflanzten Lindenstämmchen. Nicht einen Augenblick blieb man im Zweifel, daß sie die Höchstgebietende sei. Sie war schneeweiß gekleidet; nur im Gürtel hing ihr eine blasse Heckenrose, und von dem rothen Futter des kleinen Sonnenschirms, mit welchem sie das unbedeckte Haupt beschattete, fiel ein leichter Rosaschein über das Gesicht, über ein feines, sehr kurzes Näschen und üppig geschwungene, wenn auch nur schwach gefärbte Lippen. Die auffallend unregelmäßigen Linien unter mähnenartig sich aufbäumendem schwarzem Haar, der Schatten, der sich zart bläulich um die Augen legte, und jener wachsweiße, unbelebte Teint, bei welchem wir gleichwohl unwillkürlich an große innere Leidenschaftlichkeit denken müssen, verliehen dem Gesicht den Typus der spanischen Creolin, wenn auch sicher nicht ein Tropfen Blutes jener Race durch die Adern der deutschen Fürstin lief.

Sie verfolgte den kreisenden Reiher mit derselben Aufmerksamkeit, wie die Kinderschaar, die bei seinem Verschwinden in das jubelnde Hurrah ausbrach.

„Du hast wieder nicht mitgeschrieen, Gabriel,“ sagte zornig ein kleiner Knabe zu einem größeren, neben ihm stehenden, dessen einfacher, weißer Leinenanzug inmitten der elegant gekleideten Kinder seltsam auffiel.

Der Angeredete schwieg und seine Augen suchten den Boden; das versetzte den Kleinen in Wuth.

„Schämst Du Dich denn gar nicht vor den Anderen, elender Junge? … Auf der Stelle schreist Du Hurrah! Wir rufen auch mit!“ befahl und ermuthigte er zugleich.

Der weißgekleidete Knabe wandte angstvoll das Gesicht weg. Er machte Miene, seinen Platz zu verlassen – da hob der Kleine blitzschnell seine Gerte und schlug ihn in das Gesicht.

Die Kinder stoben auseinander – einen Augenblick stand die kleine zornbebende Gestalt allein – ein ideal-schönes Kind in elegantem grünem Sammetanzuge, mit prächtigen braunen Locken, ein Bild der Kraft und Vornehmheit; der Erbprinz und sein Bruder sammt ihrem kindlichen Gefolge konnten sich mit ihm nicht messen.

Seine Erzieherin kam bleich und erschrocken herbei; aber schon hatte die Herzogin die kleine geballte Hand ergriffen.

„Das war nicht hübsch, Leo,“ sagte sie; allein in ihrer Stimme klang kein strafendes Zürnen mit, weit eher eine tiefe Zärtlichkeit.

Der Kleine riß seine Hand ungestüm aus den sammetweichen, schmeichelnden Fingern, mit einem scheuen Seitenblicke nach dem Gezüchtigten, der sich eben entfernte, drehte er sich auf dem Absatze herum. „Ach was,“ grollte er, „es geschieht ihm ganz recht! Papa kann ihn auch nicht leiden – er sagt immer: ‚Diese Memme erschrickt vor ihrer eigenen Stimme.‘“

„Wohl, mein kleiner Trotzkopf; weshalb aber bestehst Du dann darauf, daß dieser Gabriel Dich stets begleite?“ fragte lächelnd die Herzogin.

„Weil – nun, weil ich’s eben so haben will.“

Mit diesen trotzigen Worten warf er seinen Lockenkopf zurück, wandte der Gesellschaft den Rücken, als existire sie nicht, und verschwand hinter einem der Häuser. Auf weitem Umwege suchte er die dickstämmige Linde zu erreichen, hinter welche sich der Geschlagene zurückgezogen hatte.

Einsam lehnte die weiße Gestalt an dem Baume. Es war ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren, ein tiefmelancholisches Gesicht über feingebauten, geschmeidigen, aber wenig muskelstarken Gliedern. Er hatte sein Taschentuch in das Teichwasser getaucht und drückte es kühlend gegen die linke Wange, während seine zarten Lippen nervös aufzuckten, vielleicht weniger unter dem Schmerze, den ihm der Schlag verursacht, als in Folge der innern Aufregung.

Der kleine Leo umkreiste ihn mehrere Male, wobei er mit seiner Gerte wild in der Luft fuchtelte.

„Thut es sehr weh?“ fragte er plötzlich hart und kurz mit finster gefalteten Brauen und stampfte den kleinen kräftigen Fuß auf. Gabriel hatte das Tuch weggenommen, um es abermals in das Wasser zu tauchen – ein feurig rother, quer über die Wange laufender Striemen war sichtbar geworden.

„Ach nein,“ antwortete der Knabe mit sanfter, unbeschreiblich wohllautender Stimme, „es brennt nur noch ein wenig.“

Im Nu flog die Gerte auf den Boden; mit einem herzzerreißenden Aufschrei schlang der Kleine seine Arme um den Geschlagenen – man hörte seine Zähne aneinanderknirschen.

„Ich bin ein zu schlechter Junge!“ stieß er hervor. „Dort liegt meine Gerte, Gabriel; nimm sie und schlage mich auch!“

Die anderen Kinder begafften mit offenem Munde diesen unvorhergesehenen Ausbruch einer tiefen, schmerzlichen Reue. Auch die Herzogin stand in der Nähe; eine seltsame Empfindung mochte sie überwältigen – wie hingerissen zog sie ungestüm das Kind an ihr Herz und bedeckte sein schönes Gesicht mit Küssen.

„Raoul!“ flüsterte sie – wie ein Hauch kam der Name von ihren Lippen.

„Ach, dummes Zeug!“ murrte der Kleine, derb und kräftig sich loswindend. „Raoul heißt ja mein Papa!“

Die marmorweißen Wangen der fürstlichen Frau errötheten in tiefer Gluth; sie fuhr empor und blieb einen Moment unbeweglich stehen; dann wandte sie langsam den Kopf und warf einen scheuen, unsichern Blick hinter sich – die Damen, die nahe gestanden, waren unter der Thür des nächsten Häuschens verschwunden.




2.


Von der Residenz her rollte eine Hofequipage; ein Herr saß im Fond, und neben ihm auf dem blauen Seidenpolster lagen die Utensilien zum Croquetspiel. Eben bog der Wagen in die Fahrstraße ein, die am Teiche hinlief, als ein Fußgänger aus dem Dämmerdunkel eines Gehölzes trat. Der Herr im Wagen ließ sofort halten.

„Grüß Gott, Mainau!“ rief er hinüber. „Na, das nimm mir nicht übel; man hofft mit Schmerzen auf Dich, und da kommst Du flaniren auf dem größtmöglichsten Umwege! … Die Linde steht längst – hast dem Hause Mainau die stolze Tradition verwirkt, daß Deine Hand es war, die den Stamm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_002.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)