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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

umspannte, während Friedrich der Einundzwanzigste Erde auf die Wurzeln schaufelte.“

„Man wird dereinst einen Trauerflor über mein Bild hängen müssen.“

Der Herr im Wagen lachte; er öffnete behende mit einer einladenden Handbewegung den Schlag.

„Plagt Dich der Teufel, Rüdiger – im Fond?“ wehrte der Andere in komischer Entrüstung, „Gott sei Dank, noch weicht mir das Zipperlein aus! … Fahre weiter im stolzen Bewußtsein Deiner Mission – hast das vergessene Croquetspiel holen müssen? Beneidenswerther!“

Der Herr sprang auf den Boden, warf den Schlag zu, und während der Wagen weiter fuhr, schlugen die Beiden den Fußpfad ein, der durch Buschwerk nach dem Fischerdörfchen lief. … Sie sahen seltsam nebeneinander aus – der im Wagen Gekommene klein, beweglich und sehr wohlbeleibt, und sein Begleiter so hoch von Gestalt, daß sein Haupt häufig dem untern Baumgeäst ausweichen mußte. Der Mann hatte etwas überraschend Blendendes in seiner Erscheinung, in dem ausdrucksvollen Kopf und in allen Geberden jenes dämonenhaft wirkende Feuer, das eben als sanfte Gluth fast elegisch dem Auge entströmt und im nächsten Augenblicke die schlanke, scheinbar weiche Hand zur Faust ballt, um einen verhaßten Gegner zu Boden zu schlagen. Der kleine jähzornige Knabe drüben beim Fischerdörfchen glich ihm Zug um Zug, fast bis zur Lächerlichkeit.

„Gehen wir denn!“ sagte Herr von Rüdiger. „Zum Diner kommen wir leider heute nie spät genug. … Brr – Kinderbrei und Puddings in allen erdenklichen Auflagen! … Eine Strafpredigt brauche ich auch nicht zu fürchten, ich bringe Dich ja mit. … Apropos, Du warst für zwei Tage verreist, wie Dein Leo der Herzogin sagte?“

„Ich war verreist, Verehrtester.“

Diese lakonische Bestätigung klang zu ironisch und abfertigend für den kleinen Beweglichen – das „Wohin“ blieb ihm hinter den Lippen sitzen. … Sie kamen eben an einer Stelle vorüber, wo das Dickicht auseinanderriß und einen Ausblick über den Teich hin gewährte. Man übersah das ganze Dörfchen. Unter den Linden standen weißgedeckte Tafeln; zwischen diesen und einem der Häuser, durch dessen Thür man den fürstlichen Koch in weißer Mütze am Herd beschäftigt sah, liefen Lakaien hin und her – das Diner war in Vorbereitung. Die aufregende Scene, die der kleine Leo veranlaßt, war längst vergessen, man spielte; Alles, was laufen konnte, spielte mit – graciöse Hofdamen und schlanke Kammerjunker, aber auch alle Cavaliere mit steifen Beinen, ja selbst die dicke, asthmatische Oberhofmeisterexcellenz watschelte händeklatschend durch den Kindertumult.

Die Herzogin war so nahe an das seichte Teichufer getreten, daß man meinte, das Wasser spiele an ihre Füße heran. Wie ein Schwanengefieder schwamm ihr weißes Spiegelbild in der klaren Fluth. Einige junge Damen hatten ihr einen Kranz von Waldreben und Blumenglocken gebracht; er lag über ihrer Stirn und ließ lange, grüngefiederte Ranken über die schöne Büste und den Nacken hinab hängen.

„Ophelia!“ rief Baron Mainau halblaut mit einer pathetischen Geberde – ein unbeschreiblicher Sarkasmus lag in seiner Stimme.

Sein Begleiter fuhr herum. „Nun bitte ich mir’s aber aus – das ist doch wieder einmal die reine Komödie, Mainau!“ rief er ganz empört. „Das verfängt wohl bei den Damen, die wie die Lämmer vor Dir zittern, bei mir aber nicht.“ Er steckte die Hände in die Seitentaschen seines leichten Ueberziehers, zog die Schultern in die Höhe und begann verschmitzt lächelnd: „Es war einmal eine wunderschöne, aber arme Prinzessin und ein glänzender, junger Cavalier. Die Beiden liebten sich, und die Prinzessin wollte die Durchlaucht an den Nagel hängen und eine Frau Baronin werden –“ einen Moment hielt er inne, und sein schelmischer Seitenblick streifte den Begleiter; er sah aber nicht, wie der schöne Mann erblaßte, wie er mit zusammengebissenen Zähnen so glühend in das Dickicht starrte, als solle das junge Laub versengen. Er fuhr harmlos fort: „Da kam der Vetter der Prinzessin, der Regierende, und begehrte ihre schöne Hand. Die schönen, schwarzen Augen vergossen bittere Thränen, schließlich siegte aber doch das stolze Fürstenblut über die Liebesleidenschaft, und die Prinzessin ließ es geschehen, daß man ihr die Herzogskrone auf die prächtigen, dunklen Locken setzte. … Hand auf’s Herz, Mainau,“ unterbrach er sich lebhaft, „wer mochte ihr das damals verdenken? Höchstens die Sentimentalen!“

Mainau legte die Hand nicht auf’s Herz, er erwiderte auch nichts – zornig knickte er einen jungen Zweig ab, der so keck gewesen war, seine Wange zu berühren, und schleuderte ihn von sich.

„Wie mag ihr heute das Herz klopfen!“ sagte Rüdiger nach einer kurzen Pause – er wollte sichtlich das interessante Thema um keinen Preis fallen lassen. „Die Wittwentrauer ist zu Ende; dem Fürstenstolz ist genügt für alle Zeiten, denn die Herzogin ist und bleibt die Mutter des Regierenden – Du bist auch Deiner Ehefesseln ledig. Alles fügt sich wundervoll … und jetzt willst Du mir weismachen – na, wer’s glaubt! … Wir wissen, was sich heute ereignen wird –“

„Schlauköpfe, die Ihr seid!“ sagte Baron Mainau mit verstellter Bewunderung. Bei diesen Worten traten sie hinaus auf den freien Platz, wo die Wagen standen. Sie geriethen zwischen das Menschengetümmel und hielten sich deshalb mehr auf dem schmalen Uferweg.

„He, Bursche, bist Du toll?“ rief Mainau plötzlich und nahm einen halbwüchsigen, kräftigen Betteljungen, der in höchst gefährlicher Position auf einem über dem Wasserspiegel schwankenden Ast schaukelte, beim Kragen; er schüttelte ihn einige Mal tüchtig wie einen nassen Pudel und stellte ihn auf die Füße. „Eine kleine Wäsche könnte Deinem Pelz nicht schaden, mein Junge,“ lachte er und klopfte seine sauber behandschuhten Hände gegeneinander, „ich bezweifle aber, daß Du schwimmen kannst.“

„Pfui, er war sehr schmutzig, der Bengel!“ sagte Rüdiger sich schüttelnd.

„Das war er. Ich kann Dir auch versichern, daß ich mich auf dergleichen Berührungen durchaus nicht capricire – das sind so rasche, plebejische Sünden der Hand, um welche die Seele nicht weiß. – Ja, da hast Du’s nun wieder – wir haben noch manchen Schritt bis zu jenem erhabenen Moment, wo auch unsere Körpermasse so aristokratisch durchdrungen ist, daß ihr ein solcher Mißgriff unmöglich wird – wie? Meinst Du nicht?“

Rüdiger wandte sich ärgerlich ab; er beschleunigte aber auch zugleich seine Schritte. „Deine Heldenthat ist drüben auf dem Maienfest gesehen worden,“ sagte er hastig. „Vorwärts, Mainau! Die Herzogin verläßt ihren Platz. … Und da kommt auch schon Dein wilder Junge!“

Der kleine Leo umrannte den Teich und lief stürmisch auf den Papa zu. Baron Mainau bog sich einen Augenblick liebkosend über sein Kind und nahm weiterschreitend die kleine Hand in seine Linke.

Während man auf dem Maienfest weiterspielte, kam die Herzogin, von mehreren Herren und Damen des Hofes begleitet, langsam wandelnd daher. … Sie hatte auch den schwebenden Gang, die unnachahmlich graciöse Geschmeidigkeit der Creolin. … Ja, die schwere, düstere Wittwentracht war abgestreift, wie die häßliche Puppe von dem hellbeschwingten Schmetterling. Dem Anstand, der Convenienz war genügt worden bis auf die äußersten Anforderungen – nun endlich durfte auch das Glück kommen, nun durften die Flammen der Leidenschaft rückhaltslos aus den Augen brechen, wie in diesem Moment.

„Ich muß schelten, Baron Mainau,“ sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. „Sie haben mich eben sehr erschreckt durch Ihre rettende That und dann – kommen Sie doch allzu spät.“

Er hielt den Hut in der Rechten und verbeugte sich tief. Der Sonnenschein spielte über den braungelockten, räthselvollen Kopf hin, vor welchem die Damen „wie die Lämmer“ zitterten.

„Ich würde mit Freund Rüdiger versichern, daß ich sehr unglücklich sei,“ versetzte er, „allein Eure Hoheit werden mir das sicher nicht mehr glauben, wenn ich sage, wo ich mich verspätet habe.“

Die Herzogin richtete ihre Augen groß und befremdet auf sein Gesicht – es war ein wenig bleich geworden, aber sein Blick, dieser selten zu ergründende Blick funkelte ihr in einer Art von wildem Triumph entgegen. Ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen – die kleine, blasse Rose im Gürtel knickte ab und fiel unbemerkt zu den Füßen des schönen Mannes.

Er wartete umsonst auf eine Frage der fürstlichen Frau – sie schwieg, wie es schien, in athemloser Erwartung. Mit einem ehrerbietigen Kopfneigen fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort: „Ich war in Rudisdorf bei meiner Tante Trachenberg und erlaube mir, Euer Hoheit anzuzeigen, daß ich mich daselbst mit Juliane Gräfin von Trachenberg verlobt habe.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)