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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ordnung, der großen Hitze des Tages und der Flucht Einzelner, wie auch der Tapferkeit und dem Ungestüm der Schweizer zu. Dabei ist nicht zu vergessen, daß die österreichischen Chronisten kein Interesse hatten, die That Winkelried’s zu verschweigen; im Gegentheil, es war ehrenvoller für Oesterreich und ungünstiger für die Schweiz, wenn die Niederlage durch die unvermuthete That eines Einzelnen, als wenn sie durch die Tapferkeit der Schweizer als Volk und durch die schlechte Haltung der Oesterreicher herbeigeführt wurde.

Wir kommen zu den schweizerischen Schlachtberichten. Der älteste schweizerische Chronist seit der Schlacht bei Sempach, ein Zeitgenosse derselben, der Stadtschreiber Justinger von Bern, erzählt das Ereigniß sehr kurz. Beide Theile stießen aufeinander, die Eidgenossen in Form eines Keils, und letztere siegten, wie der Berichterstatter fromm sagt, durch Gottes Hülfe. Von Winkelried und seiner That geschieht nicht die leiseste Andeutung, ja nicht einmal vom Lanzenwalle der Ritter. Ausführlicher ist der Bericht, welchen zwei Züricher Chroniken von der Schlacht geben. Die eine derselben nun enthält einen Zug, welchen man für die älteste Spur von Winkelried’s That hält. Sie sagt: Nachdem die Eidgenossen anfangs großen Schaden erlitten, half Gott ihnen zum Siege. Das hatte man einem getreuen Mann unter den Eidgenossen zu verdanken; da dieser sah, daß es seinen Landsleuten so übel ging und die Herren mit ihren Lanzen und Spießen überall die Vordersten niederstachen, bevor die Schweizer sie mit ihren Hellebarden erreichen konnten, da drang der ehrbare fromme Mann vor und erfaßte so viel Spieße, als er ergreifen konnte, und drückte sie nieder, so daß die Eidgenossen nun vordringen konnten. Und freudig rief er aus: „Sie fliehen Alle da hinten!“ Und da wurden viele Grafen, Ritter und Knechte erschlagen, und die Schweizer behaupteten das Feld.

Die andere, gleichzeitige und sonst mit der erwähnten übereinstimmende und aus gleicher Quelle schöpfende Züricher Chronik hat diesen Zug nicht. Was nun den letzteren betrifft, so ist nicht außer Acht zu lassen, daß weder der Name des tapfern Eidgenossen, welcher die Speere faßte, noch sein Tod gemeldet wird. Daß er nach erfochtenem Sieg sich über die Flucht der Feinde freut, spricht gegen sein Unterliegen; wäre er gestorben, so hätte es der Chronist sicherlich auch erwähnt. Da nun aber der Zug auf höchst ungeschickte Weise in die Erzählung verflochten ist, indem er erst erwähnt wird, nachdem bereits gesagt worden, daß die Schweizer gesiegt hätten und Leopold mit vielen Herren gefallen sei, so charakterisirt er sich als eine spätere Einschiebung. Die Abschrift, in welcher er enthalten ist, datirt aus dem Jahre 1476, die Abfassung der Chronik von 1466, also immerhin achtzig Jahre nach der Schlacht – eine Frist, nach welcher die Berichterstatter nicht mehr als Zeitgenossen gelten können, und innerhalb welcher eine Sagenbildung durch Gerüchte und Wiederholungen solcher leicht möglich ist. Auch ohne dies wäre ein Mann ohne Namen, welcher durch seine That den Sieg herbeiführt, ohne dabei den Tod zu erleiden, noch lange kein Winkelried. Nicht nur der Name, sondern die That selbst war aber noch dem Luzerner Chronisten Melchior Ruß unbekannt, welcher volle hundert Jahre nach der Schlacht sein Jahrbuch schrieb und darin, ganz Justingern nacherzählend, nicht ein Wort von Winkelried und seiner That sagt. Er fügt sogar der kurzen Darstellung des Berners anekdotenhafte Züge bei, z. B. die Oesterreicher hätten zwei Wagen voll Stricke mit sich geführt, um die Eidgenossen daran aufzuhängen, und die Ritter hätten sich die Schuhschnäbel abgehauen, um besser zu Fuß kämpfen zu können; sollte er da Winkelried’s That vergessen oder verschwiegen haben? Er wußte also nichts davon.

Derselbe Geschichtschreiber Ruß fügt seiner Erzählung auch ein Lied über die Sempacher Schlacht bei, in welchem ebensowenig von Winkelried die Rede ist, als in seiner Prosa, obschon es fünfzehn Strophen zählt, eine Menge Einzelheiten und Namen Kämpfender und Gefallener erwähnt und nach des Chronisten Aussage unmittelbar nach der Schlacht entstand. Dieses Lied nun ist beinahe ganz in ein anderes größeres von siebenundsechszig Strophen aufgenommen, welches die älteste Quelle bildet, die Winkelried’s That unter seinem Namen meldet, das heißt blos unter seinem Familien- ohne seinen Vornamen. Die letzte Strophe schreibt es einem Luzerner, Namens Halbsuter, zu, welcher es gedichtet habe, als er aus der Schlacht gekommen sei. Die historische Kritik hat aber nachgewiesen, daß dasselbe vor dem dritten Jahrzehnt des sechszehnten Jahrhunderts unbekannt war, die Behauptung der letzten Strophe also unwahr ist, was übrigens schon daraus hervorgeht, daß Ruß nur das kleinere Gedicht kennt. Ja, es ist durch Ottokar Lorenz unzweifelhaft bewiesen, daß das größere Lied aus drei Gedichten zusammengesetzt ist, aus dem kleinern und zwei anderen. Vor dem sechszehnten Jahrhundert wird demnach Winkelried’s Name nicht genannt, und in demselben war es nun, daß der Geschichtschreiber Aegidius Tschudi, dem wir auch die letzte Redaction der Tellsage verdanken, die Geschichte von Winkelried in diejenige der Schlacht bei Sempach einfügte und seinem Helden den Vornamen Arnold gab.

Wie bildete sich nun aber die Erzählung von Winkelried’s Namen und That aus? So wird der Leser mit Recht fragen. Wir wollen darauf zu antworten suchen.

Die That, wie sie das größere Sempacherlied und Tschudi von Winkelried erzählen, kommt in der schweizerischen Geschichte öfter vor. Der älteste schweizerische Chronist, Johannes von Winterthur, erzählt die That zweimal in Bezug auf sonst unbedeutende Schlachten, in den Jahren 1271 und 1332, jedesmal von Kriegern der Habsburger im Kampfe gegen Bern, und der Nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer, welcher bekanntlich den sogenannten Schwabenkrieg Kaiser Maximilian’s gegen die Schweizer mitmachte, schreibt eine ähnliche That dem Heini Wolleb bei Frastenz (1499) zu, welcher Letztere sich allerdings, aber auf andere Weise, aufgeopfert hat. Solcher Züge häufiges Vorkommen ist aber gerade ein verdächtiger Umstand bezüglich ihrer Wahrscheinlichkeit, und sie haben daher etwas von der Eigenthümlichkeit der Mythe an sich; kommt ja in derselben die Selbstaufopferung auch ohne Krieg sehr häufig vor, ohne daß wir an einzelne Fälle zu erinnern nöthig hätten.

Wir kommen nun zum Namen Winkelried. So schlimm es in historischer Beziehung um die Existenz einer Familie Tell steht, so günstig verhält es sich mit derjenigen des Hauses Winkelried von Stans in Unterwalden. Die Winkelriede sind durch Urkunden seit alter Zeit wohl ausgewiesen. Der Aelteste des Geschlechtes, von dem wir wissen, war Ritter Rudolf von Winkelried im Jahre 1248, ein eifriger Anhänger des viel angefeindeten Kaisers Friedrich des Zweiten vom Hause Staufen. In den Jahren 1275 bis 1303 erscheint wiederholt Ritter Heinrich von Winkelried, genannt Schrutan, ein Lehenmann Graf Rudolf’s von Habsburg-Laufenburg.

Dieser Schrutan ist es aber, von welchem Tschudi seine erste auf die Winkelriede bezügliche Sage erzählt. Tschudi meldet nämlich in vollem Ernste: im Jahre 1250 habe ein großer Drache das Land Unterwalden verwüstet, und keine bewaffneten Maßregeln hätten etwas gegen ihn ausgerichtet. Da habe sich Herr Struth von Winkelried, der wegen eines Todtschlages verbannt gewesen, anerboten, den Drachen zu bekämpfen, wenn man ihm die Rückkehr in’s Vaterland erlaube. Es geschah so; er tödtete das Ungeheuer mit seinem von Dornen umwundenen Speere und mit dem Schwerte. Als er aber letzteres emporhob, träufelte ihm das Gift des Drachen auf den Leib, so daß er sterben mußte.

Man sieht klar, daß diese Geschichte rein mythisch ist. Struth Winkelried ist die Unterwaldener Variation von Hercules, Siegfried, St. Georg und Anderen, das heißt ein menschgewordener Gott, der den Drachen der Nacht tödtet, aber selbst wieder untergehen muß. Diese Erzählung Tschudi’s vom ältern Winkelried wirft daher ein höchst ungünstiges Licht auf die Wahrheit seiner spätern von Winkelried dem Jüngern bei Sempach.

Als Zeitgenossen der Tellsage und der Schlacht am Morgarten erscheinen (1309 bis 1325) Rudolf und Walther von Winkelried, 1363 Wilhelm von Winkelried und so noch Mehrere dieses Namens, ohne daß ihre Verwandtschaft unter sich bekannt wäre, bis wir endlich 1367 auf einen Zeugen, Namens Erni (Arnold) Winkelried stoßen und 1389 abermals auf einen Erni von Winkelried. Einer dieser beiden Erni ist entweder der von Sempach, dessen Schlacht zwischen jene beiden Jahre fällt, oder sie sind Einer und Derselbe, – dann wäre aber bei Sempach kein Winkelried gefallen, Tschudi führt allerdings seinen Arnold von Winkelried als den im Jahrzeitbuche von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_007.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)