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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Staus unter den gefallenen Unterwaldnern Erstgenannten auf; wann aber dieses nicht mehr vorhandene Jahrzeitbuch abgefaßt worden, ist nicht nachgewiesen.

Den Ersten und Einzigen der Winkelriede aber, welcher durch eidgenössische Berichte als Kriegsheld wohl ausgewiesen ist, lernen wir seit 1512 in Arnold von Winkelried kennen, welcher in jenen kriegerisch ruhmvollen, aber moralisch traurigen Zeiten, in denen die Eidgenossen zum Schaden ihrer guten Sitten als Herren Oberitaliens auftraten, eine hervorragende Rolle spielte. Wir finden ihn als Gardehauptmann der Schweizer bei Herzog Maximilian Sforza zu Mailand, als tapfersten Kämpfer in der Unglücksschlacht bei Marignano, wo die Franzosen den Kriegsruhm der Schweizer vernichteten, nach dem unseligen Bunde mit Frankreich aber – als französischen Söldner und Vorkämpfer bei Bicocca, wo er seinem alten Waffencameraden Georg von Frundsberg, dem bekannten deutschen Landsknechtführer, zurief: „Du alter Gesell, find’ ich Dich da? Du mußt von meiner Hand sterben.“ Aber nicht Frundsberg fiel, sondern Arnold Winkelried – einer besseren Sache würdig (1522).

Dieser letzte Winkelried (sein Sohn war der Letzte seines Stammes) war zu seiner Zeit so bekannt in der Schweiz, daß sich sein Name wohl an eine Gestalt knüpfen konnte, die sich gerade damals durch das größere Sempacherlied in den Gemüthern festsetzte.

Und nun unser Resultat? Es ist Thatsache, daß etwa anderthalbhundert Jahre nach der Schlacht bei Sempach die später erzählte That Arnold von Winkelried’s nicht bekannt war, die Schlacht aber allgemein so erzählt wurde, daß der Sieg der Schweizer derselben nicht bedurfte, sondern durch die Tapferkeit der Letzteren und die schlechte Disciplin der Oesterreicher hinlänglich erklärt wurde. Ob der zu derselben Zeit lebende Erni Winkelried in der Schlacht mitfocht oder gar darin fiel, kann bei dieser Sachlage leider nicht mehr von Belang sein. Auch muß daher zu unserem lebhaften Bedauern die That Winkelried’s, wie sie das große Lied und Tschudi erzählen, als eine nach und nach ausgebildete Sage betrachtet werden und der Held derselben als solcher dem Schicksale Tell’s anheimfallen. Dieses unerfreuliche Resultat hat aber weder für die Vaterlandsliebe, noch für den Ruhm der Schweizer irgendwelche nachtheilige Folgen. Unsere Vorfahren bleiben trotzalledem die Sieger von Sempach, ja der Ruhm verbreitet sich über alle Kämpfer, nachdem er bisher auf den Einen beschränkt war, der den Anderen erst die Bahn gebrochen.

Gleichviel aber, ob Sage oder Geschichte, ist der Umstand allein, daß ein solcher erhabener Zug in der Schweiz gedacht werden und Wurzel fassen konnte, ohne Frage schon ein Denkmal von der biderben und zugleich tiefpoetischen – ja sagen wir es gerade heraus, wie es ist –, echt deutschen Grundnatur unseres Volkes.

Dr. Otto Henne-Am Rhyn.     




Eine Weihe.


Ein Gespräch über Glaubenssachen mit Orthodoxen hatte von je großen Reiz für mich, vorausgesetzt natürlich, daß dieselben weder Heuchler, noch Flachköpfe, noch Fanatiker waren, sondern auch der Meinung Anderer Gerechtigkeit widerfahren ließen. Eine solche Unterhaltung hatte ich vor längerer Zeit mit dem Regierungsrath F., welcher ebenso strenggläubig und fromm wie geistvoll und duldsam war. Der Gegenstand des Gesprächs waren die Sacramente, die für mich altehrwürdige symbolische Bräuche sind, aber auch nichts weiter, und als solche auch für den Nichtgläubigen immerhin bestehen können, wenn nur Jedem die Kirche das Recht zu Theil werden läßt, sie nach seiner Auffassung zu nehmen; zum Beispiel das Abendmahl einfach als die schöne und rührende Feier zum Gedächtniß des Edelsten und Herrlichsten aller Menschen, die je für ihre sie erfüllende Idee ihr Leben hingaben; die Taufe, entkleidet aller alten Religionslehren, als den einfachen Act der Aufnahme in die christliche Gemeinde, welche vielleicht noch durch viel schönere und sinnvollere Symbole bezeichnet werden könnte.

Dieser Ansicht widersprach mein Gegner auf’s Heftigste. „Ja,“ rief er am Ende unserer Unterhaltung, „ihr Neuerer zerwühlt und zerspült nur den Boden der Glaubenslehren, zersetzt und zerfetzt nur die alten heiligen Dogmen. Ihr werdet sehen, wohin Das führt. Und verwerft ihr den Inhalt derselben, dann werft nur auch die leeren Formen hinterdrein als unnützen Ballast. Aber bald werdet ihr mit Schrecken sehen, welch formenloses Chaos und welch trostlose Oede euch umgiebt, und werdet jammernd euch zurücksehnen nach dem verlorenen Gute.“

„Für neuen Wein werden sich auch neue Schläuche finden lassen,“ erwiderte ich, „ein neuer Inhalt wird auch schon seine neuen entsprechenden Formen entwickeln und zwar in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit.“

Wir brachen das Gespräch ab, das schon hitzig zu werden anfing, und bei dem ja doch nichts weiter heraus kam, wie bei allen solchen Wortgefechten.

Heimgekehrt, fand ich einen Brief auf meinem Schreibtische mit dem Postzeichen „Jena“, der mir viel zu denken geben sollte. Er kam von meinem lieben Freunde und Wandergefährten, dem jungen Professor Häckel, dem berühmten Verfechter und Weiterbildner der Lehre Darwin’s, und lud mich ein, als Pathe bei der Taufe seines Erstgeborenen zu fungiren.

Es war im späten November. So lieb ich meinen wackeren Freund auch habe, spürte ich doch wenig Lust, zu so rauher Jahreszeit die weite Reise zu unternehmen; aber auch davon ganz abgesehen – was sollte ich dort? Zeuge sein und gar Pathe bei einer Handlung, zu welcher der Standpunkt des Pathen wie des Vaters so wenig paßte, um nicht zu sagen, in ausgesprochenem Gegensatz stand – das widerstrebte meinem innersten Gefühle. Mußte dadurch die Ceremonie nicht ihre eigentliche Bedeutung verlieren? Und war überhaupt zu hoffen oder vorauszusehen, daß auch der Täufling jener gläubige Christ werden würde, wie ihn die Taufe wollte? –

Doppelt lebendig erhob sich abermals der Gedanke des letzten Gesprächs in meiner Seele. Neuen Wein in neue Schläuche!

Sollten sich denn für ein Glaubensbekenntniß, wie das meines lieben Freundes und das meinige war, nicht auch neue bedeutungsvolle Formen finden? Sollte sich nicht auch für das Kind eines Naturforschers, wenn es der Welt und der menschlichen Gesellschaft dargebracht wird, eine weihevolle Feier bereiten lassen, eine in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit? –

Gedanke auf Gedanke durchzog noch spät in stiller Nacht meine Seele, und endlich entstand aus ihnen eine dem Tauffest meines naturforschenden Freundes gewidmete Dichtung, ein Versuch, in dramatischer Weise die Weihe eines jungen Erdenbürgers vorzuführen, bei der Jeder, welchem Glaubensbekenntnisse er zugethan sei, mit ruhigstem Gewissen seine Pathenstelle einnehmen könnte.

Hier ist meine Dichtung:

 Weihe,
ausgedacht und dargebracht dem Erstgebornen seines lieben
 Ernst Häckel.

(Scene: Festlich geschmückter Gartensaal. Die versammelten Gäste im Halbkreise. Der Knabe wird hereingetragen, und eine feierliche Musik, etwa Mozart’s Chor: „O Isis und Osiris!“ empfängt ihn. Wenn die Klänge verhallt sind, wird der Knabe zur Sonne emporgehalten. Einer der Pathen [Astronom] legt seine Hand auf dessen Haupt.)

 Der Sprecher.
Das ist die Sonne, die hohe, die helle,
Des Lichts und der Wärme erhabene Quelle,
Die Strahlen versendende,
Segen ausspendende,
Das ist die Sonne, das gold’ne Symbol
Ewiger Klarheit,
Ewiger Wahrheit.
Freue Dich ihrer, strebe zum Licht,
Sonst verdienst Du sie nicht!

(Der Knabe wird nun auf die Erde gesetzt. Drei andere Pathen [Geognost, Botaniker, Zoolog] legen ihre Hände auf ihn.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_008.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)