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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 2.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Inmitten des Gartensalons stand eine lange eichene Tafel, an deren einem Ende eine Dame von auffallender Häßlichkeit saß. Fast schreckenerregend wirkte der große Kopf mit dem starren, entschieden rothen Haar und der vollkommensten Negerphysiognomie unter der zwar zarten, weißen, aber mit Sommersprossen bedeckten Haut. Nur die Hände, die so emsig arbeiteten, waren von leuchtender Schönheit, wie Marmorgebilde. Sie drehte einen blauen Syringenzweig zwischen den Fingerspitzen – man meinte, der Duft müsse von der Blüthendolde fliegen und das Zimmer erfüllen, so frisch gebrochen schwankte sie am Stengel; aber dieser Stengel wurde eben mit einem feinen, grünen Papierstreifen umwickelt – es war eine künstliche Blume.

Beim Eintritt der Gräfin Trachenberg fuhr die Dame erschrocken zusammen; die Blume flog auf die Werkzeuge, und mit eiligen Händen wurde ein weißes Tuch über die Zeugen der Arbeit geworfen.

„Ach – die Mama!“ stieß ein junges Mädchen halbmurmelnd heraus. Es stand am anderen Ende der Tafel, mit dem Rücken nach der Thür. Ueber diesen Rücken hinab fiel es im flammenden Schein wie ein Mantel – die junge Dame hatte das Haar bis an den Scheitel aufgelöst; gleichmäßig, ohne sich in einzelne Strähne zu theilen, hing das unglaublich reiche, stark röthliche Blond seine glänzenden Spitzen bis auf den Saum des hellen Muslinkleides.

Bei diesem Anblick hemmte die Gräfin einen Moment ihre Schritte.

„Weshalb so derangirt?“ fragte sie kurz, nach dem aufgeflochtenen Haar deutend.

„Ich habe heftige Kopfschmerzen mit heimgebracht, liebe Mama, und da hat mir Ulrike die Flechten gelöst,“ antwortete die junge Dame mit einem Anflug von Aengstlichkeit in der Stimme. „Ach, es ist eine entsetzliche Last!“ seufzte sie auf und hing den Kopf in den Nacken, als gebe sie der Wucht nach.

„Du warst wieder einmal draußen im Sonnenbrand und hast zum Gaudium der Bauern Unkraut heimgeschleppt?“ fragte die Gräfin streng und hohnvoll zugleich. „Wann endlich wird die Kinderei aufhören?“ Sie zuckte die Achseln und ließ einen verachtungsvollen Blick über die Tafel gleiten. Da lagen ganze Stöße Löschpapier neben einer Pflanzenpresse – die junge Dame hatte eben mit vorsichtigen Fingern einige Orchideen aus der Botanisirtrommel genommen, um sie zwischen Papier zu legen.

Ihro Erlaucht, die Gräfin Trachenberg, geborene Prinzessin Lutowiska, wußte sehr genau, daß ihre älteste Tochter, Gräfin Ulrike, künstliche Blumen fertigte, die als Modelle nach Berlin wanderten und gut bezahlt wurden; das Geschäft ging durch die Hand der alten verschwiegenen Amme, und Niemand ahnte die Grafenkrone über der Stirn der gesuchten Künstlerin. … Der Frau Gräfin war es auch nicht verschwiegen geblieben, daß ihr einziger Sohn, der Erbherr von Trachenberg, das verachtete Unkraut, im Verein mit seiner Schwester Juliane, vortrefflich präparirte und als Sammlung einheimischer Pflanzen – unter angenommenem Namen – nach Rußland verkaufte. Aber eine geborene Prinzessin Lutowiska durfte das nicht wissen – wehe der Hand, die sich beim Blumenmachen ertappen ließ, wehe der Zunge, die ein Wort über den Ursprung des erhöhten Einkommens fallen ließ – es war ja Alles eitel Spielerei, zu der man ein Auge zudrücken mußte, und damit basta!

Die Dame griff im Nähertreten nach dem Haar des jungen Mädchens und wog „die entsetzliche Last“ auf der Hand – etwas wie eine Regung mütterlichen Stolzes flog über das schöne, scharfgezeichnete Gesicht.

„Raoul müßte das sehen,“ warf sie hin. „Thörin, Deinen schönen Schmuck hast Du vor ihm versteckt! … die dicken Sammetschleifen, mit welchen Du die Albernheit hattest, Dich ihm zu präsentiren, werde ich Dir nie vergessen. … Mit solchem Haar –“

„Es ist ja roth, Mama.“

„Geschwätz! – Das ist roth,“ sagte sie und deutete auf ihre Tochter Ulrike. „Gott soll mich bewahren – zwei Rothköpfe! Wofür so viel Strafe?“

Gräfin Ulrike, die unterdeß eine Wollstickerei aus der Tasche gezogen hatte, saß bei diesen unbarmherzigen Worten da wie eine Statue. Sie zuckte mit keiner Wimper – die schöne Mutter hatte ja Recht. Ihre Schwester aber flog zu ihr hin, legte den geschmähten Kopf sanft an ihre Brust und küßte unter leisen Wehelauten wiederholt und zärtlich den rothen Scheitel.

„Sentimentalitäten und kein Ende!“ murmelte die Gräfin Trachenberg verdrießlich und legte das Paket, das sie mitgebracht hatte, auf die Tafel. Sie griff nach einer Scheere und löste mit einigen raschen Schnitten die Emballage – sie enthielt ein Schmucketui und einen weißen Seidenstoff mit eingewirkten großen Silberarabesken.

Mit einer wahren Gier öffnete die Dame das Etui – sie bog den Kopf mit prüfendem Blick zurück und konnte ein Gemisch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_021.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)