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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

von unangenehmer Ueberraschung und hervorbrechendem Neid kaum bemeistern.

„Sieh, sieh! Mein einfaches Gänschen wird fürstlicher an den Altar treten, als einst die hochgefeierte Prinzeß Lutowiska,“ sagte sie langsam und betonend und ließ ein Halsband von Brillanten und großen Smaragden in der Sonne glänzen. „Ja, ja, die Mainaus können das! … Euer Vater war doch ein armer Schlucker – ich hätte das schon damals merken können.“

Ulrike fuhr empor, als sei sie von der Mutter in’s Gesicht geschlagen worden; aus den unschön durch wuchtige Lider gedrückten, aber scharfen blauen Augen brach ein Strahl der tiefsten Empörung, gleichwohl zog sie sofort wieder scheinbar ruhig den grünen Wollfaden durch das Gewebe und sagte mit ernster, fast monotoner Stimme: „Die Trachenbergs besaßen damals ein unbelastetes Vermögen von einer halben Million. Sie waren von jeher ein sparsames haushälterisches Geschlecht, und mein lieber Papa ist diesen Tugenden treu geblieben bis zu seinem vierzigsten Jahre, wo er sich verheirathete. … Ich habe beim Concurs mit den Herren vom Amte gearbeitet, um Licht in das Chaos zu bringen – ich weiß, daß Papa nur durch grenzenlose Nachgiebigkeit verarmt ist.“

„Unverschämte!“ brauste die Gräfin auf und holte unwillkürlich aus zum Schlag; aber mit einer verächtlichen Geberde ließ sie die Hand wieder sinken. „Immerhin vertritt Du Deine Trachenbergs – ich habe keinen Theil an Dir, als daß ich Dir das Leben geben mußte. Du wirst das am besten finden, wenn Du drüben die Galerie Deiner Ahnen musterst – rothhaarige Affengesichter vom Anfang bis zum Ende! Ich habe nicht umsonst geweint und – geflucht, als mir vor dreißig Jahren das neugeborene kleine Scheusal, eine echte Trachenberg, in die Arme gelegt wurde.“

„Mama!“ schrie Liane auf.

„Ruhig, ruhig, Kind!“ beschwichtigte sie sanftlächelnd, aber doch mit bebenden Lippen die Schwester. Sie rollte ihre Stickerei zusammen und erhob sich. Beide Schwestern waren von gleicher Größe – es waren weit die Mittelgröße überragende, sylphenhafte Gestalten mit edelschönen Händen und Füßen, feiner, schmiegsamer Taille und zart mädchenhaften Contouren der Büste.

Ulrike entfaltete, während ihre Mutter das Kästchen mit dem Schmuck grollend auf die Tafel warf, hastig den Seidenstoff. Steif und schwer, wie nur je ein Brocat aus den Zeiten unserer Urgroßmütter, entglitt er ihren Händen und fiel förmlich klirrend und zischend auf das Parquet. Mit einem erschrockenen Blick auf die wogende Silberpracht wandte sich Liane ab und sah so angelegentlich hinaus in den Garten, als gelte es, die niedersprühenden Goldfunken der fernen Fontaine zu zählen.

„Du wirst eine majestätische Braut sein, Liane … Wenn Papa das sehen könnte!“ rief Ulrike.

„Raoul verhöhnt uns,“ murmelte tief verletzt das junge Mädchen.

„Er verhöhnt uns?“ fuhr die Gräfin Trachenberg auf, deren scharfes Ohr die halbgeflüsterten Laute erfangen hatte. „Bist Du von Sinnen? Und willst Du wohl die Freundlichkeit haben, mich zu belehren, inwiefern er sich unterfängt, die Trachenbergs zu verhöhnen?“

Liane deutete auf die zerschlissenen, mißfarbigen Bezüge der alten Lehnstühle, neben denen das pompöse Brautkleid lag. „Läßt sich ein schärferer Contrast denken, Mama? Ist das nicht tactlos herablassend, der – der Armuth gegenüber?“ versetzte sie, indem sie sich bemühte, ihrer Furcht vor der leidenschaftlichen Mutter Herr zu werden.

Die Gräfin Trachenberg schlug die Hände zusammen. „Gott sei’s geklagt – wie komme ich, gerade ich zu solchen spießbürgerlichen Hohlköpfen, die an die Hoheit ihrer Stellung die Elle des Krämers anlegen? … Herablassend! und das sagt eine Trachenberg! … Du steigst herab zu den Mainaus – das merke Dir! … Muß ich Dir wirklich erzählen, daß Deine Mutter direct von den alten polnischen Königen abstammt, und daß Deine väterlichen Vorfahren schon lange vor den Kreuzzügen gebietende Herren waren? … Und wenn Raoul alle Schätze der Welt Dir vor die Füße schüttete, er kann Dir den Vorrang der hohen makellosen Geburt nicht abkaufen … Er hat keine zehn Ahnen – ja, es ist halb und halb eine Mesalliance, die Du eingehst, und wäre es mir nicht ein zu widerwärtiger Gedanke, zwei sitzengebliebene Töchter im Hause zu haben, dann hätte ich sicher seine Werbung zurückgewiesen. Er weiß Das auch recht gut, sonst nähme er Dich nicht so – so unbesehen.“

Die junge Dame blieb mit gefaltet niedergesunkenen Händen regungslos stehen. Das rothgoldene Haargewoge fiel jetzt auch über die Brust und verhüllte das Profil. Ihre Schwester aber durchmaß schweigend mit raschen Schritten einige Male den Salon.

In diesem Moment wurde die nach dem Corridor führende Thür behutsam geöffnet; die alte ehemalige Amme und jetzige Köchin steckte den Kopf herein. „Erlaucht halten zu Gnaden,“ sagte sie mit demüthig leiser Stimme, „der Postbote ist noch drüben; er will nicht länger warten.“

„Ach ja – ich hatte den Menschen total vergessen. Nun, er wird ja wohl warten, bis ich komme. Reiche ihm eine Tasse Kaffee in der Küche, Lene!“

Die Magd verschwand, und die Gräfin Trachenberg zog einen Zettel aus der Tasche.

„Der Postbote bekommt ein Trinkgeld, und hier ist eine Postanweisung auf vierzig Thaler, die wir einzulösen haben. Die Krämer in Rheims sind frech genug, mir den bestellten Hochzeits-Champagner per Nachnahme zu schicken … Zahle aus!“ sagte sie kurz zu Ulrike und reichte ihr den Zettel hin.

Ein jähes Roth des Erschreckens überflog das häßliche Gesicht der Tochter. „Du hast Champagner bestellt, Mama?“ rief sie bestürzt. „O Gott – und für eine solche Riesensumme!“

Die Gräfin Trachenberg zeigte höhnisch auflachend ihr perlengleiches falsches Gebiß. „Hast Du gemeint, Du könntest die Herren beim Hochzeits-Dejeuner mit Deinem selbstfabricirten Johannisbeersaft regaliren? … Uebrigens habe ich, wie bereits erklärt, nicht im Entferntesten an die Gemeinheit gedacht, mit welcher uns die Bezahlung per Post sofort erpreßt werden soll.“ Sie zuckte die Achseln. – „Da heißt’s eben gute Miene zum bösen Spiel machen und zahlen.“

Schweigend schloß Ulrike einen Secretair auf und nahm zwei Geldrollen heraus. „Hier ist die ganze Haushaltungscasse,“ sagte sie kurz und bestimmt. „Es sind fünfunddreißig Thaler. Davon müssen wir aber leben; denn nicht allein in Rheims verweigert man uns den Credit, wir bekommen auch in der ganzen Umgegend kein Loth Fleisch ohne sofortige Bezahlung. – Darüber kannst Du unmöglich im Unklaren sein.“

„Gewiß nicht – meine weise Tochter Ulrike predigt häufig genug über dieses beliebte Thema.“

„Ich muß, Mama,“ versetzte Ulrike ruhig. „Weil Du so oft vergißt – was ja wohl begreiflich ist – daß die Gläubiger unser Jahreseinkommen von fünfundzwanzigtausend Thalern auf sechshundert zusammengeschnitten haben.“

Die Gräfin Trachenberg hielt sich die Ohren zu und rannte nach einer der Glasthüren – die große, majestätische Gestalt nahm Geberden an wie ein verzogenes Kind. Sie riß die Thür auf und wollte hinaus stürmen, besann sich aber doch eines Anderen.

„Gut,“ sagte sie, die Thür zuwerfend, anscheinend ruhig, aber auch mit sichtlicher Bosheit. „Nur sechshundert Thaler. Aber nun frage ich doch auch endlich einmal: Wozu werden sie gebraucht? … Wir essen erbärmlich, förmliche Bettelsuppe – Lene füttert uns mit Reis und Eierspeisen bis zum Ekel, und die Prisen Pecco, die Du in den Theekessel wirfst, werden immer homöopathischer. Dazu schleppe ich diese Fahne“ – sie deutete auf ihr schwarzseidenes Kleid – „die Ihr die Gnade hattet, mir zu Weihnachten zu schenken, Tag für Tag. Alles, was mein todeseinsames Leben einigermaßen erträglich machen könnte – neue französische Lectüre, Confituren, Parfüms – ist für mich ein längst überwundener Standpunkt … ich schließe also mit Recht: Du mußt mehr Gelder zur Verfügung haben, als Du mir weis machen willst.“

„Ulrike lügt niemals, Mama!“ rief Liane empört.

„Ich kann die Anweisung unmöglich an die Post zurückschicken“ – fuhr die Gräfin unbeirrt fort – „Du wirst der Komödie sofort ein Ende machen und den Betrag herausgeben!“

„Soll ich Geld aus der Erde stampfen? … Der Wein muß zurückgehen!“ versetzte Ulrike gelassen.

Ihre Mutter stieß einen gellenden Laut aus, dann warf sie sich rücklings auf ein Sopha und verfiel in Lachkrämpfe.

Ruhig, mit untergeschlagenen Armen, stand Ulrike zu Häupten der wie toll um sich schlagenden Frau und sah mit einem bitter-ironischen Lächeln auf sie nieder.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)